Dortmund. . Nach der Schließung des Straßenstrichs im Dortmunder Norden sind die Anwohner geradezu euphorisch. Noch immer weit davon entfernt, ein normaler Stadtteil zu sein, aber zumindest auf einem guten Weg.
So öde wie diese Straße ist keine zweite in Dortmund. Grauer Asphalt, mannhohe Stahlgitter rechts wie links, und dazwischen nichts als Leere. Ravensberger heißt sie und war einmal das Synonym für, sagen wir einmal, das pralle Leben. Zu Hunderten gingen die Huren hier anschaffen. Rumäninnen und Bulgarinnen zumeist, die Armen Europas. Viele verkauften sich für nicht einmal zehn Euro. Vor sechs Wochen schloss die Stadt den Straßenstrich in einer Art Notwehrakt. Seitdem ist Schluss mit lustig. Und die Dortmunder Nordstadt atmet auf. Weit davon entfernt, ein normaler Stadtteil zu sein, aber auf einem guten Weg.
Beamte in Zivil
„Geht’s Dir gut?“, fragt sie und steigt professionell lächelnd die Treppe hinauf. 50er Jahre. Linoleum. Abgeschabtes Leben. Sie im knappen, schwarzen Lederdress. Er, ein Mittfünfziger vielleicht, trägt über Wohlstandsspeck ein dunkles Jackett mit Goldknöpfen. „Lange nicht gesehen!“, sagt sie und er, erfreut, wiedererkannt zu werden, müht sich um einen charmanten Ton: „Ja, war länger nicht in der Gegend!“. Haus Nr. 8 in der Linienstraße, Dortmunds Bordell. Selbst hier, einen Kilometer Luftlinie entfernt vom ehemaligen Straßenstrich, ist man froh, dass wieder Ruhe einkehrt. Und das nicht aus Konkurrenz-Gründen, wie alle eilig betonen.
Dortmunds Nordstadt, sie ist seit Jahrzehnten nicht wirklich schön. Einst Vergnügungsviertel Westfalens, war sie später Arme-Leute-Gegend, Wohnplatz der Migranten. 140 Nationalitäten will man hier gezählt haben. Mit der EU-Osterweiterung, ab 2007, kamen neue hinzu. Und mit ihnen die Probleme: Ein Stadtteil verkam zuletzt in Prostitution, Kleinkriminalität, Drogen und vermüllenden Häusern. Eine seiner zentralen Straßen, die Mallinckrodt-Straße, galt als Schwarzarbeiter-Strich. Hier wurde abgeholt, wer sich für wenig Lohn illegal verdingte. Auf ihrem begrünten Mittelstreifen wurde campiert und gekocht.
Die Huren sind tatsächlich verschwunden
Monate brodelte es, protestierten Schüler, Eltern, Anwohner und Geschäftsleute. Am 16. Mai dann schloss die Stadt den Straßenstrich, riss die 2006 aufgestellten Verrichtungsboxen ab und stellte eine Task Force aus Polizei und Ordnungsamt auf. Beamte, in Zivil und in Uniform, patrouillieren nun rund um die Uhr, kontrollieren die Prostituierten sowie die Freier, Drogenhändler und jene Häuser, in denen ungezählte, vor allem aus dem bulgarischen Plowdiw eingereiste Roma für 200 Euro pro Matratze Unterschlupf fanden.
Dortmunds Bordell-Zone
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Die Huren, sind tatsächlich verschwunden. Bis auf wenige Ausnahmen. Wohin, weiß niemand so genau. In den Nachbarstädten wie Bochum oder Essen tauchten sie bislang nicht auf. Es gebe Hinweise darauf, dass sie in ihre Heimatländer zurückgekehrt seien, sagt Polizeisprecher Kim Freigang und: „Wir sind überrascht, wie ruhig es geworden ist, wie gut alles angelaufen ist“.
„So wie es war, konnte es nicht mehr weitergehen“, sagt Gisela Zohren von der evangelischen Mitternachtsmission, die Huren betreut und beim Ausstieg aus der Prostitution unterstützt. Wie kaum eine zweite kennt sie das Milieu, weiß sie, wie sehr mit der osteuropäischen Einwanderung der Menschenhandel zugenommen hat. „Wir hatten in der Mitternachtsmission schon 16-Jährige, die zur Prostitution gezwungen worden sind“, sagt Zohren.
Viele erkennen eine deutliche Beruhigung in der Nordstadt
Kaum eine Woche sei vergangen ohne Messerstecherei, ohne Revierkämpfe. Mit den unaufgeklärten Frauen habe es vermehrt Abtreibungen gegeben und plötzlich wieder Krankheiten wie Syphilis und Hepatitis. Das Niveau sei abgesackt, heißt es im Milieu.
Nun, nach Schließung des Straßenstrichs, wollen viele eine deutliche Beruhigung in der Nordstadt erkennen. „Das heißt nicht, dass es keine Straßenprostitution mehr gibt, aber es ist nicht vergleichbar mit vorher“, sagt Jürgen Walther, der Leiter der 45-köpfigen Task Force. Anwohner und Geschäftsleute reagieren angesichts dessen geradezu euphorisch. „Endlich können unsere Angestellten wieder zur Arbeit gehen, ohne von den Freiern angemacht zu werden“, sagt Till Kummer, der einen Holzbetrieb neben dem ehemaligen Straßenstrich führt.
Razzia am Straßenstrich
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„Die Polizei hat die Situation wirklich gut gemeistert“, sagt auch Gisela Schultebraucks, Leiterin der Grundschule Kleine Kielstraße. Deren Schüler und Eltern hatten Unterschriften gesammelt, weil sie es nicht mehr ertragen konnten „alle ungelösten Probleme unserer Gesellschaft vor der Haustür zu haben“. Schultebraucks: „Die Nordstadt ist der kinderreichste Stadtteil Dortmunds und die Kinder hatten schlicht Angst“.
„Das war Menschenhandel in höchster Form“, sagt auch er, der Betreiber des Bordells in der Linienstraße Nummer acht. Er verstehe nicht, wie man den Dortmunder Norden so aufgeben konnte. Geschätzte 45 ist er. Einer, der darauf achtet, dass in seinen Häusern Regeln und Gesetze eingehalten werden.
Sicheres Arbeiten
Und so sitzt er auch an dem vor Jahren von den Behörden eingerichteten Runden Tisch „Prostitution“, wird um seine Einschätzung gebeten. Er wisse, dass man ihm Konkurrenz-Gedanken unterstellen könne. Aber Bordelle hätten eine andere Klientel, andere Freier als der Straßenstrich. Ihm gehe es um den Stadtteil, um die Kinder und um ein sicheres Arbeiten für die Frauen“.
Alex, die junge Lettin, sitzt hinter der gläsernen Haustür der Nr. 8. Weißes Lackkleid über fast knabenhafter Figur. Blondes Kurzhaar. Dezentes Make-up. Vor einiger Zeit wurde sie auf dem Weg zum Kino überfallen.
Seitdem hat sie Angst, seitdem hofft auch sie auf mehr Ruhe im Viertel.
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