Essen. „Ein Stück Himmel“: Die WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets präsentiert Liselotte Rauner. Ihre Revier-Lyrik ist human-politisch und bis heute aktuell.

Mit fast 50 Jahren war Liselotte Rauner eine literarische Spätstarterin. Ausgerechnet in der jugendlich dominierten antiautoritären Revolte der späten 60er-Jahre begann sie, als Autorin an die Öffentlichkeit zu treten, nahm teil an der vielfachen Talentschmiede namens Literarische Werkstatt Gelsenkirchen, gründete den „ Werkkreis Literatur der Arbeitswelt “ mit, und als ihr erster Gedichtband erschien, war sie 51. Da sie Gedanken über Mensch und Gesellschaft, Politik und Alltag, Rebellion und Ohnmacht in lakonische bis ironische Verse fasste, blieb ihr Gesamtwerk schmal – zumal sie sich nach dem Tod ihres Mannes Walter, der ihre rechte Hand war, aus der Öffentlichkeit zurückzog: „Das Glück ein letzter Schimmer / von fern“, schrieb sie trauernd, „und ich umkreise noch immer / meinen längst erloschenen Stern.“

Liselotte Rauner (1920-2005)
Liselotte Rauner (1920-2005) © WAZ | fremdBILD

Als Lilo Rauner mit dem Schreiben begann, sollte Lyrik noch von möglichst vielen Menschen verstanden werden; sie musste sich nicht immer einen Reim auf die Dinge machen, aber verboten war es auch nicht. Lilo Rauners Gedichte sind im Ton wie im Engagement deutlich von Bert Brecht inspiriert, aber bei aller Genauigkeit doch wärmer, humaner im Ton.

Liselotte Rauner schrieb unter der Spannung von Gegensätzen

1920 in der Saalestadt Bernburg geboren, erlebte Liselotte Rauner im „Dritten Reich“ nächtliche Hausbesuche der SA, Verhaftungen, Gewalt auf offener Straße, daheim dagegen Erziehung zu Nächstenliebe und Widerstand. Unter der Spannung dieser Gegensätze schrieb sie erste Gedichte. Sie ließ sich in Schauspiel und Gesang ausbilden, hatte ein erstes Engagement am Landestheater Bernburg. Doch dann kam der Krieg, nach dessen Ende sie nach Wattenscheid zog.

Liselotte Rauner schrieb Kurzprosa, Lyrik, Aphorismen und Chansons, die von Liedermachern und Protestsängern vertont wurden. Sie hatte ein kritisches Auge auf den Rückbau der Zechenindustrie und der Hochöfen, sie riss dichtend den Phrasen, mit denen Ungerechtigkeit und Ausbeutung kaschiert werden sollten, die Masken herunter. Die Arbeiterdichterin, als die sie sich gerne sah, hatte aber auch ein Ohr für Zwischentöne, hatte den Mut zum Gefühl und besang das Restglück in der beschädigten Natur.

Liselotte Rauner mit dem „Literaturpreis Ruhrgebiet“ geehrt

Als erste überhaupt, noch vor Max von der Grün, bekam sie 1986 den neuen „Literaturpreis Ruhrgebiet“ zugesprochen. Ihr letzter Gedichtband „Alles in Bewegung“ erschien 1990. Für die WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets hat der in Herne lebende Schriftsteller Volker W. Degener als Herausgeber des Bandes „Ein Stück Himmel“ Texte von Liselotte Rauner zusammengestellt und ein würdigendes Nachwort geschrieben. Degener arbeitet im Vorstand der 1998 vom gemeinsam gesparten Geld gegründeten „Walter und Liselotte Rauner-Stiftung“ zur Förderung neuer Lyrik.

Liselotte Rauner: Ein Stück Himmel. Gedichte und Epigramme. WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets, Klartext Verlag, 110 S., 7,95 €.

Bislang besprochen wurden die „ WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets “-Bände: - die Kumpel Anton-Glossen - Max von der Grüns „Irrlicht und Feuer“ - Michael Klaus’ „Nordkurve“ - „Streuselkuchen in Ickern“ von Hans Dieter Baroth und Ralf Rothmanns Revier-Roman „Milch und Kohle“ .