Kairo. . Bei Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern des ägyptischen Staatschefs Mohammed Mursi sind am Sonntagabend mindestens zwei Menschen getötet und rund 40 weitere verletzt worden. Landesweit fanden am Sonntag Massendemonstrationen gegen Mursi statt. Die Armee ging vor “mehreren Millionen“ Demonstranten aus.
Sie sitzen im Auge des Sturms und schwitzen. Namen schwirren unter der weiß-grün gestreiften Zeltplane hin und her, während drumherum Zehntausende aus allen Ecken der ägyptischen Hauptstadt auf den Tahrir-Platz strömen. Für die zwei Dutzend Männer, die auf Plastikstühlen im Kreis beieinander sitzen, ist die Ära von Präsident Mohammed Mursi bereits Geschichte. Alle tragen die roten Karten mit „Hau ab Mursi“ der Rebellen-Bewegung „Tamarod“ um den Hals.
Einer trötet mit seiner Vuvuzela in den rot-weißen Nationalfarben Ägyptens in das Gewirr hinein. „Wir haben als neuen Präsidenten keine konkrete Person vor Augen. Alles was wir wollen ist Gerechtigkeit, Arbeit, Brot, Benzin und Strom“, deklamieren sie. „Wir haben unsere Zukunft verloren und die wollen wird zurückhaben.“
„Mursi muss weg“
Und so wirkt ihr kleiner, überschaubarer Zeltkosmos inmitten der unübersehbaren Menge von Mursi-Gegnern wie ein Abbild des frustriert-ratlosen Ägyptens dieser Tage. Das 90-Millionen-Volk am Nil erlebte am Sonntag die wohl größten Protestdemonstrationen seit dem Aufstand gegen Hosni Mubarak Anfang 2011. Aber keiner weiß, wie das Land aus dem Morast wieder herauskommen soll, in den es jede Woche tiefer hineinsinkt.
Mursi muss weg, da sind sich die aufgebrachten Massen auf dem Tahrir-Platz und vor dem zehn Kilometer entfernten Präsidentenpalast in Heliopolis einig. Der neue ideale Staatschef jedoch, den sich die Demonstranten ausmalen, den können wohl selbst die pharaonischen Götter nicht erschaffen.
22 Millionen Unterschriften
Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei jedenfalls gehört nicht zu den Favoriten, auch wenn er in der Nacht zuvor in einer Videobotschaft das gesamte Volk zu einer „zweiten Revolution“ gegen Präsident Mursi und seine Muslimbrüder aufrief. Das Regime sei total gescheitert. Ägypten stehe vor dem Kollaps. Mursi habe das Land in eine Sackgasse gesteuert. „Wir haben ihm einen Führerschein gegeben, aber er kann nicht Auto fahren“, erklärte El Baradei und forderte den Staatschef auf, sein Amt niederzulegen.
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22 Millionen Unterschriften hat die Rebellenbewegung „Tamarod“ nach eigenen Angaben für Neuwahlen gesammelt, das sind knapp die Hälfte aller Wahlberechtigten. Seit Wochen sind die Tamarod-Aufrufe mit dem rot durchkreuzten Kopf von Mursi in ganz Ägypten plakatiert. Und so gingen nicht nur in Kairo, sondern auch in vielen anderen Städten Ägyptens, vor allem im Nildelta und Alexandria, Hunderttausende auf die Straßen. „Ganz Ägypten gegen die Muslimbrüder“ titelten Kairos Zeitungen.
Zwei Lager stehen sich gegenüber
Wie zwei Heerscharen stehen sich das islamistische und das säkulare Lager gegenüber. Denn auch Mursis Anhängern machen mobil. Zehntausende haben seit Freitag rund um die Rabaa Al-Adawiya Moschee in Nasr City ihre Zeltlager aufgeschlagen, etwa eine Stunde zu Fuß vom Präsidentenpalast entfernt. Zwischen den Campierenden halten Milizen der Muslimbrüder militärische Drillübungen ab.
Die Wahl und die Macht Mursis seien legitim, dies anzuzweifeln eine „rote Linie“, sagen seine Anhänger und schwören, ihren politischen Vormann mit „Blut und Seele“ zu verteidigen. Die Opposition dagegen denunzieren sie als Schläger, Überreste des Mubarak-Regimes und politische Verlierer, die sich über die Straße an die Macht putschen wollen. „Das ist ein Kreuzzug gegen uns“, peitschte Assem Abdel-Maged, Chef der ehemaligen Terrorgruppe Gamaa Islamiya, die Menge auf. „Das Thema ist Krieg – und jetzt ist die entscheidende Schlacht.“