Essen. Mehr Romanze als Krimi und Gerichtsdrama: „Der Gesang der Flusskrebse“ ist im Kino etwas langatmig geraten. Hier dreht sich alles um die Liebe.

Weit ist das Land der Marsch, nichts als Gräser und Wasser. Aus der Perspektive des Vogels, der hoch oben am Himmel seine Kreise zieht, sieht man es genau: niemand da, nirgends. Die absolute Freiheit. Für Kya, die alle nur das „Marschmädchen“ nennen, ist es die Normalität. Seit ihre Familie sie verlassen hat, lebt sie allein in einem Haus in der rauen Ödnis von North Carolina. Die Menschen meidet sie. Ihre Welt sind die Pflanzen und Seevögel, Muscheln und Steine, die sie in den Salzwiesen und Sandbänken findet und zeichnet. Bis eines Tages zwei Männer in ihr Leben treten. Ein Verbrechen ereignet sich. Und plötzlich ist nichts mehr wie es war.

Delia Owens’ Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ wurde 2018/2019 überraschend zum Welterfolg. Das Buch der studierten Zoologin, die lichte Marschlandschaften im Süden der USA beschreiben kann wie keine zweite, steht bis heute oben auf den Bestseller-Listen.

„Der Gesang der Flusskrebse“ beginnt mit einem Verbrechen

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Nun sind die mutige Kya Clark, der charmante Tate Walker und der Fiesling Chase Andrews unter Netflix-erprobter Regie von Olivia Newman („First Match“) im Kino angekommen. Das war vorhersehbar. Ein leichtes Unterfangen ist es dennoch nicht. Der Roman ist Liebesgeschichte und schillernde Ode an die Natur. Aber er ist auch Krimi und Gerichtsdrama. Er ist poetisch – aber mit seinen Verwicklungen auch sehr spannend. Und genau das ist das Problem: Im Kino ist Kyas Geschichte ein wenig lahm geraten.

Dabei beginnt alles mit einem Verbrechen. Eines Morgens liegt die Leiche des jungen Chase im Sumpf; jemand hat ihn vom alten Feuerwachturm gestürzt. Die Polizei vermutet einen Mord. Oder war es vielleicht doch nur ein Unglück?

„Der Gesang der Flusskrebse“: Mit Tate (Taylor John Smith) freundet Kya (Daisy Edgar-Jones) sich an. Aus den beiden wird ein Liebespaar.
„Der Gesang der Flusskrebse“: Mit Tate (Taylor John Smith) freundet Kya (Daisy Edgar-Jones) sich an. Aus den beiden wird ein Liebespaar. © filmverleih | Filmverleih

Ein Fall, das beschauliche Barkley Cove ziemlich durcheinanderwirbelt. Wer hier nicht dazu gehört, hat es schwer in den USA der 50er-, 60er-Jahre. Und so dauert es nicht lang, bis der Verdacht auf die Außenseiterin fällt, das Marschmädchen. Sie wird angeklagt und wegen Mordes vor Gericht gestellt. Der Anwalt Tom Milton glaubt an ihre Unschuld. Er übernimmt die Verteidigung.

Daisy Edgar-Jones („Normal People“, „Fresh“) ist eine ebenso hübsche wie zurückhaltende Kya. Ein wildes Marschmädchen, „frei wie der Wind und schlau wie ein Fuchs“, ist sie eher nicht. Ängstlich schaut sie mit großen rehbraunen Augen in die Welt – nur Mabel und Jumpin’, das schwarze Ehepaar, das den örtlichen Lebensmittelladen betreibt, sind gut zu ihr. Hier erhält Kya schon als Kind im Tausch für ihre Muscheln Lebensmittel.

Rückblenden und Gerichtsszenen wechseln sich ab

Wie im Roman wechseln sich Rückblenden und Gerichtsszenen ab. Die kleine Kya mausert sich zur attraktiven (und für ein Leben in den Sümpfen überraschend gut gekleideten) jungen Frau, die anmutig mit ihrem Boot durch die Lagunen fährt. Bald fällt sie den jungen Männern im Ort ins Auge. Mit Tate (Taylor John Smith) freundet sie sich an. Er bringt ihr das Lesen und Schreiben bei. Als er sie verlässt, um Biologie zu studieren, lernt sie den brutalen Chase (Harris Dickinson) kennen. Eine unselige Liaison beginnt.

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Drehbuchautorin Lucy Alibar und Regisseurin Newman bleiben eng am Roman, was gut ist. Fast atemlos wird die Handlung nacherzählt. Ihr Hauptaugenmerk liegt jedoch auf der Romanze, die ein bisschen kitschig ist, ein bisschen sehr dramatisch und auf der Leinwand wunderschön anzusehen wie die Landschaft von North Carolina und die beiden Liebenden selbst. Dafür fallen der Krimi und seine feine Entwicklung in weiten Teilen unter den Tisch.

Im Film lässt sich die Geschichte gut noch einmal nachempfinden

Dem Roman wird das nicht gerecht. Es braucht die Vielschichtigkeit, um das Ende richtig wirken zu lassen. Im Buch kommt es wie ein lauter Rumms daher. Im Kino bleibt man mit einem leisen „Klack“ zurück.

Und so ist der Film für die, die Delia Owens gelesen haben, durchaus sehenswert, um alles noch einmal nachzuempfinden. Die, die sie nicht gelesen haben, werden den Hype um den „Gesang der Flusskrebse“ nicht verstehen. Und das ist richtig schade.