Berlin. Die Zahl der Ärzte in Deutschland ist gestiegen. Letztes Jahr kamen auf einen Arzt rund 230 Einwohner. 1980 waren es noch 452 Einwohner. Doch die Vorhersagen für die Patienten werden düsterer. Wie passt das mit dem Ärztemangel überein? Trends und Probleme bei der ärztlichen Versorgung heute.
Jahr für Jahr gibt es mehr Mediziner in Deutschland - und trotzdem werden die Lücken für die Patienten größer. Um 53.135 ist die Zahl der berufstätigen Ärzte allein innerhalb von zehn Jahren gestiegen - auf 357.252 im vergangenen Jahr.
Das zeigt die neueste Statistik der Bundesärztekammer. Kamen 1980 noch 452 Einwohner auf einen Arzt, waren es 2013 nur 230. Wie passt das mit den ebenfalls immer zahlreicheren Klagen über den Medizinermangel zusammen?
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Beispiel Hochschwarzwald: Wilhelm Niebling ist hier Allgemeinarzt, er arbeitet zudem als Professor für Allgemeinmedizin in Freiburg. Seit Jahren wirbt Niebling dafür, dass mehr junge Ärzte im Schwarzwald arbeiten - offenbar mit begrenztem Erfolg.
Als er vor 25 Jahren in Titisee-Neustadt anfing, gab es dort elf Hausärzte - alle jünger als 50. Heute sind es acht - die Hälfte über 60. Jetzt sieht Niebling eine Zeitbombe ticken, wie er jüngst der örtlichen "Badischen Zeitung" sagte.
Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärzte steigt
Die neuen Zahlen der Ärztekammer bestätigen den Trend. Das Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärzte stieg binnen zehn Jahren von im Schnitt knapp 46,7 auf 53,1 Jahre. Immer mehr gehen in den Ruhestand - die Zahl der Ruheständler stieg vergangenes Jahr um 3,8 Prozent auf 72.540. "Die Statistik belegt eindeutig, dass die demografische Entwicklung auch die Ärzteschaft erfasst hat", mahnt Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery.
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Hinzu kommt: Immer mehr Ärzte arbeiten in Teilzeit. 42.000 waren dies laut Statistischem Bundesamt beispielsweise noch 2005 - 54.000 nach den jüngsten Daten dazu im Jahr 2011.
Eine Ursache laut Experten: Der Frauenanteil steigt. Seit 1991 hat sich der Anteil der Ärztinnen um 34 Prozent auf 45 Prozent erhöht. Auch Allgemeinarzt Niebling meint: Damit die Frauen Job und Familie unter einen Hut bekommen können, brauche es für zwei Ausscheidende künftig drei Nachrücker.
Probleme in ländlichen Regionen
In vielen ländlichen Krankenhäusern ist der Betrieb ohne ausländische Ärzte heute schon nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dementsprechend wuchs deren Zahl allein in einem Jahr um fast 3000 auf 31.236. Zehn Jahre vorher waren es nur 10.275.
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Wen angesichts der Rekordzahl der Ärzte insgesamt trotzdem das Gefühl beschleicht, irgendetwas könne an dem Klagen über den Mangel nicht stimmen, dem antworten Ärztefunktionäre: Mit dem Anteil der Älteren in der Gesellschaft steigt auch der medizinische Bedarf. Tatsächlich gibt es immer mehr abgerechnete Behandlungsfälle. Außerdem schreitet die Medizintechnik voran - es braucht also mehr Spezialisten in Weiß.
"Attraktivere" Regionen müssen nicht klagen
Doch klar ist auch: Könnten Ärzte je nach Bedarf in Deutschland verteilt werden, wäre für die Patienten alles nicht so schlimm. Denn attraktiv erscheinende Regionen haben keinen Grund zu klagen. In Hamburg kommen 151 Einwohner auf einen Arzt - in Brandenburg sind es 276.
Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung wartet besonders für Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt mit einer düsteren Prognose auf: Bis 2025 suchen hier sieben von zehn Hausärzte einen Nachfolger.
Nicht nur im Osten konkurriert die Provinz mit den Städten - etwa auch in Titisee-Neustadt mit der Studentenstadt Freiburg in 38 Kilometer Entfernung. Niebling appelliert deshalb an den Nachwuchs: "Raus aus Freiburg und hinauf in den Hochschwarzwald."
Schlechtere Karten für Kassenpatienten in ärmeren Regionen
Generell haben Kassenpatienten in ärmeren Regionen im Kampf um die Ärzte das Nachsehen. So hat die Münchner Gesundheitsökonomin Leonie Sundmacher in einer Studie bestätigt, dass Mediziner besonders dort gerne Praxen betreiben, wo es viele Wohlhabende gibt.
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Pro Prozent mehr an Privatversicherten gibt es in städtischen Kreisen demnach vier Praxisärzte auf 100.000 Einwohner mehr. Die neuen Länder, Westfalen, Unterfranken und Nordhessen haben besonders wenige Privatpatienten - in Südbayern, am Oberrhein und im Rhein-Main-Gebiet sind es dagegen bis zu einem Drittel der Versicherten.
Was ist zu tun? Nach mehr Medizin-Studienplätzen und weniger Bürokratie ruft Ärztepräsident Montgomery. Unabhängige Experten sehen die Standesorganisationen von Medizinern und Krankenkassen auch gefordert, stärker als heute den Weg etwa für Praxen frei zu machen, in denen angestellte Ärzte abwechselnd arbeiten.
Union und SPD kündigen in ihrem Koalitionsvertrag mehr "Anreize zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten" an - ein Versprechen, das inzwischen zum Standardrepertoire der Gesundheitspolitik gehört. (dpa)