Neu im Kino: zwei Roman-Verfilmungen, einmal auf Mallorca und einmal im Westerwald – und eine Doku über die Literaturpreisträgerin Annie Ernaux.
„Was man von hier aus sehen kann“
Luise lebt in einem kleinen Dorf im Westerwald. Ihre engste Vertraute ist ihre Großmutter Selma, die den Tod voraussehen kann: Immer wenn sie von einem Okapi träumt, stirbt jemand. Dreh- und Angelpunkt einer traurig-schönen Geschichte über das Ende und einen Neuanfang, die Aron Lehmann („Das schönste Mädchen der Welt“) nach dem Bestseller-Roman von Mariana Leky erzählt.
Luise und Freund Martin übernehmen es, die Dorfgemeinschaft vorzustellen. Da sind der ständig betrunkene Palm, der wütend ist, weil er unglücklich ist. Die traurige Margret, die eigentlich nur schlecht gelaunt ist. Elsbeth mit ihren gruseligen Hausmitteln. Der Optiker, der heimlich Selma liebt und verrückte Stimmen in seinem Kopf hört.
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In poetischen Bildern geht es um das Miteinander dieser liebenswert-schrulligen Menschen, wobei das Ganze etwas an „Die fabelhafte Welt der Amélie“ erinnert. Die Handlung springt zwischen zwei Zeitebenen: Als Kind hat Luise ein furchtbares Erlebnis – erst als sie erwachsen ist, stellt sich allmählich Heilung ein.
Aron Lehmann präsentiert eine Liebeserklärung an die Provinz, einen etwas anderer Heimatfilm mit tollen Schauspielern, allen voran Corinna Harfouch als Selma, Luna Wedler als Luise und Karl Markovics als Optiker. Warmherzig und sehenswert, wenn auch mit knapp zwei Stunden lang geraten.
„Annie Ernaux - Die Super-8-Jahre“
Weihnachten ist in den „Super-8-Jahren“ der Annie Ernaux selbstverständlich auch dabei, Familienfeste, die neue Wohnung. Hier wie dort sehen wir, von heute aus, einer künftigen Literaturnobelpreisträgerin dabei zu, wie sich der diffuse Rohstoff namens Leben ansammelt, aus dem sie einmal ihre kantenscharfen Romane formen wird, diese Bücher, deren scheinbar kalte Genauigkeit eine ganz eigene, nur unterschwellig wahrnehmbare Wärme entwickeln.
Dieser 61 Minuten kurze Film, der eigentlich keiner ist, weil ohne Drehbuch den willkürlich entstandenen Spuren eines Lebens folgt, muss ohne den Imaginationsraum der Bücher auskommen; dafür ist auch der nachdenkliche Kommentar, den Anni Ernaux aus dem Off spricht, zu eindeutig.
Ein Dokument, zusammengestellt von ihrem Sohn David - aber eher für Menschen, die schon Bücher von ihr gelesen haben, weil sonst die Konkretion der Bilder die scharfe Sicht der Romane ehe trübt...
„Die Insel der Zitronenblüten“
Marina ist Anfang 40 und arbeitet als Gynäkologin für eine humanitäre Organisation in Afrika. Als sie bei einer Geburt den Tod der Mutter nicht verhindern kann, keimen in Marina Muttergefühle. Soll sie das Kind adoptieren? Und wie wird ihr rund zehn Jahre jüngerer Lebenspartner darauf reagieren?
In diese Phase der Entscheidungen platzt eine Nachricht ihrer Schwester Anna, die sie über viele Jahre nicht gesehen hat. Eine Frau mit Namen Lola hat den Schwestern eine Bäckerei vererbt. Annas Mann, schwer verschuldet, will die Liegenschaft verkaufen, Marina hingegen zögert, will dem Geheimnis Lolas auf die Spur kommen, vielleicht selbst die Bäckerei zusammen mit der letzten verbliebenen Angestellten Catalina weiterführen. Annas Tochter und die Besitzerin eines Wellness-Hotels sind bereit, mitzumachen. Da wird bei Anna Krebs diagnostiziert.
Nach einer solchen Inhaltsverdichtung will man schon mal durchatmen dürfen, um die Häufung des Schicksalhaften zu verarbeiten. So richtig Zeit dafür findet sich in der seitenstarken Verfilmung des gleichnamigen Mallorca-Bestsellers von Cristina Campos aber nicht. Ständig wird in der Handlung ein neues Konfliktfass aufgemacht, damit in den zwei Stunden Spielzeit auch bloß kein Leerlauf entsteht.
Bei so viel erzählerischem Tand reicht folgerichtig kaum etwas in die Tiefe. Regisseur Benito Zambrano marschiert sicheren Schrittes an allem vorbei, wo die Kamera in der Beschaulichkeit der Landschaft oder im schönen, charismatischen Gesicht der außerordentlichen Hauptdarstellerin Elia Galera Gefühle erforschen könnte. Alles wird mit Worten ausgekleidet, weshalb der Film oft genug wie eine TV-Produktion für den Freitagabend in der ARD wirkt.
Dass man es nicht einmal für wert befand, Mallorcas malerische Orte als bildstarkes Postermotiv einzufangen, sondern alles in milchigen Bildern vereinnahmt, hält die Freude an Insel und Zitronenblüten erst recht gedämpft.