Mülheim. Die IG Bau sieht in 20 Jahren eine Lücke von fast 9000 seniorengerechten Wohnungen allein in Mülheim. Warum das Problem jetzt schon akut ist.
Als die Frau die Treppen zu ihrer Wohnung kaum noch hinaufkam, brauchte ein älteres Mülheimer Ehepaar eine neue Wohnung. Doch allein der Versuch, auf einer Bewerberliste bei einem Wohnungsbauunternehmen zu landen, scheiterte. Ohne eigenen Internetanschluss mühte sich das Paar, über das Smartphone einen Online-Account anzulegen.
Allein dieses Beispiel zeigt, mit welchen Herausforderungen Menschen im Alter bei einer Wohnungssuche konfrontiert werden. Und das Problem wird in einer alternden Gesellschaft in Zukunft noch größer, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten „Baby-Boomer-Generation“ in das Rentenalter eintreten.
Studie: In Mülheim werden immer mehr altersgerechte Wohnungen gebraucht
Laut Mitteilung der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), die sich auf eine Studie des Pestel-Instituts bezieht, werden in 20 Jahren allein in Mülheim 8.900 zusätzliche Wohnungen benötigt, für Seniorinnen und Senioren, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.
„Man sagt ja seit Jahren, dass Mülheim den demographischen Wandel des Ruhrgebiets vorweggenommen hat, mit einem hohen Anteil an Bewohnern über 65 Jahren“, sagt Christina Heine, Pressesprecherin beim städtischen Wohnungsbauunternehmen SWB. Dementsprechend ist die Thematik für alle Beteiligten in der Stadt keine neue.
Nicht nur alte Menschen ziehen gerne in barrierearme Wohnungen
Auch bei der städtischen Wohnungsvermittlung ist der steigende Bedarf nach barrierefreiem Wohnraum schon jetzt deutlich zu spüren. „Die Altersspanne der Fragenden wird größer“, heißt es dort. Nach oben, aber auch nach unten.
Denn auch Menschen ohne Einschränkungen ziehen präventiv bzw. vorausschauend gerne in barrierefreie Wohnungen. „Jede Barriere weniger ist ja auch für junge Menschen hilfreich – zum Beispiel für Familien mit Kinderwagen“, gibt Christina Heine zu bedenken. Dadurch treten hochbetagte Menschen bei der Wohnungssuche in eine große Konkurrenz, bei der sie nicht gerade zu der bevorzugten Mietergruppe gehören.
Strenge Vorgaben können Kosten und damit Ängste steigen lassen
Um eine Wohnung als barrierefrei oder gar rollstuhlgerecht bezeichnen zu können, müssen strenge Vorgaben eingehalten werden. „Das Thema Barrierefreiheit ist schon vor einigen Jahren vom Gesetzgeber stärker in der Landesbauordnung verankert worden“, erläutert Mülheims Bau- und Planungsdezernent Felix Blasch.
Das Erreichen einer solchen Norm lässt freilich auch die Baukosten steigen. Und auch so schon existieren bei vielen Menschen große Ängste, sich die Miete irgendwann nicht mehr leisten zu können. „Daher wird auch an weiteren Posten wie Essen, Kleidung oder Gesundheitsvorsorge gespart“, heißt es seitens der Mülheimer Seniorenberatung.
Wohnungsbauer wollen Menschen möglichst lange in ihrem Zuhause halten
Zudem bestehe die Sorge, sich die Wohnung nach dem Auszug oder gar Tod des Partners oder der Partnerin nicht mehr leisten zu können. „Die Seniorinnen und Senioren wollen ihr gewohntes Umfeld inklusive der sozialen Bezüge nicht verlassen, haben aber Angst, eines Tages in ihrer Wohnung gefangen zu sein, wenn zum Beispiel ein Treppenhaus nicht mehr bewältigt werden kann“, sagen die Expertinnen und Experten der Beratungsstelle.
„Grundsätzlich ist es heute anerkannte Praxis, den Menschen möglichst lange einen Verbleib in ihrem gewohnten Zuhause zu ermöglichen“, sagt Andreas Winkler, Sprecher der Mülheimer Wohnungsbau eG (MWB). Daher reduziert die Genossenschaft bei der turnusmäßigen Modernisierung ihrer Wohnungen stets Barrieren und Schwellen. „Der sogenannte barrierearme Wohnraum hat den Vorteil, dass er meist auch für Menschen mit einer bescheidenen Rente erschwinglich ist“, sagt Winkler.
Die Seniorenberatung rät aber zur Vorsicht bei der Wohnungssuche, um nicht „senioren- oder altersgerecht“ als komplett frei von Barrieren zu interpretieren.
Welche Herausforderungen in bestehenden Gebäuden existieren
Während die Wohnungsbauunternehmen heute nur noch Wohnungen schaffen, die mindestens als barrierearm klassifiziert werden können, besteht die größte Herausforderung in bestehenden Gebäuden. „Es wird nicht überall gelingen, einen Aufzug einzubauen oder Grundrisse so zu verändern, dass man diese mit Rollstühlen oder Rollatoren gut nutzen kann“, weiß Felix Blasch. Im Zweifel müsste auch über Abriss und Neubau nachgedacht werden. „Das Thema ist aber durch die Wohnungsbaugesellschaften schon erkannt und wird auch in Mülheim schon umgesetzt, zum Beispiel durch SWB in Heißen“, betont der Dezernent.
„Die größte Herausforderung stellen dabei die Häuser aus den 60er-Jahren mit Zwischengeschossen und Hochparterre dar. Diese sind praktisch nicht barrierefrei zu erschließen“, sagt SWB-Sprecherin Christina Heine.
Stadt Mülheim kündigt „Handlungskonzept Wohnen“ für 2024 an
Viele Investoren haben das Feld aber auch schon für sich entdeckt und planen Altenwohnungen, altengerechtes, Service- oder betreutes Wohnen. SWB setzt beispielsweise auf Seniorentreffs, Quartierspunkte mit zielgruppenspezifischen Kooperationen, betreutes Wohnen und Rollatorenboxen.
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MWB hat im Stadtquartier Schloßstraße und am Kuhlendahl Wohnungen errichtet, die in besonderer Weise für Seniorinnen und Senioren geeignet sind. Dort kooperiert die Genossenschaft mit Unterstützungsdienstleistern. Außerdem hat sie den Verein Mülheimer Nachbarschaft gegründet.
Die Stadt hat dabei nicht nur ein Auge auf Richtlinien, die Fördermittel ermöglichen, sondern wirkt auch darauf hin, dass die Projekte im Stadtgebiet verteilt sind, damit in allen Stadtteilen entsprechende Angebote vorhanden sind. Im neuen Jahr soll zudem das Handlungskonzept Wohnen fertiggestellt werden.
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