London. . Es lebe der monumentale Ausschnitt einer monumentalen Welt: Starfotograf Andreas Gursky stellt ein Viertel seines Gesamtwerks in London aus

Wer hat schon ein Wohnzimmer, das groß genug ist, um einen Gursky an die Wand zu hängen? Der deutsche Foto-Künstler aus Düsseldorf mag in seinen Bildern eine „demokratische Perspektive“ und „eine Welt ohne Hierarchie“ anstreben, aber leisten können sich seine Werke nur Menschen mit viel Geld. Und das nicht nur wegen der dazu nötigen XXL-Wände. Umso schöner also, dass jetzt in London eine umfassende Retrospektive des Meisters gezeigt wird. Auf rund 250 veröffentlichte Fotografien hat es Andreas Gursky in seiner Karriere gebracht, die bisher fast vier Jahrzehnte umfasst. 68 Werke, also ein gutes Viertel seines Œuvres, sind bis Ende April in der britischen Hauptstadt zu sehen, darunter acht neue Arbeiten. Eine seltene Gelegenheit. Ein Genuss.

Das große Format ist Gurskys Markenzeichen, und er verwendet es, weil er keinen kleinen, sondern einen möglichst riesigen Ausschnitt von der Welt zeigen will. Das kann so weit gehen, einen ganzen Kontinent wie in „Antarctic“ (2010) oder gar die Tiefen des Weltraums wie in „Supernova“ (1999) ins Bild zu bringen. Aber diese Werke sind Ausnahmen, geht es Gursky doch nicht darum, den Menschen aus seinen Bildern völlig auszuklammern. Stattdessen will er zeigen, wie klein der Mensch und wie grandios die Welt ist.

Auf das Konzept des großen Formats kam Gursky durch Zufall. 1984 nahm er einen Schnappschuss vom „Klaussen Pass“ in den Schweizer Alpen auf und entdeckte erst später, als er das Negativ vergrößerte, dass auch vereinzelte Bergwanderer im Bild waren. Seitdem verwendet er das Stilmittel der großen Distanz und des monumentalen Ausschnitts, um die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt abzubilden. Dabei treten keine Individuen auf: Der Mensch wird zur Spezies, zum gesichtslosen Akteur, manchmal zur Ameise.

In „Salerno I“ von 1990, das die italienische Hafenstadt aus großer Distanz mit zu verladenden Autos im Vordergrund, den Schiffen im Hafen in der Mitte und der Stadt und der zersiedelten Landschaft mit ihren Bergen im Hintergrund zeigt, ist keine einzige Person zu sehen. Aber als kollektive Gestaltungsmacht ist die Rolle des Menschen überall, in jedem Teil des Bildes, in Straßen, Kais und Häusern präsent. „Alle meine Landschaften“, sagt Gursky, „sind menschengemacht. Mein Interesse gilt den Leuten, der Zivilisation, der menschlichen Präsenz und Aktivität“. Auch ein Grund, warum er seine Bilder am Computer vollendet.

So zeigt Gursky uns die Welt, wie wir sie noch nicht gesehen haben. „Chronist des Kapitalismus“ wird er genannt, und mit Fotos wie „99 Cent“ (1999), das einen überdimensionierten Süßigkeitenmarkt in den USA zeigt, oder „Frankfurt“ (2007), das die Schalterhalle ins Bild bringt, wird deutlich, warum. Das geregelte Chaos auf dem Handelsparkett der Börse in Tokio oder die Ölschliere auf einem Fluss in Bangkok, eine Lagerhalle von Amazon oder der hoffnungslos vermüllte Grünstreifen einer spanischen Schnellstraße: Gurskys Panoramen konfrontieren den Betrachter mit einer Realität, die durch die Kräfte des Industrialismus und der Globalisierung geformt wurden. Und das stets in brillanten Farben und gestochener Schärfe.