Wesel. Das Gebäude an der Ritterstraße in Wesel wird derzeit zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut. 65 Menschen können ab Herbst hier einziehen.
Die Zeit scheint still zu stehen in der ehemaligen Außenstelle des Finanzamtes: Wer durch die alte Holztür in das Gebäude an der Ritterstraße 12 in Wesel eintritt, der wähnt sich zurück in den Beamtenstuben der 70er-Jahre. Ein bisschen muffig, aber irgendwie mit Charme. Viel Historie steckt hier drin, das Haus wurde um das Jahr 1850 gebaut und diente zwischenzeitlich unter anderem als Amtsgericht. Architekturliebhaber dürften sich ganz sicher an der Treppe mit gusseisernem Aufgang erfreuen.
Ob die vor Krieg und Gewalt in ihrer Heimat geflüchteten Menschen, die hier ab Herbst einziehen werden, einen Blick für solche Details haben, ist eher fraglich. Denn nach langem Ringen hat die Stadtverwaltung nun seit Anfang August die Schlüssel für das seit Jahren leerstehende und sich Besitz des Landes Nordrhein-Westfalen befindende Gebäude erhalten. In Kürze sollen nun die Umbauarbeiten starten, sodass hier in einigen Wochen rund 65 Geflüchtete wohnen können.
„Mit dem Zustand des Gebäudes können wir gut arbeiten“, sagt Thorsten Hummel, Leiter des städtischen Gebäudeservices, bei einem Rundgang durch die Immobilie. Die ehemaligen Büros lassen sich ohne größere Arbeiten in Wohnräume umwandeln. Die Möbel für die Zimmer können teilweise aus dem Bestand der Stadt übernommen werden, einige müssen auch neu gekauft werden. Aufwendiger ist die Erfüllung der strengen Brandschutzauflagen: Dafür muss in die Flure eine Trennwand gezogen werden, auch die Duschen und Sanitärräume im Keller müssen noch gebaut werden.
Flüchtlingsunterkunft: Wesel bleibt auf Kosten für Sanierung sitzen
Rund 250.000 Euro investiert die Stadt in die Sanierung – die Kosten dafür muss sie erstmal selbst tragen. „Es handelt sich dabei um sogenannte Vorhaltekosten“, sagt Sozialdezernent Rainer Benien. Heißt: Geld vom Land zurück gibt es erst, wenn die geschaffenen Betten tatsächlich mit Flüchtlingen belegt sind. Allerdings deckt diese Pauschale dann nur die laufenden Kosten für die Unterbringung ab. „Auf der Investition bleiben wir sitzen“, betont Benien. Immerhin: Das Land überlässt Wesel das Gebäude mietfrei, gerechnet werden muss aber mit mindestens 1200 Euro Nebenkosten im Monat.
Die Flüchtlingssituation in Wesel hat sich derweil wieder deutlich entschärft – seit Anfang des Jahres sind der Stadt erst zehn Menschen zugewiesen worden. Allerdings leben weiterhin rund 2200 Geflüchtete hier, der überwiegende Teil davon in privaten Wohnungen. Laut der sogenannten Erfüllungsquote ist die Stadt nach dem derzeitigen Stand dazu verpflichtet, weitere 52 Flüchtlinge aufzunehmen – sollte das notwendig sein. „Die Lage bleibt sehr dynamisch und kann sich jederzeit ändern“, sagt Rainer Benien.
Die Einrichtung der neuen Unterkunft an der Ritterstraße wurde auch deshalb nötig, weil die Hansaringschule mittlerweile nicht mehr mit Geflüchteten belegt ist. Dort soll künftig wieder eine Schule entstehen. Wie alle anderen Schulgebäude in Wesel wird das Gebäude umfangreich saniert und erweitert, der Altbau soll dabei aber erhalten bleiben. Ende 2024 oder Anfang 2025 sollen diese Arbeiten starten.
Dass die Unterbringung von Flüchtlingen so zentral in der Innenstadt zu Konflikten mit den Anwohnerinnen und Anwohnern führt, glauben die Verantwortlichen nicht. „Wir sehen keinen Grund dafür, warum es einen Dissens geben sollte“, sagt Benien. „Bei Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern steht unser Haus aber immer offen.“ Die Betreuung der Menschen funktioniere auch aufgrund des großen Engagement in Wesel sehr gut. Zudem sieht Benien auch in der Nähe zur Volkshochschule einen Vorteil, denn an der VHS bekommen viele der Menschen ihren Sprachunterricht.
Hintergrund: Die Diskussionen ums alte Finanzamt laufen seit Monaten
Die Nutzung des leerstehenden Gebäudes als Unterkunft für Flüchtlinge drohte lange zu einer unendlichen Geschichte zu werden. Bereits im Spätsommer 2022 wandte sich Bürgermeisterin Ulrike Westkamp in diesem Zusammenhang zum ersten Mal an den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. Damals war der Druck in Wesel, für alle Flüchtlinge eine Bleibe zu finden, enorm, verfügbare Unterkünfte aber Mangelware. Erst nach mehrfachem Drängen kam es zu einer Einigung.
Nun laufe die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes aber sehr gut, betonen die Dezernenten Rainer Benien und Markus Postulka. Gemietet hat die Stadt das Gebäude erstmal bis Ende 2025. Langfristig will die Stadt es aber anderweitig nutzen – es gibt Pläne, die Immobilie vom Land zu kaufen. Als „städtebaulich ansehnliches Gebäude“ in der Innenstadt möchte die Stadt es erhalten und für andere Zwecke nutzen. Rathaus-Büros wären eine denkbare Option.