Essen. . Kinderärzte in NRW verordnen viel zu oft Antibiotika – auch bei harmlosen grippalen Infekten. Das belegt eine aktuelle Studie. Dabei helfen die Mittel längst nicht gegen alle Krankheiten. Und ein zu starker Einsatz von Antibiotika öffnet Erregern Tür und Tor.

Viele Eltern halten sie für die schnellen Gesundmacher und Ärzte verschreiben sie manchmal zu fix. Kinder und Jugendliche schlucken in NRW zu oft Antibiotika – auch wenn dies nicht immer nötig wäre. Wobei Hausärzte die Mittel häufiger verordnen als Kinder- oder Hals-Nasen-Ohrenärzte. Dies ist das Ergebnis einer Analyse von bundesweiten Patientendaten der Krankenkasse Barmer GEK der Jahre 2009 und 2010 durch Wissenschaftler der Universität Bremen. Auftraggeber war die Bertelsmann Stiftung in Gütersloh.

Die Forscher um Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen meinen, dass die Verschreibungs-Praxis von Antibiotika in NRW ein Hinweis darauf sein könnte, dass diese Medikamente von Ärzten auch unkritisch verordnet würden – etwa bei harmlosen Infekten. Und dies trotz vorhandener Leitlinien zum Thema Antibiotika-Einsatz.

2010, so zeigte die Untersuchung, wurden unter anderem Kindern und Jugendlichen in Duisburg, Bottrop, Gelsenkirchen, Herne, Bochum, Dortmund, sowie in den Kreisen Recklinghausen, Unna und im Märkischen Kreis besonders häufig Antibiotika verordnet, erläutert Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. Von 100 Prozent der verschriebenen Antibiotika entfielen „40 Prozent und mehr, zum Teil sogar 50 Prozent“ auf diese Altersgruppe. In Mülheim, Essen, Oberhausen und Hagen waren es zwischen 35 und 40 Prozent.

Kinderarzt rät zu „klassischen Methoden“

Zu viel, wie Experten kritisieren. Dass grippale Infekte, Husten, Schnupfen, Kopf- und Gliederschmerzen nicht sofort eine Antibiotika-Einnahme erfordern, betont auch Dr. Josef Kahl, nordrheinischer Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. „Die grippalen Infekte etwa, die zurzeit unterwegs sind, werden zu rund 90 Prozent von Viren verursacht. Dagegen hilft kein Antibiotikum. Das hilft nur gegen Bakterien!“

Derartige Infekte, so der niedergelassene Düsseldorfer Kinderarzt, sollten zunächst mit den „klassischen Methoden“ wie Bettruhe, fiebersenkenden Zäpfchen, Wadenwickeln, Tee, heißer Hühnerbrühe „und eventuell kindgerechten Schmerzmitteln“ bekämpft werden. Natürlich sollten Eltern mit ihrem kranken Nachwuchs zuerst den Kinderarzt aufsuchen, der entscheide, was wann zu geschehen habe. Schluckten Kinder zu oft Antibiotika, bestehe die Gefahr, dass sich bakterielle Erreger an die Medikamente gewöhnten. Die Folge: Antibiotika wirkten dann oft nicht mehr, wenn sie dringend gebraucht würden. Dass Eltern, die berufstätig sind, den Arzt um ein Antibiotikum bitten, in der Annahme, dann wäre das Kind schneller wieder auf den Beinen und die Eltern im Büro, erfährt Kahl auch in seiner täglichen Praxis. „Was mich in meinen Entscheidungen aber nicht beeinflusst.“

Ein großes Problem für Krankenhäuser

Für notwendig hält er Antibiotika bei Kindern und Jugendlichen „wenn diese etwa schwere bakterielle Erkrankungen der Lunge, des Mittelohres oder der Haut haben“.

Auch Dr. Hermann Kalhoff, leitender Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Dortmund, ist für einen zurückhaltenden Antibiotika-Gebrauch. Wie sein Kollege Josef Kahl muss Kalhoff Eltern oft erklären, wann Antibiotika sinnvoll sind („Natürlich bei einer Lungenentzündung“) und wann nicht. „Manche halten Antibiotika eben für ein Allheilmittel.“ Dass ein zu starker Einsatz dieser Medikamente Erregern Tür und Tor öffne, gegen die Antibiotika dann keine Wirkung mehr zeigten und die schwere Erkrankungen verursachten, sei natürlich auch ein großes Problem für Krankenhäuser.

Im übrigen, so Kalhoff, könnten Antibiotika neben Resistenzen auch Magen-Darm-Beschwerden oder Hautausschläge zur Folge haben. ebenso ein erhöhtes Risiko für Allergien.

Was die Barmer GEK-Patientendaten noch zeigten: Deutschlandweit erhielt 2009 jedes zweite drei- bis sechsjährige Kind ein Antibiotikum. Insgesamt 38 Prozent aller Kinder und Jugendlichen.