Essen. WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets: „Nennt mich nicht Nigger“ – Kurzgeschichten von Josef Reding, die Partei ergreifen für benachteiligte Menschen.

Es ist da eine Geschichte von Josef Reding, die kann uns auch in diesen Corona-Zeiten noch ein Licht aufsetzen: Der Mann vom Amt besucht den alten Kobbe und droht ihm, das Wohlfahrtsgeld zu streichen – weil er ihn im Kino gesehen hat. „Schauen Sie in die Pfanne, ob ich mir ein Schnitzel brate“, sagt der alte Kobbe, „gucken selbst in meinen ollen Kleiderschrank ohne Tür, ob etwa ein neuer Anzug da hängt.“ Dass ein armer Mensch gleichwohl nicht nur im Magen Hunger haben kann, das kommt dem Mann vom Amt gar nicht in den Sinn, „Nein“, lautet der letzte Satz der Geschichte „Sie begreifen mich nicht.“

Umso mehr ist mit den Erzählungen von Josef Reding zu begreifen, auch heute noch. Der Mann, der als Sohn eines Filmvorführers 1929 in Castrop-Rauxel zur Welt gekommen war und als Teil der Flakhelfer-Generation in den letzten Kriegstagen noch zu Hitlers letztem Aufgebot gehörte, hatte das „Nie wieder“ zutiefst verinnerlicht.

In den 50er-Jahren als Stipendiat in die USA

Was für ein Schock muss es da für ihn gewesen sein, als er in den 50er-Jahren als Fulbright-Stipendiat in die USA kam und erlebte, dass die Befreier von 1945 in ihrem eigenen Land Bürger zweiter Klasse kannten und Schwarze in jeder Hinsicht diskriminierten – für Josef Reding ein Skandal, den er in einigen seiner frühen Erzählungen zum Thema machte. So wurde eine von ihnen – „Nennt mich nicht Nigger“ – zur Titelgeschichte seines ersten großen Bucherfolgs. Reding schrieb auf der Seite der Benachteiligten, der Unterdrückten in aller Welt, von Südamerika bis Gelsenkirchen.

Darin steht etwa der ehemalige Landser mit seinem alten Rucksack über der Emscherkloake und erlebt dort eine in jeder Hinsicht komische Begegnung mit einem Tierschützer; da ist aber auch der neue junge Lehrer, der seine Schulklasse im „Dritten Reich“ mit Souveränität und Herzenswärme erobert, bevor er von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs nicht nur erzählt, sondern auch an ihnen stirbt; da ist der ganz normale Mann, der einen Radfahrer mit seinem Auto touchiert, weil er sich noch nicht umgestellt hat vom alten Volkswagen auf seinen neuen, breiten Straßenkreuzer der Wohlstandsrepublik Deutschland („Fahrerflucht“); oder der Kriegsblinde, der glaubt, wieder ein wertvoller Mitarbeiter seiner Firma zu sein, aber so grausam aus seiner Illusion geholt wird. Es sind Geschichten aus einer Zeit, als das Brummen der Bulldozer noch wie das Vorspiel zu einer besseren Zukunft für die Menschen von der Zeche klingen konnte.

Bestenlese der „Kurzgeschichten aus zwei Jahrzehnten“

Der 2019 im Alter von 90 Jahren verstorbene Josef Reding , der sich in seinem Schreiben zeitlebens gegen die „Überfütterung der Sinne mit dem Blätterteig klebrigen Scheinwissens“ zu wehren versuchte, hat später eine Art Bestenlese seiner „Kurzgeschichten aus zwei Jahrzehnten“ unter dem gleichen Titel veröffentlicht; im Vorwort „Mein Bekenntnis zur Kurzgeschichte“ stellte Reding fest: „Leider müssen die meisten der hier vorliegenden Geschichten als aktuell angesehen werden. Leider darum, weil sich nach zwei Jahrzehnten die Lage bestimmte Gruppen in der Familie Mensch nicht wesentlich zum Guten verändert hat.“ Jahrzehnte später gilt das tatsächlich immer noch.

Josef Reding: Nennt mich nicht Nigger. Kurzgeschichten aus zwei Jahrzehnten. WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets , Klartext, 281 S., 9,95 €

Bislang besprochen wurden die „ WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets “-Bände: - die Kumpel Anton-Glossen - Max von der Grüns „Irrlicht und Feuer“ - Michael Klaus’ „Nordkurve“ - „Streuselkuchen in Ickern“ von Hans Dieter Baroth - Ralf Rothmanns Revier-Roman „Milch und Kohle“ und Liselotte Rauners „Ein Stück Himmel. Gedichte und Epigramme“ .