Dortmund. Yasemin Şamdereli erzählt im Kino von der somalischen Sprinterin „Samia“. Mit uns sprach sie über den Film und die alte Heimat im Revier.
Die Regisseurin und Drehbuchautorin Yasemin Şamdereli ist in Dortmund geboren und aufgewachsen, danach lebte sie lange in München und Berlin. Seit drei Jahren ist sie zurück in NRW und wohnt in der Nähe von Düsseldorf. Gerade ist ihr neuer Film „Samia“ angelaufen, der die Lebensgeschichte der somalischen Sprinterin Samia Yusuf Oman erzählt. Wie bei ihrem preisgekrönten Debüt „Almanya – Willkommen in Deutschland“ führt Şamdereli Regie und hat mit ihrer Schwester Nesrin das Drehbuch geschrieben. Mit uns sprach sie über ihren Film, ihre Liebe zu Dortmund und den Führerschein ihrer Mutter.
Hallo Frau Şamdereli, seit voriger Woche läuft „Samia“ im Kino. Wie ist die Resonanz?
Sehr gut! Eine Frau sagte mir, es sei der berührendste Film, den sie je gesehen habe. Aber viele sind auch überrascht. Er hat sehr viel mehr Leichtigkeit und Positives, als man durch das tragische Ende vermuten könnte.
Zur Person
Yasemin Şamdereli ist 1973 in Dortmund geboren. Sie studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München.
Ihr Kinodebüt „Almanya – Willkommen in Deutschland“ lief 2011 auf der Berlinale im Wettbewerb. Für das Drehbuch wurden Yasemin und Nesrin Şamdereli mit dem Deutschen Filmpreis 2011 geehrt. Außerdem erhielt die Komödie den Filmpreis in Silber in der Kategorie Bester Film und zwei Auszeichnungen beim Preis der deutschen Filmkritik, für das beste Spielfilmdebüt und das beste Drehbuch.
2017 legte sie „Die Nacht der Nächte“ vor, einen Dokumentarfilm über vier Paare von drei Kontinenten, die seit über 50 Jahren zusammen sind. Kinostart war 2018. Beim Bayerischen Filmpreis 2018 wurde der Film als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Es geht um die Leichtathletin Samia, die als erste Sportlerin ihres Landes an den Olympischen Spiele teilgenommen hat, 2008 in Peking. Vier Jahre später ist sie bei ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Eine wahre Geschichte. Wie sind Sie darauf gestoßen?
Das Thema ist vor über sieben Jahren auf uns zugekommen. Die italienischen Produzenten des Films kannten mich von „Almanya – Willkommen in Deutschland“, der in Italien gut lief. Grundlage für „Samia“ ist der Roman „Mit Träumen im Herzen“ des Journalisten Giuseppe Catozzella. Meine Schwester Nesrin und ich haben ihn gelesen und waren total berührt und gleichzeitig schockiert. Wir haben uns gleich mit Samia verbunden gefühlt und wussten: Wir wollen ihre Geschichte unbedingt erzählen, damit sie ein breiteres Publikum findet. Wie viele andere haben auch wir sie nicht gekannt.
Was fasziniert Sie an Samia?
Sie hat es mit 17 geschafft, in diesem vom Bürgerkrieg gebeutelten Mogadischu so gut zu sein, dass sie an den Olympischen Spielen teilnehmen durfte. Das war schon mal unfassbar. Man sieht es auch auf dem Archivmaterial: Die anderen sind durchtrainierte Athletinnen, und dann Samia, eine dünne junge Frau, wahnsinnig talentiert, aber ein Underdog. Aber „Samia“ ist nicht nur ihre Geschichte. Sie steht auch stellvertretend für viele andere. Aktuell sind fast 120 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Allein in Kenia leben mehrere Hunderttausend Somalier. Das ist einem nicht bewusst, weil man immer nur sich selbst sieht.
Aktuell erstarken rechte Parteien, die Grenzen werden zugemacht. Kommt ihr Beitrag zur richtigen Zeit?
Die Situation hat sich in den letzten Jahren immer weiter zugespitzt. Das konnten wir nicht wissen. Aber ja, ich denke schon. Wir machen die Grenzen zu, weil wir natürlich auch unsere Herzen zumachen. Im besten Fall hoffe ich, dass der Film zeigen kann: Bei dieser Entmenschlichung kann man nicht mitmachen. Natürlich gibt es Dinge, die uns allen Sorgen bereiten. Aber die Antwort darf auf keinen Fall sein, dass wir Geflüchtete nur noch als Problem abstempeln. Es gibt keine einfachen Antworten, und man darf sich nicht von Leuten ködern lassen, die einfache Antworten versprechen.
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Kann Kino Bewusstsein verändern?
Kino verändert nicht die Welt, aber es kann einen Teil dazu beitragen. Die Geschichten können etwas in Menschen auslösen und bewirken.
Was möchten Sie als Filmemacherin deutlich machen?
Meine Schwester Nesrin und ich versuchen immer wieder zu vermitteln, dass es das Fremde nicht gibt. Überall auf der Welt teilen Menschen zum größten Teil die gleichen Werte. Sie lieben, sie wollen geliebt werden, sie wollen ihre Kinder großziehen, sie wollen lachen, sie wollen Witze machen. Sie sind einfach Menschen. Natürlich gibt es auch andere, aber das ist eine Minderheit. Wie in „Almanya – Willkommen in Deutschland“ spielt auch in „Samia“ die Familie eine große Rolle. Samia hat das Glück, in einer liebevollen Umgebung aufzuwachsen. Sie haben nicht viel, aber sie haben sich gegenseitig und unterstützen sich, so gut es geht.
Sie haben in Kenia gedreht, mit somalischen Darstellern?
Ja genau. Dabei haben wir weltweit in somalischen Communities nach Schauspielern und Schauspielerinnen gesucht. Bei den Castings kamen Menschen von überall her zusammen, aus Italien, England, den USA, Malaysia. Uns war wichtig, dass alle Somalier sind und die Sprache sprechen. Für viele schwarze Menschen ist es schwierig, dass ihre Geschichten im Kino nicht vorkommen. Im besten Fall erzählen sie selbst davon.
Sie sind als Tochter türkischer Eltern in Dortmund geboren. Haben Sie noch einen Bezug dazu?
Ja natürlich. Es hat mich ja zu meinen Wurzeln nach NRW zurückgezogen. Ich bin alle paar Wochen bei meinen Eltern. In Dortmund ist meine Familie, da sind Menschen, die ich absolut liebe. Da war meine Kindheit.
Steckt in Ihnen ein Stück Ruhrgebiet?
Ja klar. Eine gewisse Schnauze, auch die Liebe zum eigenen Umfeld. Ich komme aus dem Arbeitermilieu, das ist schon in einem drin. Und auch mein Humor hätte sich ohne das Ruhrgebiet anders entwickelt. Es gibt da schon lustige Figuren. Und dazu diese Sprüche. Früher hieß es immer: Na, woher kommst du denn, meine kleine Südsee-Perle? Aber auf eine liebevolle Art.
Was macht das Ruhrgebiet für sie aus?
Die Leute. Das Ruhrgebiet hat immer viel zugelassen. Eine kulturelle Mischung, die Gastarbeiter, die Türken, die Italiener, das hat etwas ausgemacht. Und dieses Handfeste. Man ging halt malochen. Die Leute sind sehr geerdet und brauchen keine Schickimicki-Sachen. Die waren stolz, dass sie ihr Geld mit anständiger Arbeit verdienen.
Gibt es schon ein neues Filmprojekt?
Wir wollen einen Film über unsere Eltern machen, eine Komödie. Unsere Mutter hat neun Anläufe bis zum Führerschein gebraucht. Und mein Vater hat alles getan, damit sie ihn nicht bekam. Der Film heißt „Der Lappen“ und spielt in den 80er-Jahren, da war ich zehn.
Drehen Sie im Ruhrgebiet?
Ja, auf jeden Fall. Ich werde hier Förderung beantragen – und wehe, wir kriegen sie nicht! Schon „Almanya“ sollte eigentlich im Ruhrgebiet spielen, aber man hat uns nicht unterstützt. Dann haben wir es so gemacht, dass man nicht genau weiß, wo er spielt.
Hat Ihre Mutter inzwischen den Führerschein?
Ja, beim neunten Mal hat sie es hingekriegt. Sie ist eine absolute Kämpferin, aufgeben war keine Option. Sie hat immer gesagt: Ich brauche den Lappen und will auf meinen Mann nicht angewiesen sein. Das war ein wichtiges Stück Freiheit.