Schermbeck/Hünxe/Bochum. Ein Verteidiger des Hauptbeschuldigten bat um ein Rechtsgespräch. Was er damit erreichen will und was der Gahlener Umweltschutzverein davon hält.
Der Hauptbeschuldigte im Zusammenhang mit dem Schermbecker Umweltskandal war am Dienstag im schicken Anzug zusammen mit seinen zwei Verteidigern zum Prozess am Bochumer Landgericht erschienen. Zwar sagte der 61-jährige ehemalige Müllmakler und Ex-Prokurist der Firma Nottenkämper an diesem zweiten Verhandlungstag kein einziges Wort, schüttelte aber bei der über 30-minütigen Verlesung der Anklage mehrmals den Kopf. Ansonsten verfolgte er aufmerksam die Ausführungen des Oberstaatsanwalts, der ihm unter anderem den vorsätzlichen unerlaubtem Umgang mit Abfällen vorwirft. Konkret: Der Mülheimer soll mitverantwortlich dafür sein, dass von 2010 bis 2013 über 29.255 Tonnen hochgiftige Ölpellets illegal in der ehemaligen Tongrube Mühlenberg in Schermbeck-Gahlen landeten und so einen Umweltskandal auslösten.
Gleich nach der Verlesung der 13-seitigen Anklageschrift wurde die Verhandlung für ein Rechtsgespräch unterbrochen, das einer der Verteidiger erbeten hatte. Nach gut einer Stunde ging es dann weiter, mit einer Erklärung des Vorsitzenden Richters: Die Verteidigung habe angekündigt, dass der Beschuldigte grundsätzlich zu einem Geständnis in Bezug auf die Ölpellets bereit sei. Im Gegenzug für diesen „Deal“ solle es jedoch ein Urteil von „nicht über ein Jahr“ für den Angeklagten geben. Der Oberstaatsanwaltschaft stimmte dem jedoch nicht zu – im Raum steht offenbar eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.
Gahlener Bürger fordern Aufklärung
Trotzdem ließ die Ankündigung eines Geständnisses natürlich die zwölf Prozessbeobachter aufhorchen. Unter anderem Stefan Steinkühler, Vorsitzender des Gahlener Umweltschutzvereins, saß hinten im Gerichtssaal. Er würde sich freuen „wenn der Angeklagte wirklich Ross und Reiter nennt“. Ihm und seinen Mitstreitern gehe es weniger um die Höhe einer Strafe, als vielmehr um die Aufklärung des Skandals: „Ob der jetzt ein oder zwei Jahre bekommt, ist für uns erstmal irrerelevant: Uns ist wichtig, dass endlich geklärt wird, wie überhaupt diese zigtausend Tonnen Giftmüll in die Tongrube der Firma Nottenkämper kommen konnten.“ Steinkühler erinnerte dabei an das Versagen sämtlicher Kontrollen: „Uns geht es um die Sachverhaltsaufklärung!“
Wie die Ölpellets aus der BP-Raffinerie in Gelsenkirchen-Scholven über viele Zwischenfirmen letztlich den Weg nach Schermbeck-Gahlen fanden, listete der Oberstaatsanwalt detailliert auf. Unter anderem erwähnte er eine „Mischbude“ auf einem Recycling-Hof, bei dem der Giftmüll mit anderen Stoffen vermischt wurde, um bei Kontrollen nicht aufzufallen. Das Ganze habe der Angeklagte aus „Gewinnsucht“ gemacht. Dieser habe durch die Abnahme des gefährlichen Ölpellets und unerlaubte Ablagerung in der Tongrube Millionen von Euro eingenommen. Dies griff auch Stefan Steinkühler auf: „Manche sagen ja, es ist lukrativer im Müllbusiness tätig zu sein als im Drogenhandel.“
Dass jetzt wohl endlich ein Abschluss der jahrelangen juristischen Aufarbeitung mit unter anderem fünf Anklagen in Sicht ist, begrüßen alle Beteiligten – auch Stefan Steinkühler sprach von einer gewissen Erleichterung: „Wir würden uns nun freuen, wenn der Angeklagte in seinem Geständnis darlegt, wie er die ganzen Kontrollen umgangen hat oder umgehen konnte und wer ihm dabei geholfen hat.“
Bedrohung für künftige Generationen?
Doch die Sorgen vor Folgeschäden bleiben – vor allem in der Nähe des Mühlenberges an der Gemeindegrenze von Schermbeck und Hünxe: „Wir befürchten eine langfristige Bedrohung durch das Sickerwasser“, sorgte sich der Gahlener und betonte: „Es geht hier nicht um uns, sondern um unsere Kinder und Kindeskinder.“ Denn die müssten darunter leiden, wenn das Gift doch irgendwann ins Trinkwasser gelange. Fortgesetzt wird der Strafprozess am 8. September in Bochum – auf ein mögliches Geständnis darf man gespannt sein.