Essen. Die Verbraucherorganisation Foodwatch wirft der Lebensmittel-Industrie vor, dass sie aus Kindern Junkfood-Junkies mache und mit ihren Werbemaßnahmen Mitschuld am Übergewicht der Kinder habe. Foodwatch sieht ein „perfides Marketing“, mit dem Kinder an Marken gebunden werde.

Zuckerbomben, perfide Werbung, Lobbyarbeit: Die Lebensmittelindustrie macht aus Kindern „Junkfood-Junkies“ und verursacht Übergewicht, kritisiert die Verbraucherorganisation Foodwatch. Sie hat in einem Marktcheck spezielle Lebensmittel für Kinder unter die Lupe genommen. Das Fazit fällt aus Sicht der Verbraucherschützer erschreckend aus.

Die Produkte, die Lebensmittelhersteller speziell für Kinder vermarkten, seien in den meisten Fällen ernährungsphysiologisch minderwertig, stark zucker- oder fetthaltig, aromatisiert, so Foodwatch. Das gelte keinesfalls nur für klassische Lebensmittel. Auch Frühstücksflocken seien fast immer Zucker- und Kalorienbomben.

Lebensmittelindustrie laut Foodwatch Kern des Problems

„Die Industrie will Kinder so früh wie möglich auf ungesundes Junkfood programmieren“, sagte Foodwatch-Mitarbeitern Anne Markwardt. „Die Unternehmen tragen daher eine erhebliche Mitverantwortung für die grassierende Fehlernährung von Kindern“. Die Lebensmittelindustrie sei daher nicht Teil der Lösung, sondern Kern des Problems, weil sie Kindern massenhaft Junkfood aufdränge und sie zur falschen Ernährung verführe.

Für den Markreport „Kinder kaufen“ nahm Foodwatch nach eigenen Angaben 1514 „Kinderlebensmittel“ unter die Lupe und bewertete sie nach der so genannten Ernährungspyramide des staatlich geförderten Verbraucher-Informationsportals aid. Das Ergebnis: Fast drei Viertel der Produkte (73,3 Prozent) fielen in die „rote“ Kategorie an der Spitze der Pyramide.

Süße und fette Snacks sparsam verzehren

Es handele sich um süße und fette Snacks, die nur „sparsam“ verzehrt werden sollten. Nur 12,4 Prozent der Produkte könnten der grünen Kategorie an der Basis der Pyramide zugeordnet werden – solche Lebensmittel sollten Kinder eigentlich „reichlich“ verzehrt werden. „Die Produktpalette im Kinder-Segment entspricht somit ziemlich genau dem Gegenteil der ernährungsphysiologischen Empfehlungen“, so Markwardt.

Perfides Marketing von Lebensmittelhersterllern 

Foodwatch kritisiert ein „perfides Marketing“, mit dem Lebensmittelhersteller versuchten, „Kinder so früh wie möglich an die eigene Marke zu binden und in jungen Jahren Geschmacksprägung möglichst für ein ganzes Leben zu erreichen.“ Vertreter der Süßwaren-Konzerne würden auf Kongressen als Experten für gesunde Kinderernährung auftreten und sich dem Staat, Sportverbänden, Schulen und sogar Kindergärten als Partner für Anti-Übergewichtsprogramme und Bewegungsinitiativen andienen.

Foodwatch nennt konkrete Beispiele

• Mit Comicfiguren, Stars als Werbeträgern, Spielzeug-Beigaben, Gewinnspielen und Aktionen würden Hersteller Kinder für Snacks und Junkfood ködern

• Im Internet schafften Hersteller mit Online-Spielen oder Chats Markenwelten für Kinder. Capri Sonne rufe sie via Facebook dazu auf, Fotos von sich mit dem Produkt hochzuladen und mache Kinder damit zu kostenlosen Werbeträgern.

• Unternehmen stellten Schulen Unterrichtsmaterialien mit Ernährungstipps oder Stundenpläne mit Markenlogo zur Verfügung, würden sich als Sponsoren für Sportabzeichen im Breitensport oder Großveranstaltungen andienen

• Die Molkerei Müller organisiere innerhalb ihrer Kindergarteninitiative „Müller bewegt Kinder“ Bewegungsparcours – und mache damit den angeblichen Bewegungsmangel und nicht die eigenen Produkte zum Gegenstand der Diskussion über einen gesunden Lebensstil.

• Vertreter der Unternehmen Mars oder Nestlé würden bei Fachkongressen als Ratgeber in Sachen guter Kinderernährung auftreten und auf Portalen wie clever-naschen.de (Mars) Tipps zur „Förderung eines aktiven Lebensstils“ und zum „verantwortungsvollen Umgang mit Süßwaren“ geben. Zugleich aber würden sie gegen staatliche Regulierungsmaßnahmen wettern.

Foodwatch wirft dem Staat Versagen vor 

Das Werbebudget der Lebensmittelindustrie für Früchte und Gemüse habe im vergangenen Jahr 7,3 Millionen Euro betragen, der Topf für Schokolade, Süßwaren und Eiscreme aber sei mit 722,8 Millionen Euro 100 Mal so groß, stellt Foodwatch in dem Report fest. „Der Bock macht sich selbst zum Kindergärtner“, so Anne Markwardt.

Auch dem Staat wirft Foodwatch Versagen vor. So binde die Bundesregierung die „Junkfood-Industrie“ in Initiativen ein, statt klare Vorgaben zu machen. Konkret kritisieren die Verbraucherschützer, dass das Bundesernährungsministerium die „Plattform Ernährung und Bewegung“ ins Leben gerufen habe, die angeblichen Bewegungsmangel und nicht die schlechte Ernährung von Kindern als Ursache für Übergewicht benenne.

Firmen ohne Interesse an gesunder Ernährung

Prominente Mitglieder seien: Coca Cola, Ferrero, der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie, McDonald’s, die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker, PepsiCo, Mars. „Das sind Firmen, die kein Interesse an gesunder Ernährung, sondern am Verkauf von Snacks, Junkfood und Soft Drinks haben“, so Foodwatch.

„Produkte, die nicht ausgewogen sein können, wie Süßigkeiten, dürfen nicht länger als Kinderprodukte beworben und mit Comicfiguren, Spielzeugbeigaben, Gewinnspielen oder Idolen direkt an Kinder vermarktet werden“, fordert Foodwatch.

Foodwatch fordert Schulen und Kindergärten als werbefreie Räume

Schulen und Kindergärten müssten werbe- und PR-freie Räume werden. Auch Sponsoring-Partnerschaften mit Unternehmen und gemeinsame Programme zur Bewegungsförderung oder Übergewichts-Bekämpfung müssten beendet werden. „Die Junkfood-Industrie ist kein geeigneter Partner für den Staat, für Schulen und Sportverbände wie den Deutschen Fußballbund (DFB).“