Essen. . Ob die Wickeltisch-Flucht junger Väter, Geburtenboom im September oder die wachsende Vormacht der Nichtraucher - die kleinen sozialen Trends schleichen sich immer mehr ein und verändern unser Leben.
Die großen Trends kennen wir: die Globalisierung und das Internet, die Zunahme der Lebenspartnerschaften und die immer älter werdenden Alten. Es sind tiefe „Veränderungsprozesse“, die hier ablaufen, sagt der Zukunftsforscher Matthias Horx. Er sagt aber auch: „Soziale Trends sind wichtiger als technische.“
Soziale Trends, die kleinen zumal, schleichen sich unbemerkt in unser Leben. Viele seit Jahren. Andere sind gerade 2011 aufgefallen. Verbände, Wissenschaftler und Behörden haben sie gesammelt.
Trend: Männer verlängern schlagartig ihre Arbeitszeit, wenn sie Väter werden.
Es ist wie ein Zwang. Junge Väter im Alter zwischen 25 und 39 Jahren arbeiten durchschnittlich zwei Stunden pro Woche länger als ihre kinderlosen Altersgenossen. Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung erklärt das so: „Viele Väter fangen das fehlende Einkommen der Mutter mit längerer Arbeitszeit auf.“ Einleuchtend. Es gibt aber auch den Verdacht, der unter Frauen nach verbreiteter Erfahrung kursiert: dass Väter gerne die Flucht vor dem Wickeltisch ergreifen.
Trend: Die stillen Tage zwischen Advent und Neujahr sind in der liebevollen Zweisamkeit fruchtbarer als der Strandurlaub unter der Sonne von Playa de Palma.
Eindeutig ist das so. Die Geburtenstatistik zeigt: Zwischen 1960 und 1969 kamen die meisten Babys im Februar, März oder April zur Welt. Seither haben sich die Geburten in den Herbst verschoben. Schon neun Prozent der Neugeborenen der Jahre 2000 bis 2009 sind September-Kinder. Rechnen Sie neun Monate zurück...
Trend: Das Auto ist das liebste Kind der Deutschen. Aber junge Menschen wollen vom Autofahren nicht mehr so viel wissen.
Beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg werden nicht nur Punkte gesammelt, sondern auch Daten. Die besagen: Alleine im Jahr 2010 gab es neun Prozent weniger Fahrprüfungen. Auch die Verkaufsziffern der Industrie deuten den Verzicht an. Woran liegt das? Nicht unbedingt an der Demografie. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer: „Den Kunden laufen die Preise davon, den Autohändlern in schwierigen Zeiten die jungen Käufer.“ Die Mobilitätsstudie von Infas und der Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt präzisiert: „Vertreter der jungen Bevölkerung, insbesondere im städtischen Raum, verlassen sich mehr als früher auf den öffentlichen Verkehr oder das eigene Fahrrad.“ Man braucht kein Auto. Der Nachtexpress nach der Disko reicht.
Trend: In Deutschland verfügen Nichtraucher inzwischen über eine satte verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit.
Schon 2007 bekannten sich nach Erhebungen der GfK-Marktforscher stolze 64,8 Prozent zur Tabak-Abstinenz. 2011 sind es überwältigende 71,0 Prozent. Nur noch 20 Millionen Deutsche greifen zur Zigarette. GfK glaubt, dass die Nichtraucherschutzgesetze wirken. Sie verbieten das Qualmen in der Öffentlichkeit und in Kneipen. Ab 2012 liegt auch noch der Steuersatz für Zigaretten bei 72 Prozent. Wie kommt es dann, dass die Tabakkonzerne zufrieden sind mit 2011? Global legten Reemtsma und Co. ja 21 Prozent Börsenwert zu. Das muss an den Chinesen liegen – oder an Helmut Schmidt.
Trend: Das schöne, rot gebundene Familienbuch mit den edlen Dokumenten ist am Ende.
Traurig, aber wahr: Sein langsamer Tod nach 51 Jahren stolzer Existenz hat nicht mal was mit der Traditionsvergessenheit der Deutschen zu tun. Schuld sind der Gesetzgeber und das Wortungetüm „Personenstandsrechtsreformgesetz (PStRG). Seit Januar 2009 muss das Buch bei der Eheschließung vor dem Standesamt nicht mehr angelegt werden. Der Computer löst es ab. Wer mit wem will (Heirat) oder eben nicht mehr (Scheidung) oder sich vermehrt hat (Kinder), weiß jetzt nur noch die Festplatte. „Zu viel Papier, zu viel Aufwand, zu teuer“ ist die Begründung. In wenigen Kommunen hat das Buch noch eine letzte Frist bis 2013.
Trend: Die Politik warnt vor dem Generationenkonflikt. Die Deutschen glauben: keine Sorge. Es gibt keinen.
60 Prozent der Bundesbürger sind da ganz locker, ergab die „Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ (Allbus). Nur 40 Prozent befürchten Reibereien, weil die Älteren immer älter werden und die Jüngeren in die Rolle der (dann zahlenden) Minderheit rutschen. 1980 war das noch anders. 55 Prozent fürchteten damals den Jung/Alt-Streit. Und: man zieht heute an einem Strick. Die Generationen U 30 als auch die Ü 60 sind sicher, dass Opa, Oma und Enkel mal friedlich zusammenleben.