Schermbeck/Bochum. Prozessbeobachter und das Gericht hatten Freitag mit einem Geständnis des Hauptbeschuldigten gerechnet. Was stattdessen am Landgericht geschah.
Matthias Rittmann ist enttäuscht und auch ein wenig wütend: Der Vize-Vorsitzende des Gahlener Umweltschutzvereins hatte – genauso wie die anderen neun Prozessbeobachter – wohl auf ein Geständnis des Hauptbeschuldigten im Schermbecker Umweltskandal gehofft. Doch dann das: Obwohl die Verteidigung darum gebeten hatte, einen Verhandlungstag in der vergangenen Woche auszusetzen, um mit ihrem Mandanten die „geständige Einlassung“ ausarbeiten zu können, gab es nun von einem der beiden Rechtsanwälte eine überraschende Erklärung: Wenn der Angeklagte jetzt aussagen würde, bestünde die Gefahr, dass er „ein falsches Geständnis ablegt“. Und dies wolle ja sicher niemand.
Deshalb werde der 61-jährige ehemalige Abfallmakler „keine Einlassung“ abgeben. Der Verteidiger ergänzte: „Er wird sich zunächst schweigend verteidigen.“ Immerhin gab der Hauptbeschuldigte bereitwillig und umfassend Auskunft über sein bisherigen Leben – sein vorgetäuschter Selbstmord und seine Flucht vor der Strafverfolgung nach Namibia kamen dabei jedoch nicht zur Sprache. Andererseits lieferten die Angaben doch einige interessante Erkenntnisse über den mittlerweile in Mülheim lebenden Angeklagten.
Bei Nottenkämper für Materialbeschaffung zuständig
Nach seinem Hauptschulabschluss und einer Fleischerlehre war der gebürtige Bottroper schon als junger Mann mit der Entsorgungsbranche in Kontakt gekommen. Er machte sich bald als Müllmakler selbstständig und arbeitete gleichzeitig für die Hünxer Firma Nottenkämper als Prokurist, auf deren Gelände in Schermbeck-Ghalen bekanntlich fast 30.000 Tonnen hochgiftige Ölpellets illegal abgeladen wurden und so den Umweltskandal verursachten. „Für Nottenkämper war ich für die Beschaffung von Materialien zuständig“, erklärte der Beschuldigte.
Die jahrelange Strafverfolgung sowie die Verbüßung einer Haftstrafe wegen anderer Delikte habe ihm enorm zugesetzt, schilderte der Angeklagte. Er befinde sich deshalb zurzeit in Psychotherapie, werde medikamentös behandelt und ihm sei zwischenzeitlich eine 40-prozentige Schwerbehinderung bescheinigt worden. Auch familiär scheint einiges aus dem Ruder gelaufen zu sein: „Die Familie meines Bruders und auch meine Mutter haben sich von mir abgewandt - ich weiß ja noch nicht mal, ob meine Mutter überhaupt noch lebt“, antwortete der 61-Jährige auf die Frage des Vorsitzenden Richters nach Verwandten.
Angeklagter: „Es gibt für mich keine Perspektive“
Seit dem 1. Juni 2021 arbeite er mittlerweile als Angestellter für eine Firma aus Gelsenkirchen im Vertriebsbereich und sei dort für die Vermietung von Tanksystemen zuständig. An eine erneute Selbstständigkeit sei nicht zu denken, so der Angeklagte, der fast schon verzweifelt ergänzte: „Es gibt für mich keine Perspektive, ich weiß ja nicht, wie die Zukunft aussieht.“ Er habe kaum noch Privatleben und öffenbar möchten auch andere mit ihm nichts mehr zu tun haben: „Viele Türen sind für mich inzwischen einfach zu!“
Immerhin verdiene er aktuell 2.000 Euro brutto pro Monat, seinen neuen Job habe er nur bekommen, da er noch immer über „ein gewisses Netzwerk“ verfüge. Nach Schulden gefragt, erklärte er, eine „Forderung im sechsstelligen Bereich der Firma Nottenkämper“ hänge wie ein Damoklesschwert über ihm. Es klang fast so, als sei er ein Opfer des riesigen Umweltskandals.
Nun geht es am Mittwoch, 27. September, am Landgericht Bochum weiter – dann soll das Beweisprogramm geplant werden, kündigte der Vorsitzende Richter an. Es läuft wohl auf ein langes und kompliziertes Verfahren hinaus.
Der Gahlener Matthias Rittmann schüttelt enttäuscht den Kopf: Statt einer zügigen Aufklärung ziehe sich der Prozess wohl noch Wochen hin und werde wahrscheinlich „zähl wie Öl“. Nach Ansicht des Aktivisten hat die Justiz auch viel zu früh den Anfang (BP) und das Ende (Nottenkämper) der Lieferkette aus der Schuldfrage ausgeklammert. Denn Rittmann ist sich sicher: „An diesem Skandal sind viele Personen beteiligt. Sonst hätte das viel eher auffallen müssen, das Giftzeug hat schließlich gestunken wie an einer Tankstelle und es waren tausende Lkw, die die Ölpellets zum Mühlenberg gebracht haben.“