Lüdenscheid.

Ist der Deckel eines Din-A4-großen Pappkartons im juristischen Sinne ein gefährliches Werkzeug? Diese Frage bleibt nicht als einzige unbeantwortet. Der Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung gegen eine 53-jährige Lehrerin für Pflegeberufe lässt noch andere Fragen offen.

Vor allem die entscheidende: Ist sie wirklich schuldig? Die Angeklagte sagt, sie habe nach einem Tacker gegriffen. „Ich habe sie doch nur damit am Arm gestreift.“ Darauf habe die Kollegin nur „Aha!“ gesagt. „Und ich fragte mich sofort, was jetzt wohl wieder passiert.“ Kleinkrieg in einer Krankenpflegeschule.

Die Hauptbelastungszeugin (47) tritt als nervöse Nebenklägerin auf, sekundiert von Rechtsanwalt Achim Keuter aus Gummersbach. Sie sei im Kopierraum von der Frau „mit einer Kiste vor den Oberschenkel geschlagen“ worden, berichtet sie Richter Kabus. Und einen Bodycheck gegen den Oberarm habe sie gekriegt. „Und ihr Blick war Hass und Vernichtung.“

„Die wollen mich vernichten.“

Verteidiger Heiko Kölz befasst sich mit dem ärztlichen Attest, erstellt am Tag der „Tat“. Darin ist von einer Rötung die Rede. Zwei Tage später attestiert ihr dieselbe Ärztin eine Schwellung, „tastbar“. Kölz: „Der Tathergang ist mit dem Attest nicht kompatibel.“

Aber der vermeintlich Verletzten geht es gar nicht nur um diesen Vorfall. Sie hat eine Verschwörung mehrerer Kolleginnen gegen sich ausgemacht. „Die wollen mich vernichten.“ Und zu den Verschwörern gehöre auch der Leiter der Schule. „Der Chef baggert mich an und hat einen Gesichtsausdruck wie ‘Jetzt mache ich dich fertig und ziehe dich aus’.“ Heiko Kölz wirkt ein wenig verwirrt. „Sie meinen, im Sinne von Nackigmachen?“

Richter folgt dem Antrag auf Freispruch

Die Beweisaufnahme driftet ab vom eigentlichen Tatvorwurf. Stattdessen erklingt jetzt eine „Leidensgeschichte“, wie Anwalt Keuter sagt. Von systematischem Mobbing ist die Rede, beteiligt daran soll auch ein Jurist im Dienste des Arbeitgebers sein. Die 47-Jährige: „Der ist auf mich losgegangen.“ Ansonsten würden Türen geknallt und sie werde ausgegrenzt und nicht gegrüßt. „Ich hatte auch schon eine Schraube im Reifen.“

Im Kopierraum war niemand dabei außer den beiden Kontrahentinnen. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren deshalb vor zehn Monaten eingestellt. Dagegen legte das mutmaßliche Mobbing-Opfer Beschwerde ein und reichte das Attest nach. Die Beweislage wird dadurch nicht klarer, aber das Verfahren eröffnet. Die Staatsanwältin beantragt Freispruch. „Die Tat lässt sich nicht aufklären.“ Richter Thomas Kabus folgt dem Antrag. Das Verhältnis der Nebenklägerin zu ihren Kollegen sei wohl „sehr, sehr angespannt“.