Mülheim. Personalnot ist längst nicht das einzige Problem in der Pflege. Oft komme es in der Abrechnung zu Verzögerungen - teils sogar bis zur Insolvenz.

Die Pflege ist am Limit - was mittlerweile längst bekannt ist, hat zahlreiche Ursachen. Es sind nicht nur Personalmangel und unattraktive Arbeitsbedingungen, die die Branche beuteln. Auch Zahlungsmoral von Krankenkassen trägt dazu bei. Wie gleich mehrere Pflegedienste und Anlaufstellen bestätigen, ließen sich die Kassen häufig sehr lange Zeit mit der Erstattung der Kosten an die Dienstleister - teils sogar bis hin zur Insolvenz, im schlimmsten Fall.

„Wir können unsere Preise nicht selbst festlegen“, erläutert Christian Westermann, der den Mülheimer Pflegedienst „Engel vonne Ruhr“ gemeinsam mit Kerstin Schreiner führt. Die Preise, die von den Kassen an die Pflegedienste für deren Leistungen zu entrichten sind, werden von den Pflege-Berufsverbänden ausgehandelt. „Diese Verhandlungen finden immer nur einmal im Jahr statt – für gewöhnlich im November – und verlaufen immer sehr zäh“, bemängelt Westermann. So vergingen oft viele Monate, bis die Verhandlungen tatsächlich in einer gültigen Vergütungsvereinbarung enden. „Das Problem ist, dass unsere Vergütungen nicht in dem Maße steigen, wie unsere Kosten steigen und viel zu viel Zeit zwischen Rechnungsstellung und deren Begleichung vergeht.“

Christian Westermann würde sich einen anderen Zeitpunkt für die verhandlungen wünschen.
Christian Westermann würde sich einen anderen Zeitpunkt für die verhandlungen wünschen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Mülheimer Pflegedienst will bei Verhandlungen mitwirken

„Wir wollen mit am Tisch sitzen“, betont Kerstin Schreiner. „Bisher verhandeln da nur die Vertreter der Versicherungen und der Kassen, in der Regel Rechtsanwälte“, bemängelt Christian Westermann. Beiden stößt sauer auf, dass in die Vergütungsverhandlungen in Sachen Pflege überhaupt keine Fachleute für diesen Bereich involviert sind. Eine Petition soll diesem Anliegen nun mehr Nachdruck verleihen. Mit ihr verlangen die Initiatoren unter anderem die Einhaltung der vorgeschriebenen Zahlungsfristen durch die Kostenträger sowie die Refinanzierung der Personal- und Sachkosten.

Die Unternehmen erhalten bisher keinerlei finanziellen Ausgleich für Schulungen und Weiterbildungen wie beispielsweise im Bereich der Wundversorgung, sagen Schreiner und Westermann. Dabei sparten diese Qualifikationen den Krankenkassen sogar Kosten, weil Betroffene aufgrund der qualifizierten Pflege nicht im Krankenhaus behandelt werden müssten. Hier lägen die entscheidenden Probleme. Westermann und Schreiner könnten auch nur nach zwar aktuell noch gültigen, aber bereits deutlich veralteten Vereinbarungen abrechnen, die schon lange nicht mehr ihre tatsächlichen Kosten decken. Die Pflege-Profis vermuten dahinter Kalkül der Kassen. „Die spielen auf Zeit!“ – und eine rückwirkende Abrechnung zu den dann erhöhten Kursen sei nicht möglich. „Wir halten uns an bestehende Vorgaben und die Kassen lassen uns im Regen stehen.“

Kerstin Schreiner hat den Eindruck, die Kassen lassen die Pflegedienste im Stich.
Kerstin Schreiner hat den Eindruck, die Kassen lassen die Pflegedienste im Stich. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Bundesverband weist auf den Mangel an Anforderungen hin

Der Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e.V. erläutert auf Anfrage, dass die Vergütungsverhandlungen immer nach Ende der Laufzeit stattfänden, es dafür aber keinen Automatismus gebe, „denn die Vereinbarungen laufen so lange weiter, bis neue Preise verhandelt wurden.“ Es sei also auch davon abhängig, dass eine Vertragspartei aktiv zu Verhandlungen aufrufe. An den Verhandlungen im Bereich der Pflegeversicherung „verhandeln die Pflegedienste als Vertragspartner direkt mit den Landesverbänden der Pflegekassen, teilweise unter Zuhilfenahme von Pflegesatzverhandlern/Verbänden etc.“. Diese Pflegesatverhandler aufseiten der Pflegedienste seien oftmals Unternehmensberater, Steuerberater, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer. „Hier gibt es aber keine festgelegten Anforderungen“, so der Verein.

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Christoph Treiß ist der Geschäftsführer des Landesverbands freie ambulante Krankenpflege NRW e. V. Er bestätigt, dass die Gesamtsituation äußerst komplex ist. „Wir haben Probleme mit den Zahlungszielen, da die Kassen nicht innerhalb der vereinbarten Zeiträume zahlen“, erklärt er. Das sei ein großes Ärgernis und führe zu Liquiditätsengpässen. Als Grund führt er sowohl strukturelle als auch personelle Probleme bei den Kassen an. „Es gibt zu wenig Hände in der Pflege“, stellt er zudem eines der seiner Meinung nach derzeit aktuellen Probleme heraus. Die daraus resultierende zunehmende Arbeitsverdichtung sei einer der Gründe für die aktuelle Unzufriedenheit. „Unser absolutes Ziel ist es, die steigenden Personalkosten herauszuhandeln. Das hat für uns oberste Priorität“, erklärt Christoph Treiß und stellt abschließend heraus: „Innerhalb der Ausbildungsberufe liegt die Pflege in Sachen Gehältern ganz weit vorn.“

Dauer der Verhandlungen ist von verschiedenen Faktoren abhängig

Die AOK Rheinland/Hamburg ist einer der erwähnten Kostenträger und äußert sich auf Nachfrage hin zur Dauer der Vergütungsverhandlungen. „Die Vielzahl der zu führenden Verhandlungen und die Bandbreite der zu berücksichtigenden individuellen Umstände führen zu sehr unterschiedlichen Verhandlungsstrukturen und -verläufen.“ Mit der Umsetzung des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG), ein Wort mit 48 Buchstaben, sei die Refinanzierung der Tariflöhne bzw. des durchschnittlichen regionalen Entgelts ein Schwerpunkt, bei dem die Dauer der Verhandlungen davon abhängt, ob sich die Parteien schnell etwa auf eine pauschale Dynamisierung der Vergütung einigen oder für „die Lieferung von notwendigen Nachweisen und die anschließende Bewertung entsprechende Zeit benötigen.“

Sechs Wochen nach Verhandlungsbeginn sei jede Partei berechtigt, die Schiedsstelle als neutrale Schlichtungsstelle zu kontaktieren. Nach Aussage der AOK Rheinland/Hamburg werden „die für die Berufsausübung notwendigen Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen über den Sachkostenanteil im Pflegesatz refinanziert.“

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