Kairo. . Das Militär hat die Macht in Ägypten übernommen und Präsident Mohammed Mursi abgesetzt. IM Staatsfernsehen verkündete Oberbefehlshaber General Abdel Fattah al-Sissi einen “Fahrplan für die Zukunft“, der eine Übergangsregierung und Neuwahlen vorsieht.

Solch einen frenetischen Jubel hat der Tahrir-Platz in Kairo seit dem Sturz von Hosni Mubarak nicht mehr erlebt. Menschen lagen sich in den Armen und feierten. Ohrenbetäubend dröhnte der Lärm aus tausenden Vuvuzelas. „Mursi – das Spiel ist aus“, schrieben Menschen mit grünen Laserstrahlen in den Himmel. Von den Nilbrücken schallten Hupkonzerte herüber, Feuerwerksraketen stiegen auf aus dem Fahnenmeer am Boden. „Das Volk und die Armee sind eins“, skandierte die hunderttausendköpfige Menge.

Nach einem dramatischem Tauziehen bis zur letzten Minute übernahm Ägyptens Armeeführung am Mittwochabend um 21 Uhr die Macht und setzte Präsident Mohammed Mursi ab. In vielen Teilen Kairos waren zuvor gepanzerte Fahrzeuge aufgefahren. Der Oberbefehlshaber der Armee, General Abdel Fattah al-Sissi, verlas im Staatsfernsehen den politischen „Fahrplan für die Zukunft“ des Militärs, der die umstrittene Verfassung außer Kraft setzt und das Shura-Parlament auflöst, in dem die Islamisten eine Zweidrittel-Mehrheit haben.

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Umrahmt von Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, Großscheich Ahmed al-Tayyeb von Al-Azhar, dem koptischen Papst Tawadros II., Vertretern der salafistischen Nour-Partei sowie der Rebellenbewegung „Tamarod“ kündigte Sissi an, der Oberste Richter des Verfassungsgerichts, Adly al-Mansour, werde das Land als Interimspräsident führen und zusammen mit seinen Richterkollegen vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vorbereiten. Zudem werde eine „starke und kompetente“ Regierung aus Technokraten gebildet, „die volle Autorität genießt“. Die umstrittene Verfassung soll von Rechtsexperten überarbeitet und dem Volk dann erneut zum Referendum vorgelegt werden.

Schock und Empörung bei den Muslimbrüdern

In einer ersten Reaktion nannte der abgesetzte islamistische Staatschef per Twitter das Vorgehen der Armee illegal und rief die Bevölkerung auf, dem Militärputsch mit friedlichen Mitteln zu wiederstehen. Über Mursis Aufenthaltsort gab es widersprüchliche Angaben. Einmal hieß es, er sei ins Verteidigungsministerium gebracht worden. Andere Quellen meldeten, er sei im Hauptquartier der Republikanischen Garden. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Mena verhängten die Behörden ein Ausreiseverbot über den abgesetzten Präsidenten, ebenso wie über den Chef der Muslimbruderschaft, Mohamed Badie, und den Vize der Organisation, Khairat Al-Shater.

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Im Lager der Mursi-Befürworter, die sich zu Zehntausenden in den Kairoer Stadtteilen Nasr City und Giza organisiert hatten, wurde die Generalrede mit Schock und Empörung aufgenommen. Ein enger Berater von Mursi warf der Armeeführung vor, einen Putsch gegen die gewählte Regierung zu unternehmen. Hunderttausende hätten sich versammelt, um Demokratie und Präsidentschaft zu unterstützen, schrieb Essam al-Haddad auf seiner Facebook-Seite. „Um sie wegzubewegen, wird Gewalt nötig sein.“ Als die Armee am Abend beide Pro-Mursi-Versammlungsorte in Kairo mit gepanzerten Fahrzeugen umzingelte, kam es zu erregten Wortwechseln zwischen Offizieren und Demonstranten. Mehrmals schossen Soldaten in die Luft, um die Menge in Schach zu halten.

Mursi lehnte Rücktritt ab

Zuvor hatte Mursi in der Nacht zu Mittwoch das 48-Stunden-Ultimatum der Armee zurückgewiesen und in einer aufgewühlt-kämpferischen Rede einen Rücktritt kategorisch abgelehnt. Er sei bereit, sein Leben für die Legitimität seiner Wahl zu opfern, rief der Präsident aus und erklärte, es werde zu Chaos und Blutvergießen kommen, sollte er mit Gewalt abgesetzt werden. An die Adresse der Armee erklärte er, er weise jedes Diktat zurück – egal ob national oder international. Der Opposition bot er als politischen Kompromiss an, eine neue Regierung zu bilden, in den nächsten sechs Monaten Parlamentswahlen auszuschreiben und eine Kommission zu etablieren, die umstrittene Passagen der Verfassung überarbeiten soll.

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Die Ansprache des Präsidenten habe nicht die Forderungen der Volksmassen erfüllt, erklärte General Sissi bei seiner TV-Rede am Abend. Zuvor hatte er auf seiner Facebook-Seite Mursi vorgeworfen, sein eigenes Volk zu bedrohen. „Wir schwören bei Gott, auch wir werden unser Blut opfern für Ägypten und sein Volk, um es gegen Terroristen, Radikale und Narren zu verteidigen“, erklärte er. Mursis gesamtes Kabinett ging am Mittwoch ebenfalls auf Distanz. „Das Kabinett weist die Rede von Dr. Mursi zurück, weil sie das Land in Richtung Bürgerkrieg treibt“, hieß es über den Twitter-Account der Regierung.

In der Nacht zu Mittwoch war es bereits in zahlreichen Städten Ägyptens zu Krawallen und Feuergefechten zwischen beiden Lagern gekommen, die sich in der Nacht zu Donnerstag fortsetzten. Die schwersten Übergriffe gab es auf eine Kundgebung der Muslimbruderschaft vor der Kairoer Universität im Stadtteil Dokki. Dort eröffneten bewaffnete Banden das Feuer auf die Menge, töteten 18 Demonstranten und verletzten mehr als 200. Das Gelände grenzt an den Kairoer Zoo und den botanischen Garten, der den bewaffneten Angreifern in der Dunkelheit perfekte Deckung gab. Nach Medienberichten stoppten Bewaffnete am Mittwoch im Stadtteil Giza einen Minibus und drohten, jeden zu erschießen, der einen Bart trage.