Essen. Heute erscheint der Prachtband „Ruhrgold“ mit 500 Fotos auf 700 Seiten. Fritz Eckenga hat darin über Humor im Ruhrgebiet geschrieben.
Der 700-Seiten-Band „Ruhrgold“, der heute erscheint, ist beinahe erschlagend: Er umfasst rund 500 Fotos von dem, was ein Team um Herausgeber Ferdinand Ullrich als „Schätze des Ruhrgebiets“ ausgemacht hat. Ullrich bürgt als einstiger Leiter der Kunsthalle Recklinghausen dafür, dass Kunst nicht zu kurz kommt, aber es geht auch um Pommesbuden, Aldi-Tüten, Claudia Schiffer, die Siedlung Teutoburgia, die Zeche Nachtigall und Gelsenkirchener Barock.
Zu den vielen Bildern kommen Essays zu Themen wie Schönheit (Johan Simons), Offenheit (Neven Subotic), Zusammenhalt (Norbert Lammert), Genügsamkeit (Hilmar Klute), Tradition (Theodor Grütter) und eben Humor.
Ruhrgold. Die Schätze des Ruhrgebiets, hg. von Ferdinand Ullrich. Wienand Verlag, 700 S., 60 €. Sonderausgabe mit Goldschnitt, 200er Auflage in fluoreszierendem Acrylglasschuber: 180 €.
>>> Fritz Eckenga und sein Essay zum Thema Humor im Ruhrgebiet <<<
Kommt alles so, wie’s kommen muss. Und wenn nicht, kommt genau das Gegenteil. Aber da kannze dann auch nix mehr dran ändern. (Friedhelm „Pit“ Eckenga, 1929–2015)
Das Ruhrgebiet ist ein etwa 70 Kilometer langer Bindestrich. Er hat wie die Wurst zwei Enden. Das eine ist in Westfalen, das andere im Rheinland. Und obwohl dieser Strich das große Bundesland NRW zusammenhält, ist für viele Menschen von außerhalb das Ruhrgebiet nach wie vor eine unbekannte Region. Sie wissen vielleicht vom Hörensagen: Im Ruhrgebiet, da wurde immer sehr viel abgebaut. Stimmt sogar. Zum Beispiel ein Dreiviertelpfund Gehacktes halb und halb. Aber das war in der vorveganen Zeit. Also früher. Später auch Spätkartoffeln. Und noch später, nach Erfindung des Grubenpferdes, Steinkohle. Anschließend wurden Hochöfen, Opel und Arbeitsplätze abgebaut. Momentan bezahlbarer Wohnraum.
Und auch ich habe mich der Tradition des Abbaus verschrieben. Ich baue Vorurteile ab. Ich sage: Nein! Die Ruhr ist keine bakterielle Infektionskrankheit wie zum Beispiel der Rhein, sondern ein bezauberndes Fließgewässer, an dessen sanften Ufern jede Menge Menschen verhältnismäßig friedlich siedeln.
Fritz Eckenga in „Ruhrgold“: Burnout am achten Tag der Schöpfung
Wie konnte es dazu kommen?
Folgendermaßen: Am siebten Tag schuf der Herr das Ruhrge ...
Quatsch! Wollte euch nur auf die Probe stellen. Richtig ist vielmehr Folgendes: Schöpfungsgeschichte, § 1, Ziff. 7: Am siebten Tag aber ließ Gott sich selbst ‘n guten Mann sein, denn er war laut Eigenauskunft „kaputt wie tausend Mann“.
Seitdem gilt dieses Gesetz: Sonntag Ruhetag!
Warum?
Die ersten sechs Tage hatten Gott ziemlich geschafft. Er aber auch schon was. Zum Beispiel „Himmel und Erde“, also Kartoffel, Apfel, Blutwurst. Unter niederem Kraut kroch bereits erstes Getier. Für Beine war noch keine Zeit gewesen, deswegen Schlange. Und auch der Prototyp der Krone der Schöpfung war dem Herrn bereits aus den Händen geglitten, also von der Schöpferscheibe gefallen: Adam, der Bolide aus Lehm. Allerdings mit einer Rippe weniger als das spätere Serienmodell. Den dicken Knochen hatte der ERste aller Heimwerker Adam direkt wieder ausgebaut, um ihm daraus eine Else – Moment: eine Eva zu fräsen, auf dass die beiden eine organische Verbindung eingehen könnten.
Da muss man erstmal drauf kommen. Dolle Geschichte. Fantastisch genug jedenfalls, um dran glauben zu müssen.
Am achten Tag aber war der Herr wieder einigermaßen klarsichtig, schaute sich das bisher Erschöpfte an und sprach: „Naja – geht so – fürs erste Mal. Ich hab‘ jetzt jedenfalls erstmal Burnout und mach‘ ein paar Sabbatjahrtausende.“
Ab da dann also doch: Evolution!
Hier die wesentlichen Ereignisse im Schnelldurchlauf: Jurassic Park 1–5, Ice Age 1–6, Vulkane, Erdfaltung, Meereseinbruch, Urwald, Pressdruck, Hitze, jede Menge Kohle, Bergbau, Zeche auf, Zeche zu, Ansiedlung neuer Technologien, zum Beispiel Spielothek Merkur, Döner Drei Punkt Null und Schlucki, der billige Getränkemarkt.
Und am Ende der Ahnenstange: die Bewohner des Planeten Ruhrgebiet. Die Ruhries. Strukturgewandelt, aber traditionsbewusst. Hin- und hergerissen, aber standorttreu. Vielfältig, angepasst, artenreich.
Fritz Eckenga in „Ruhrgold“: Was wäre die Ruhrregion ohne ihren goldigen Humor?
Soweit klar?
Gut. Dann mal direkt zur Anschlussfrage: Was wäre die Ruhrregion nur ohne ihren goldigen Humor?
Sie wäre vor allem menschenleer. Der Mensch kann Humor haben, eine Region nicht. Wie denn bitte? Region besteht doch vor allem aus Gegend, also aus umbauten Räumen mit Parkplatzrandbestrauchung und Berasung dazwischen. Komisch ist jedenfalls anders. Es sei denn, es ist Winter, und die Laterne ist kaputt. Dann geht’s.
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Solchermaßen ausgestatteter Region kann man sicherlich einiges zusprechen, zum Beispiel Gewöhnlichkeit, nicht aber Humor. Hat man denn je eine Lärche, einen Liguster oder eine Laterne lachen hören? Na siehste. Und wenn es sich doch mal ein klein wenig so anhörte wie, dann war es wohl doch nur wieder das vom strammen Südwest verursachte Quietschen im Wind, ganz bestimmt aber nicht das den wahren Humor kennzeichnende Lachen über sich selbst.
Ergo: Gegend hat keinen Humor. Weder das in sie Reingepflanzte, noch die dazwischen herumstehenden Gebäude. Obwohl gerade die ihn am nötigsten hätten.
Hier geht es aber nicht um ,Wohn- und Geschäftshäuser‘ genannten Zynismus, also um Architektur, sondern um Menschlichkeit. Denn wenn es in einer Region Humor gibt, dann nur, weil sie bewohnt, vor allem aber beseelt ist. Im Falle des Ruhrgebiets von derzeit gut fünf Millionen Humoristinnen und Humoristen.
So sieht’s doch aus: Die Menschen im Ruhrgebiet haben alle das Herz auf dem rechten Fleck. Ausnahmslos alle. Diese also durch und durch unkomplizierten, aufgeschlossenen, sympathischen, uneitlen, von harter körperlicher Arbeit geprägten, sich durch die Unbillen des Lebens nicht aus der Bahn werfen lassenden, also nach dem Hinfallen immer wieder aufstehenden, wie gesagt zu einhundert Prozent mit lebensbejahender Herzensbildung ausgestatteten und deswegen so liebenswerten Ruhries sind ja vor allem deswegen so liebenswert, weil sie ein so außerordentlich unkomplizierter, aufgeschlossener, uneitler, von harter Arbeit geprägter Menschenschlag sind, der durch die Bank das Herz auf dem rechten Fleck hat und sich nicht unterkriegen lässt.
Fritz Eckenga im Bildband „Ruhrgold“: Mark Twain und ein Blick ins Rheinland
Es sind vor allem solche von keinem weitergehenden Gedanken befeuerten Zuschreibungen, die die in der Ruhrregion ansässigen Menschen seit einigen Epochen über sich ergehen lassen, ohne erkennbar unter der klischeetriefenden Belastung zusammenzubrechen. Nicht wenige haben es sogar geschafft, die Vorurteile über sich so anzunehmen, dass sie nun selber glauben, wer, was und wie sie angeblich sind. Ahnungslose Schlaumeier halten das für einen psychischen Defekt. Dass wir es aber hier mit unabweisbaren Indizien für tief in den Menschen verwurzeltem Humor zu tun haben, erkennen die wirklichen Fachleute.
So etwa der große amerikanische Schriftsteller Mark Twain. Er wusste: „Die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Kummer.“
Entsprechend heiter schauen die Insassen des Ruhrgebiets gelegentlich über ihre Grenzen hinaus. Etwa ins benachbarte Rheinland. Seriöse Historiker sind sich ja sicher, dass das Bindestrich-Bundesland Nordrhein-Westfalen ein Kind des kalten Krieges ist. Es wurde von der Siegermacht Großbritannien gegründet, und das heutige NRW-Gebiet gehörte zur britischen Besatzungszone. Die Briten hielten die alliierte Sowjetunion für eine massive Gefahr und befürchteten eine kommunistische Unterwanderung des Ruhrgebiets. Also ordneten sie eine neutralisierende Zwangsheirat der Westfalen mit den katholisch und deswegen wohl auch so streng karnevalistisch veranlagten Rheinländern an.
Fritz Eckenga im Bildband „Ruhrgold“: Humor ist tatsächlich, wenn man trotzdem lacht
Andererseits machen die Briten ja auch gerne mal einen Witz. Möglicherweise wollten sie sich also einfach nur ein wenig amüsieren, als sie mit ihrer „Operation Marriage“ zwei geografisch zwar benachbarte, sich wesensmäßig aber eher antipodisch gegenüberliegende Völker verhochzeiteten.
Dass diese Verbindung einigermaßen stabil hält, ist ganz ohne Frage den den Bindestrich bevölkernden Ruhris zu verdanken. Sie wissen, dass ihr Ruhrgebiet nicht an den Irrsinn, sondern ans Rheinland grenzt. Im Gegensatz zu ihren Nachbarn wissen sie aber auch, dass das gelegentlich aufs selbe rauskommt. Humor ist also tatsächlich, wenn man trotzdem lacht und deswegen sogar in der Lage ist, gelassen und neidlos ins Rheinland zu schauen, das speziell in einer Disziplin noch einen gewissen Vorsprung hat: der Lyrik. Die Rheindichtung ist der Ruhrdichtung nach wie vor ein Stück voraus. Das verdankt sie vor allem dem in Düsseldorf geborenen, großen Heinrich Heine. Aber die Ruhrdichtung ist der Rheindichtung inzwischen auf den Versen, weil sich verantwortliches Personal darum kümmert.
No Loreley, no cry
Fritz Eckenga
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so heiter bin.
Ein Pärchen aus hiesigen Breiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist schwül, und es dunkelt.
Man sitzt in erhitzter Natur.
Sie ist nicht zufrieden, es schunkelt
zu sehr ihr das Boot auf der Ruhr.
Die stöhnende Schöne schwitzet.
Es ist ihr recht sonderbar.
„Watt is jezz, ich denke du tritts et?
Jezz komm ma zu Potte und fahr
datt dämliche Tretboot da drüben an’ Steg!“
Er kennt das Geschrei.
Es ist die sattsam bekannte,
gewöhnliche Melodei.
Der Schiffer im kleinen Schiffe
fügt sich zum Schein ins Geschick.
Dann formt er die Rechte zum Griffe
und schmeißt seine Schöne in’ Schlick.
Ich glaube, nur so konnt’s gelingen,
von Anfang an plante er nur,
die Laute zum Schweigen zu bringen
beim Tretbootfahrn auf der Ruhr.
Fritz Eckenga verbüßt seine Wohnhaft in Dortmund. Er genießt dort die Privilegien eines vorbildlich humanen Vollzuges. Gern reist er in andere Orte, um mit seiner Vortragskunst etwas Freude zu verursachen. Von zu Hause aus dichtet er sich die Welt zusammen. Die Ergebnisse stellt er in Büchern, im Radio und auf Bühnen vor.