Essen. 12 000 schwerkranke Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. 1000 sterben jährlich, weil sie die Wartezeit nicht überleben. Der Mediziner Professor Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor der Essener Uniklinik, sagt: „Es gibt eine Pflicht für unsere Gesellschaft, sich mit diesem Thema zu befassen.“
1000 Menschen sterben jährlich in Deutschland, weil es für sie kein Spenderorgan gibt. 12 000 stehen auf der Warteliste für ein Organ. Professor Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor der Essener Uniklinik, sagt: „Es gibt eine Pflicht für unsere Gesellschaft, sich mit diesem Thema zu befassen.“ WAZ-Redakteurin Jutta Bublies sprach mit dem Transplantationsmediziner, der Mitglied des Deutschen Ethikrates ist. Aufgabe dieses Rates ist unter anderem die Erarbeitung von Empfehlungen für gesetzgeberisches und politisches Handeln.
Wie viele Menschen in Deutschland haben einen Organspendeausweis?
Nagel: Das wird nicht zen-tral erfasst. Alle Umfragen weisen daraufhin, dass es nicht mehr als zehn Prozent sind.
Sie sagen, jeder sollte sich mit dem Thema Organspende befassen.
Ja. Nicht zuletzt deshalb, weil die statistische Wahrscheinlichkeit, einmal selbst ein Organ zu benötigen, höher ist, als einmal selbst Spender zu werden.
In Österreich und Belgien ist jeder automatisch Organspender. Es sei denn, er widerspricht.
Ich bin nicht für diese Widerspruchs-, sondern für eine Entscheidungslösung. Ob jemand nach seinem Tod Organspender werden will, ist eine sehr persönliche Entscheidung. Aber sie hat Bedeutung über den Einzelnen hinaus. Dies ist die Begründung für eine Pflicht zur Entscheidung.
In Deutschland ist dies bislang nicht der Fall.
Ja, im Moment haben wir eine erweiterte Zustimmungslösung. Da kaum jemand einen Organspendeausweis hat, bedeutet dies, dass in den meisten Fällen die Angehörigen entscheiden müssen. Und zwar, wenn jemand einen Hirntod gestorben ist, etwa nach einer Hirnblutung oder einem Unfall. Nur im Fall eines Hirntodes kommt ein Mensch als postmortaler Organspender infrage.
Was ist ein Hirntod?
Der Hirntod ist definiert als Tod aller Hirnfunktionen. Ist der Mensch an einer Beatmungsmaschine auf einer Intensivstation verstorben, schlägt sein Herz weiter. Äußerlich könnte man annehmen, dass der Patient noch lebt. Er ist aber tot, wenn alle seine Hirnfunktionen abgestorben sind.
Wie ist das, in einer solchen Situation als Arzt auf Angehörige zuzugehen und nach Organen zu fragen?
Dies ist eine, für alle Beteiligten, sehr belastende Situation. Viele Angehörige wissen nicht, wie der Tote zur Organspende stand. Nicht selten sagen sie aus der Verunsicherung heraus: „Nein“. Das ist moralisch völlig in Ordnung, wenn es die Meinung des Verstorbenen wirklich wiedergibt. Ein Nein aus Unsicherheit ist ethisch höchst problematisch. Denn es bedeutet unter Umständen, dass eine lebensrettende Operation nicht durchgeführt werden kann.