Essen. Der ehemalige „Das Wort zum Sonntag“-Pfarrer Gereon Alter ist Pastor der Gemeinde St. Suitbert in Essen. Ein Gespräch über Hoffnung und Wünsche.
„Das Wort zum Sonntag“ ist für ihn vorbei. Wobei Gereon Alter den Samstagabend-Auftritt in der ARD schon vermisst, immer nach den „Tagesthemen“. Das Team fehlt ihm, außerdem die Herausforderung, das Zeitgeschehen aus christlicher Perspektive zu begleiten, in dreieinhalb Minuten.
Und trotzdem. Zwölf Jahre und hundert Sendungen waren ihm genug. „Denn wenn ich etwas von Helmut Kohl gelernt habe, dann: Geh, wenn es gut läuft“, schmunzelt der 55-Jährige Priester. Seit Oktober 2021 ist er nun mit ganzem Herzen das, was er auch schon zu Fernsehzeiten war: Pfarrer der Pfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel und Pastor der Gemeinde St. Suitbert im Essener Süden. Ein Gespräch über Weihnachten, den Glauben und die Hoffnung.
Haben Sie sich auf Weihnachten gefreut?
Gereon Alter: Normalerweise beantworte ich diese Frage eher zurückhaltend, weil Weihnachten für mich mit viel Arbeit verbunden ist. Aber diesmal freue ich mich richtig, weil wir aus der strengen Pandemie-Zeit raus sind. Schon im Advent waren unsere Kirchen rappelvoll. Und die Chöre dürfen wieder singen.
Und privat?
Freue ich mich Heiligabend auf meine Familie. Meine Mutter, meine Schwester, men Schwager und meine beiden Nichten besuchen mich. Um 21 Uhr gehen wir zur Christmette. Vorher essen wir zusammen.
Was gibt es?
Brühwürstchen mit Kartoffelsalat. Wir haben uns diesmal bewusst für etwas Schlichtes entschieden. Wir wollen Zeit haben, für Gespräche, Geschenke und den Gottesdienst.
Und wie verbringen Sie die Feiertage?
Natürlich habe ich eine ganze Reihe Gottesdienste. Aber dazwischen setze ich mich gern zuhause hin, trinke ein Glas Wein und lasse alles mal sacken. In solchen Momenten wird mir dann oft erst richtig bewusst, was Weihnachten für mich persönlich bedeutet: Vor aller Leistung und trotz alles Unrunden in meinem Leben ein geliebtes Kind Gottes zu sein.
Was genau feiert das Christentum an Weihnachten? Manche wissen vielleicht nicht mehr, worum es eigentlich geht.
Wir feiern die Geburt Jesu Christi, mit der nicht nur eine neue Zeitrechnung begonnen hat, nämlich die nach Christus – sondern auch etwas ganz Neues in die Welt gekommen ist, nämlich ein „neuer Mensch“, an dem wir ablesen können, wie unser Leben gelingen kann und von dem wir ganz viel Unterstützung dafür bekommen.
Wo stehen wir heute, Weihnachten 2022?
Die meisten, gläubig oder nicht, verbinden mit Weihnachten das Kind in der Krippe. So niedlich es auch auf den ersten Blick wirkt: Es ist ein Symbol der Ohnmacht. Die Eltern des Kindes sind auf der Flucht, erleben eine Sturzgeburt und finden Schutz in einem Stall. Ganz ähnliches passiert heute in der Ukraine, in Syrien und anderen Teilen der Welt. Und es kann sich in anderer Form in jedem Leben abspielen. Dass man in Not gerät, an einen Tiefpunkt kommt.
Das Spannende an der Weihnachtsgeschichte ist für mich, dass sich durch dieses Kind etwas verändert. Da kommen Menschen zusammen, die vorher nichts miteinander zu tun hatten, und sie halten zusammen. Und daraus entsteht dann am Ende eine weltweite Solidargemeinschaft. Weihnachten ist insofern auch heute noch hochaktuell.
Was wäre für Sie denn das „Weihnachtswunder 2022“?
Wenn Wladimir Putin am 1. Feiertag vor ein Mikrofon tritt und sagt „Es tut mir leid … Dieser Krieg ist ab heute beendet.“ Denn im Grunde kann der Krieg doch nur beendet werden, wenn es ein Innehalten und eine Besinnung gibt. Am besten zuerst bei Putin selbst.
Was wünschen Sie sich persönlich?
Dass alle gesund sind und wir eine schöne Familienfeier haben. Ansonsten habe ich mir nur eine gute Küchenreibe gewünscht. Denn ich koche unheimlich gern. Meine zweite Leidenschaft neben meinen Radreisen.
Ukraine-Krieg, Inflation, Klimakrise. Manchen ist es schwer gefallen, in Weihnachtsstimmung zu kommen.
Ja, wir haben ein fürchterliches Jahr hinter uns. Mit einem Krieg in Europa, mit einer Pandemie, den fatalen wirtschaftlichen Konsequenzen. Aber das alles hat auch einiges an Solidarität hervorgebracht: Menschen, die sich auf einmal politisch engagieren. Oder auch ganz konkrete Initiativen vor Ort. Wir haben in unserer Gemeinde ein „Lebensmittelretterhäuschen“ aufgestellt, wo wir Lebensmittel verschenken, die von den Supermärkten aussortiert werden. Bereits in der ersten Woche waren das über 900 Kilogramm. Oder schauen Sie auf die Ukraine, was da alles an Zusammenstehen, Solidarität und Hilfsbereitschaft da ist.
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Was sagen Sie den Menschen, denen der Sinn nicht nach Feiern steht?
Man darf an Weihnachten auch betrübt sein und Sorgen haben. Die sollte man dann nur nicht in sich hineinfressen, sondern möglichst mit anderen teilen.
Gibt es ein Bibelzitat, das passt?
„Fürchtet Euch nicht“, ein zentraler Satz in der Weihnachtsgeschichte. Die Engel rufen ihn den Hirten zu, die übrigens ganz ähnliche Probleme hatten, wie wir sie heute haben. Ihre Heimat war von einem fremden Aggressor besetzt, von den Römern. Sie mussten Zwangsabgaben leisten. Es ging den Menschen wirtschaftlich nicht gut.
„Fürchtet Euch nicht“ bedeutet hier: Das alles hat, so schrecklich es ist, letztlich keine Macht über euch. Das letzte Wort über diese Welt spricht Gott. Und bei dem könnt ihr jetzt schon Kraft und Hoffnung tanken. Das scheinen die Hirten damals begriffen zu haben.
Viele kehren der Kirche den Rücken. Wie nehmen Sie das aktuell wahr?
Meine Kirche steckt in einer tiefen Krise. Und trotzdem sind Weihnachten die Kirchen voll. Ebenso an St. Martin oder beim Erntedankfest.
Das deutet darauf hin, dass die meisten Menschen schon zu unterscheiden wissen, zwischen einer Kirchlichkeit, mit der sie nichts mehr zu tun haben wollen, und einer, die sie ganz bewusst suchen.
Das wird die katholische Kirche, da bin ich mir ziemlich sicher, auf Dauer ganz grundlegend verändern.
Worüber würden Sie in diesem Jahr Weihnachten beim „Wort zum Sonntag“ sprechen?
Das „Wort zum Sonntag“ wird ja immer tagesaktuell produziert, so dass ich es heute noch nicht sagen kann. Vermutlich aber würde ich wie in der Christmette über die „Zeitenwende“ sprechen, nur eben kürzer. Bei meiner Weihnachtspredigt gebe ich mir zehn Minuten. Denn ich habe mal gelernt: Predige über alles, nur nicht länger als zehn Minuten.
Worum geht es?
„Zeitenwende“ ist ja nicht nur das Wort des Jahres, von unserem Bundeskanzler geprägt, sondern steht ursprünglich für den Beginn der christlichen Zeitrechnung, also für das, was wir an Weihnachten feiern. Es geht darum, das Prinzip von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt, zu durchbrechen und darauf zu vertrauen, dass es eine Kraft gibt, die stärker ist, nämlich die Liebe.
Weshalb sind Sie Priester geworden?
Nicht wegen Weihnachten. Da ist Ostern für mich schon das schönere und wichtigere Fest. Aber es geht bei so einer Berufswahl ja nicht nur ums Gottesdienstfeiern.
Ich bin Priester geworden, weil ich keinen Beruf kenne, der so vielfältig ist und der soviel mit dem Leben zu tun hat. Ich komme mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt, mit armen und reichen, klugen und einfachen ... und alle haben erstaunlicherweise ganz ähnliche Fragen und Bedürfnisse: Wo bin ich zuhause? Wo werde ich gesehen? Wer liebt mich? Was gibt meinem Leben Sinn.
Mich mit ihnen auf die Suche nach Antworten zu machen, das ist ein äußerst erfüllender Beruf.
Was wünschen Sie den Menschen fürs neue Jahr?
Habt Zuversicht. Oder: Lasst Euch die Zuversicht nicht nehmen.
>>> Ein etwas anderer Silvestergottesdienst <<<
Ein besonderer Silvestergottesdienst startet am 31. Dezember, 17 Uhr, in St. Suitbert (Klapperstraße 70, 45277 Essen). In der Kirche wird der ökumenische Gottesdienst ausgestrahlt, den die ARD mit Gereon Alter und der evangelischen Theologin Sarah Vecera im Gasometer Oberhausen aufgezeichnet hat.
Das Motto lautet „Ein zerbrechliches Jahr“, angelehnt an den Titel der Gasometer-Schau „Das zerbrechliche Paradies“. In der Kirche wird mitgefeiert.