Istanbul/Kairo. In Ägypten protestieren Hunderttausende gegen die islamistische Regierung von Präsident Mursi. Laut Sicherheitskreisen sind landesweit 16 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 600 seien Medienberichten zufolge verletzt worden. In Kairo stürmten Demonstranten die Zentrale der Mulimbruderschaft.
Regierungskritische Demonstranten haben am Montag den zentralen Sitz der islamistischen Muslimbruderschaft in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gestürmt. Das Gebäude im Viertel Mokattam wurde gestürmt und in Brand gesetzt, wie ein Korrespondent berichtete. Demonstranten warfen Gegenstände aus den Fenstern, andere plünderten die Räume. Laut Augenzeugen hielt sich zu Beginn der Erstürmung niemand in dem Gebäude auf. Am frühen Morgen war demnach eine Gruppe von Menschen herausgeführt worden.
Ägypten ist ein Jahr nach dem Amtsantritt des aus den Reihen der Muslimbruderschaft stammenden Präsidenten Mohammed Mursi tief gespalten. Während seine Anhänger darauf verweisen, dass er der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens ist, werfen seine Gegner ihm vor, allein die Interessen der islamistischen Muslimbruderschaft zu vertreten, aus der er hervorging.
Mindestens sieben Tote bei Protesten gegen Mursi in Ägypten
Hunderttausende Ägypter haben bei den landesweiten Massenprotesten Präsident Mohammed Mursi zum Rücktritt aufgefordert. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen sind mindestens sieben Menschen gestorben, landesweit waren es 16. Mehr als 600 Menschen seien verletzt worden, berichtete die Zeitung "Al-Ahram" unter Berufung auf das Gesundheitsministerium.
Am ersten Jahrestag seines Amtsantritts riefen die Menschen in Kairo und anderen Städten dem Staatschef "Verschwinde!" entgegen. Sie zeigten ihm die Rote Karte. In der südlichen Provinz Assiut eröffneten nach Angaben der Sicherheitsbehörden bewaffnete Unbekannte auf einem Motorrad das Feuer auf protestierende Aktivisten. Dabei seien drei Menschen getötet und mindestens acht verletzt worden. Ein Demonstrant starb laut lokalen Medienberichten in der ebenfalls südlichen Stadt Bani Sueif bei Zusammenstößen zwischen Unterstützern und Gegnern Mursis. In Fayum sei ein 18-Jähriger ums Leben gekommen. Bei einem Angriff auf die Zentrale der Muslimbruderschaft in Kairo seien zwei Menschen getötet worden.
Demonstranten klagen über Vergiftungserscheinungen
Bei den zentralen Kundgebungen auf dem Kairoer Tahrir-Platz und vor dem Präsidentenpalast blieben hingegen die befürchteten Konfrontationen zwischen den rivalisierenden Lagern aus. Bis tief zum frühen Montagmorgen harrten dort zahlreiche Menschen aus. Oppositionsaktivisten kündigten an, so lange demonstrieren zu wollen, bis Mursi zurücktrete. Ähnliche Szenen hatten sich im Arabischen Frühling 2011 bei den Protesten gegen den damaligen Machthaber Husni Mubarak abgespielt.
Wenige Kilometer vom Amtssitz Mursis entfernt versammelten sich im Kairoer Vorort Nasr-City Zehntausende Anhänger der islamistischen Parteien, um ihre Solidarität mit Mursi zu bekunden. Einige von ihnen trugen Stöcke und Helme bei sich. In der Hafenstadt Alexandria, in Port Said und in der Tempelstadt Luxor gingen ebenfalls tausende Menschen auf die Straßen. In Alexandria klagten mehrere Demonstranten über Vergiftungserscheinungen, nachdem sie von Unbekannten am Straßenrand umsonst Flaschen mit Wasser und Limonade erhalten hatten.
Mehr als 22 Millionen Unterschriften gegen Mursi
Die Massenproteste markieren das Ende einer Unterschriftenkampagne, mit der die Protestbewegung den Staatschef zum Rücktritt zwingen will. Seit Anfang Mai sammelten die Initiatoren von "Tamarud" (Rebellion) nach eigenen Angaben mehr als 22 Millionen Unterschriften gegen den Präsidenten. Die Opposition wirft Mursi vor, er handele nicht wie ein Präsident für alle Ägypter, sondern sei vor allem daran interessiert, die Macht der Muslimbruderschaft auszubauen. Die massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes habe er nicht gelöst. Deshalb habe er seine Legitimität verloren und müsse abtreten.
Für die Muslimbrüder, als deren Kandidat Mursi gewählt worden war, kommen Neuwahlen nicht infrage. Ein Sprecher des Staatsoberhaupts rief die Protestbewegung bei einer Pressekonferenz zum Dialog auf. Der Berater der Muslimbruderschaft, Gehad al-Haddad, sagte, die Opposition müsse akzeptieren, dass Mursi durch faire und freie Wahlen ins Amt gekommen sei. Im Gespräch betonte er, die Anhänger Mursis würden nichts tun, solange die Demonstrationen friedlich blieben. Allerdings fügte er hinzu: "Die Mauern des Präsidentenpalasts sind eine rote Linie."
Viele Ägypter gingen aus Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen weder zu den Protesten noch zur Arbeit. Tausende Ausländer hatten das Land bereits am Samstag verlassen. In den vergangenen Tagen hatte es mehrfach gewaltsame Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern der Islamisten gegeben. Dabei starben sieben Menschen - unter ihnen ein US-Bürger. (dpa/Reuters)