Düsseldorf/Essen. Nach den Enthüllungen um den massiven Einsatz von Antibiotika in der Geflügelmast startet Nordrhein-Westfalen am Mittwoch in Essen eine Antibiotika-Datenbank, um die Anwendung der Medikamente gezielt zu erfassen. NRW-Umweltminister Remmel reagiert damit auf die in seinen Augen unzureichenden Pläne des Bundes. Die Datenbank sei bundesweit einzigartig, kündigte er an.
Die Ergebnisse der Studie waren mehr als unappetitlich: Kaum ein Masthähnchen in den Betrieben in NRW, dass nicht mit Antibiotika behandelt wurde. Von Februar bis Juli 2011 hatte das Land Nordrhein-Westfalen 182 Geflügelmastbetriebe überprüft - und 96 Prozent aller Tiere waren mit Antibiotika behandelt worden. Ein solch massiver Einsatz von Antibiotika, sagte NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) nach Bekanntwerden der Ergebnisse, sei "nicht mit Krankheit zu erklären".
Das Maßnahmenpaket, das Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) Anfang der Woche vorstellte, geht dem NRW-Minister nicht weit genug. Er bezeichnet es als "Mogelpackung" - und will mit eigenen Maßnahmen den Einsatz von Medikamenten in der Geflügelmast kontrollieren. Die antibiotikafreie Hähnchenmast sei nur noch die Ausnahme, sagte der Minister. „Wir wollen die Trendumkehr. Und dafür steht die Datenbank als ein erster Baustein.“ Nordrhein-Westfalen wolle alle Antibiotika-Ströme in der Tierhaltung offenlegen. Am Mittwochvormittag startete das Land die "deutschlandweit erste Datenbank zum Einsatz von antimikrobiellen Substanzen in der Hähnchenmast". Tierärzte und Landwirte sollen darin eingeben, wann sie wie viele Antibiotika einsetzen.
„Wir brauchen einen besseren Überblick über den Einsatz von Antibiotika. Die Daten werden bisher zwar von Tierärzten und Landwirten dokumentiert, aber nicht zentral erfasst“, sagte Heinrich Bottermann, Präsident des Landesamtes für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (Lanuv). Deshalb hätten es die Behörden schwer, die Verwendung der Medikamente zu überwachen. Die Eingabe der Daten solle zunächst freiwillig sein, bis der Bund den gesetzlichen Rahmen schaffe, hieß es.
NRW fordert Halbierung innerhalb von drei Jahren
NRW fordert unter anderem, dass der Antibiotika-Einsatz innerhalb der kommenden drei Jahre wenigstens halbiert wird. "Nur mit solchen konkreten Reduktionsvorgaben", sagt Remmel, "wird es gelingen, den Einsatz von Antibiotika zu minimieren." Außerdem sollten die Handelswege von Antibiotika genau erfasst werden - vom Hersteller bis zum Tierarzt bzw. Bauern.
Der Einsatz von Antibiotika in der Schweine- und Rindermast werde bereits seit einem Jahr in einer bundeseinheitlichen Datenbank (DIMDI) nach Postleitzahlen aufgeschlüsselt erfasst, erklärt Remmel. Die Geflügelwirtschaft sei davon ausgenommen - warum, versteht er nicht. "Die Bundesregierung hat der Geflügelindustrie einen Blankobrief für den Einsatz von Antibiotika ausgestellt. Das muss ein Ende haben."
Antibiotikaeinsatz in Ställen hat zugenommen
Derweil wurde am Mittwoch bekannt, dass der Verbrauch von Antibiotika in deutschen Tierställen zugenommen hat. Der Bundesverband für Tiergesundheit (BfT) gibt den Verbrauch von Antibiotika in deutschen Tierställen für das Jahr 2010 mit rund 900 Tonnen an. Fünf Jahre zuvor habe der Vergleichswert bei 784 Tonnen gelegen, teilte der Verband der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Mittwoch mit.
BfT-Geschäftsführer Martin Schneidereit sagte, dies sei "keine mächtige Steigerung". Der Hauptgrund für die Zunahme sei, "dass die Produktion von Schweine- und Geflügelfleisch enorm zugenommen hat". Schneidereit widersprach laut "NOZ" Bauernpräsident Gerd Sonnleitner. Dieser hatte gesagt, "die Hälfte der Antibiotika, die bei Tieren eingesetzt werden, geht in die Haustiere - Hund, Katze, Hamster". Dazu sagte Schneidereit, mehr als 90 Prozent der eingesetzten Antibiotika würden für Nutztiere verwendet.
Schneidereit äußerte sich kritisch zum Plan von Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU), den Einsatz von Antibiotika drastisch zu beschränken. "Ich glaube nicht, dass man reduzieren kann", sagte der BfT-Geschäftsführer. Auch Aigners Vorhaben, künftig Tierärzte mehr in die Pflicht zu nehmen, stößt auf Skepsis. Der Vorsitzende des Arzneimittel-Ausschusses der Bundestierärztekammer (BTK), Thomas große Beilage, sagte, seine Organisation richte sich nach Antibiotika-Leitlinien.
Der Deutsche Bauernverband begrüßte die Äußerung des Bundesinstitutes für Risikobewertung, wonach die Belastung von Geflügelfleisch mit resistenten Keimen bereits seit 2009 kritisch verfolgt wird, als Beitrag zur Versachlichung der Debatte. Aus Sicht des Verbands muss jetzt eine umfassende Risikobewertung aller möglichen Verbreitungswege sowohl in der Nutztierhaltung, in der Heimtierhaltung (vor allem Hunde und Katzen) und in der Humanmedizin vorangetrieben werden. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner warnte davor, die Landwirte einseitig zu verurteilen.
In der Landwirtschaft sei der Einsatz von Antibiotika trotz wachsender Tierbestände in den vergangenen Jahren gesenkt worden. Die Bauern hätten gemeinsam mit den in der Landwirtschaft tätigen Tierärzten und der Geflügelwirtschaft ein Monitoring des Antibiotikaeinsatzes beschlossen, berichtete Sonnleitner.
Aigner will Arzneimittelgesetz ändern
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hatte am Dienstag ihr Maßnahmepaket vorgelegt, mit dem sie die Entwicklung resistenter Krankheitskeime vermeiden will.
Ende 2011 hatten Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Studien vorgelegt, die auf massenhaften Einsatz von Antibiotika in der Intensivtierhaltung hindeuten. Bereits heute ist der Einsatz dieser Medikamente als Prophylaxe und zur Leistungssteigerung verboten. Weil sich trotzdem immer mehr Resistenzen ausbilden, sieht das Bundeslandwirtschaftsministerium Handlungsbedarf.
Aigner schickte jetzt einen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes an die Länder und Verbände. Im März will das Kabinett darüber beraten, im Herbst könnte das Gesetz in Kraft treten. Die Novelle sieht sechs konkrete Maßnahmen vor.
Tierärzte müssen mehr Auskünfte geben
Damit sie den Missbrauch auch entdecken können, wird den Überwachungsbehörden der Länder ein erweiterter Zugriff auf die abgegebenen Antibiotika-Mengen ermöglicht. Tierärzte müssen künftig auf Ersuchen der Behörden mitteilen, welches Mittel sie wo, wie lange und gegen welche Krankheit eingesetzt haben.
Antibiotika, die sowohl zur Behandlung von Menschen als auch von bestimmten Tieren zugelassen sind, dürfen in Zukunft nur noch unter besonderen Voraussetzungen bei anderen Nutztieren eingesetzt werden. Geplant ist eine drastische Einschränkung, aber kein generelles Verbot dieser "Umwidmung". Denn beispielsweise für Ziegen und Schafe lassen die Hersteller aus Kostengründen nur wenige Medikamente zu.
Vor einer Umwidmung oder bei einer längerfristigen Antibiotika-Behandlung muss im Labor bestimmt werden, welcher Erreger vorliegt und auf welche Behandlung er reagiert. Darüber hinaus wird untersagt, dass Tierärzte Mittel gegen Krankheiten einsetzen, für die sie nicht zugelassen sind. Und wenn beispielsweise Lebensmittelkontrolleure den Verdacht haben, dass gegen arzneimittelrechtliche Vorschriften verstoßen wird, müssen sie dies künftig melden, auch wenn sie nicht dafür zuständig sind. (we/mit Material von dapd und afp)