Essen. SPD-Chef Sigmar Gabriel wirkt zufrieden. In Kürze erwarten seine Lebensgefährtin und er ein Kind. Der privaten Troika „geht es gut“, sagt Gabriel, aber das sei Privatsache. Im Interview geht es deshalb auch nicht um Privates, sondern um die SPD-Troika und Benzinpreise.

Herr Gabriel, die Koalition streitet wegen der Benzinpreise um Pendlerpauschale und Spritbremse. Wofür sind Sie?

Sigmar Gabriel: Jedes Jahr das gleiche Schauspiel: die Mineralölkonzerne zocken die Verbraucher ab, die Minister von CDU/CSU und FDP schreien auf, kündigen „Benzingipfel“ und strenges Durchgreifen an – und es passiert nichts. Die Bundesregierung betreibt auch bei diesem Thema seit Jahren nur Ankündigungspolitik, am Ende kuscht sie doch vor den Mineralölkonzernen.

Es wäre längst Zeit, das Kartellamt zu stärken, bei der EU ein Entflechtungsverfahren anzustrengen, wie es bei den Energienetzbetreibern ja auch erfolgreich war, und in Deutschland eine Regelung durchzusetzen, dass die Tankstellen nur einmal am Tag die Preise erhöhen dürfen.

Und eine Erhöhung der Pendlerpauschale, ein gangbarer Weg?

Gabriel: In Not geratene Politiker wie Herr Röttgen oder Herr Rösler betreiben mit dieser Forderung jetzt im Wahlkampf Volksverdummung. Sie bekommen dafür keinen Cent von ihrem CDU-Finanzminister. Das für eine höhere Pendlerpauschale nötige Geld haben Union und FDP längst für unsinnige Steuersenkungen verplempert. Es muss bei der Pauschale um etwas ganz anderes gehen: Nachdem SPD und Grüne ökologisch sinnvolle Komponenten eingeführt haben und sie z.B. auch für Bahnfahrer gezahlt wird, muss sie jetzt endlich sozialer werden.

Eine Pauschale für die, die sie am dringendsten brauchen

Wie soll das gehen?

Gabriel: Die heutige Pendlerpauschale funktioniert über die Einkommenssteuer. Sie wird nach oben im Einkommen veredelt und verelendet nach unten. Wer sehr viel verdient, bekommt bei der Pendlerpauschale sehr viel heraus, obwohl er es vielleicht gar nicht braucht. Wer wenig verdient, bekommt häufig gar nichts, obwohl ihn die Benzinpreise viel härter treffen. Wer an die Pauschale ran will, muss das endlich ändern.

Wie? Über einen Festbetrag?

Gabriel: Im Rahmen von mehr Steuergerechtigkeit muss man das jedenfalls prüfen. Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen die Pauschale kriegen, die sie am dringendsten bräuchten: Familien mit Kindern, Arbeitnehmer mit durchschnittlichen oder niedrigen Einkommen.

Es gab lange keinen gemeinsamen Auftritt der Troika, nun ist von Streit die Rede...

Gabriel: Im Bundestag treten wir permanent zusammen auf. Und was unsere internen Debatten angeht: Der Unterschied zu Union und FDP ist nicht, dass es bei uns keine Diskussionen gäbe. Aber bei uns haben Debatten eben ein Ergebnis, und dann handeln wir danach. Die Zusammenarbeit, das Profil von uns dreien und weiteren SPD-Politikern wie Hannelore Kraft oder Manuela Schwesig ist eine große Chance. Bei Themen wie Finanzen, Wirtschaft, Soziales, Bildung werden wir uns immer gemeinschaftlich positionieren.

Initiativen für Wachstum und Beschäftigung in Südeuropa

Das klang beim Fiskalpakt mal anders. Worüber stritten Sie mit Fraktionschef Steinmeier?

Gabriel: Wir haben diskutiert, wie man mit der neuen Situation umgeht, dass Frau Merkel sich verkalkuliert hat und für ihren „europäischen Fiskalpakt“ im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt – also die Zustimmung der SPD. Und waren uns einig, dass wir vor allem auf zwei Ergänzungen drängen müssen, damit dieser „Fiskalpakt“ auch funktioniert: die Beteiligung der Spekulanten an den Finanzmärkten an der Entschuldung Europas, denn es kann nicht sein, dass dafür nur die kleinen Leute zuständig sind und die Verursacher ungeschoren davonkommen.

Außerdem brauchen wir dringend Initiativen für Wachstum und Beschäftigung in Südeuropa, weil sonst kein Staat aus der Schuldenfalle herauskommen kann.

Bislang hat Angela Merkels Management der Euro-Krise nicht dazu geführt, dass sich die Wähler von ihr abwenden...

Gabriel: Sie hält sich zu Lasten ihres Koalitionspartners. Frau Merkel kannibalisiert die FDP, das überdeckt noch die Schwäche der CDU: Zusammen kommt die Merkel-Koalition aus CDU/CSU/FDP nicht mal auf 40 Prozent.

Gabriel erwartet Bestätigung für Rot-Grün in NRW

Auch die Mehrheitsfähigkeit von Rot-Grün sah schon besser aus – bevor die Piraten zum Höhenflug ansetzten. Was nun?

Gabriel: Wir werden am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen erleben, dass Rot-Grün eine deutliche Bestätigung erfährt. Dann ändert sich auch die Debatte. Auf Bundesebene ist das Problem, dass es für Mitte-Links eine gesellschaftliche Mehrheit von weit über 50 Prozent gibt, aber bisher keine politische Mehrheit: Denn mit der Linkspartei ist keine Bundesregierung zu bilden, solange die ihre tiefen inneren Konflikte nicht geklärt hat. Und die Piraten werden nicht regieren wollen, weil sie durch Verantwortung für politische Entscheidungen ihren Nimbus zerstören würden.

Aber was heißt das für Sie?

Gabriel: Die Bundestagswahl muss eine echte Richtungswahl werden. Die SPD muss sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren, das Eintreten für sozialen Zusammenhalt und Gerechtigkeit. Und wir müssen klar machen: Wer bei der Bundestagswahl Linke oder Piraten wählt, wählt Merkel.

Täuscht der Eindruck, dass in der Troika alle drei zunehmend Interesse haben an einer Kanzlerkandidatur?

Gabriel: Ich hoffe sehr, dass der Eindruck nicht täuscht.