Mülheim. Fachkräftemangel betrifft die Pflege besonders stark. Ein Mülheimer Pflegedienst hat damit gar keine Probleme und erklärt, wie ihm das gelingt.

Die Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen werden aktuell breit diskutiert. Immer mehr stationäre Pflege-Einrichtungen schließen und auch die Zahl ambulanter Pflegedienste sinkt, während die Zahl der Pflegebedürftigen hingegen steigt. Häufig ist die Rede von akutem Personalmangel, schlechter Bezahlung und allgemein schlechten Arbeitsbedingungen.

„Wir haben keine Probleme, neue Mitarbeiter zu finden“, sagt hingegen Christian Westermann, der gemeinsam mit Kerstin Schreiner den ambulanten Mülheimer Pflegedienst „Engel vonne Ruhr“ leitet. Das Unternehmen wurde 2019 gegründet. Die 57 Mitarbeitenden kümmern sich derzeit um insgesamt 430 Personen. „Die Pflege-Intensität reicht dabei von alle 14 Tage das Treppenhaus putzen bis zu dauerhaft bettlägerigen Menschen, die wir viermal am Tag besuchen“, erklärt Kerstin Schreiner.

Mülheimer Pflegedienst zahlt deutlich mehr als Tariflohn

Es gebe zwei Gründe dafür, dass das Mülheimer Unternehmen keine Probleme habe, neue Mitarbeiter zu finden. Dies sei zum einen das sehr gute Betriebsklima. Zum anderen aber auch die leistungsgerechte Bezahlung, die über dem Tarif liegt. „Bei uns verdient eine Pflege-Fachkraft in Vollzeit über 4000 Euro brutto und eine Pflege-Hilfskraft über 3000 Euro brutto im Monat“, erläutert Christian Westermann. Seit 2022 hat sich die Bezahlung in der Pflege aufgrund des Tariftreue-Gesetzes verbessert. „Das haben wir sehr begrüßt, aber die Refinanzierung der Tariftreue durch die Kostenträger ist schlichtweg nicht vollumfänglich da und das stellt uns vor immense wirtschaftliche Herausforderungen.“

Grundsätzlich sei es eher nicht das Problem, genug Menschen zu finden, die eine Ausbildung in der Pflege beginnen. „Die Herausforderung ist es, Azubis zu finden, die durchhalten“, sagt Kerstin Schreiner. „Es starten viele, aber viele brechen auch im ersten Jahr ab. Dabei haben wir einen tollen, vielfältigen und interessanten Job mit tollen Aufstiegsmöglichkeiten.“ Eines der wichtigsten Ziele bei den „Engel vonne Ruhr“ sei es, den Mitarbeitenden gute Arbeitsbedingungen zu bieten.

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Mülheimer Unternehmer sieht drei Säulen des Erfolgs

„Der Erfolg unseres Unternehmens fußt auf drei Säulen“, erklärt Schreiner. Das seien die Zufriedenheit der Kunden, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und der Ertrag des Geschäfts. „Wenn bei einer dieser Säulen etwas nicht stimmt, dann wirkt sich das unweigerlich auch negativ auf die beiden anderen Säulen aus.“ Deshalb sei es wichtig, alle drei Kriterien aufmerksam im Auge zu behalten und bei Bedarf gegenzusteuern.

Christian Westermann sieht den Allgemeinzustand der Pflege als sehr schlecht an. „Die Pflege ist am Limit“, konstatiert er und geht sogar noch einen Schritt weiter. „Die Pflege unserer Eltern ist nicht gesichert!“, so der Fachmann. Das läge auch an der Zahlungsmoral der Krankenkassen, die sich sehr oft sehr lange Zeit mit der Erstattung der Kosten an die Pflegedienste ließen, was diese im schlimmsten Fall bis in die Insolvenz treibt. Grund dafür sei unter anderem Personalmangel, der auch den Krankenkassen zu schaffen mache. Um den genannten Problemen zukünftig stärker entgegentreten zu können, engagiert sich Westermann in der „Ruhrgebietskonferenz Pflege“, die Protest zu organisieren und Verbesserungen herbeizuführen versucht. „Wir müssen laut werden und dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken.“

„Dieser Effekt wird sich in den kommenden Jahren zunehmend verstärken“

Alexander Keppers ist Geschäftsführer der Mülheimer Seniorendienste. Er bezeichnet die Tatsache, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt, als das derzeit größte Problem der ambulanten Pflegedienste. „Sie befinden sich als Anbieter professioneller ambulanter Pflegedienstleistungen daher regelmäßig in der Situation, nicht alle Kunden-Anfragen bedienen zu können.“ Dabei geht Keppers zudem von sinkenden Ausbildungszahlen aus. „Insgesamt sinkt durch den demografischen Wandel die Anzahl der Menschen, die für eine Ausbildung infrage kommt. Dieser Effekt wird sich in den kommenden Jahren zunehmend verstärken.“ Sein Unternehmen arbeite bereits seit langem und mit großem Aufwand daran, attraktive Arbeitsbedingungen für seine Mitarbeitenden zu bieten. „Als Unternehmen, das unmittelbar und direkt den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst anwendet, hatten wir schon lange vor der Tariftreuepflicht eine attraktive Vergütungsstruktur.“

Mögliche Ansätze, um Verbesserungen herbeizuführen, sieht Alexander Keppers in Bürokratie-Abbau und einer Verbesserung der Finanz-Situation. „Allgemein - und das ist kein ambulantes Problem, sondern ein Problem aller Pflegebereiche - ist der Pflegebereich sicherlich bürokratisch überreguliert und zugleich unterfinanziert. Pflegeunternehmen brauchen finanzielle Mittel, damit sie attraktive Rahmenbedingungen schaffen können.“ Die Kosten für Recruiting und Personalentwicklungsmaßnahmen seien heute um ein Vielfaches höher, als noch vor zehn Jahren. Auch fehlten tragfähige Budgets für Digitalisierungsmaßnahmen. Pflege soll zwar digitaler werden, nur werden dafür keine ausreichenden Mittel zur Verfügung gestellt - insbesondere für gut ausgebildetes Fachpersonal im IT-Bereich, so Alexander Keppers.

Mülheimer Pflegedienst sieht Krankenstand als realistische Gefahr

Kathrin Schnorr ist „Head of Marketing“ bei der PflegePlus GmbH, die insgesamt 200 Mitarbeitende an zwölf Standorten beschäftigt – auch in Mülheim. „Wie viele Unternehmen in der Pflegebranche müssen wir darauf achten, dass stets genug Pflege- und Betreuungskräfte zur Abdeckung des Bedarfes unserer Kunden vorhanden sind und wir auch bei höheren Krankenständen eine optimale Versorgung unserer Kunden gewährleisten können.“ Eine effektive Planung der Pflegetouren sei daher essenziell.

Zudem sei die Arbeit in der Pflege sehr anspruchsvoll und mit psychischer Belastung verbunden. „Aufgrund des Fachkräftemangels in der deutschen Pflegebranche, herrscht ein großer Konkurrenzkampf um qualifizierte Arbeitnehmer. Somit steigen die Anforderungen der Bewerber an potenzielle Arbeitgeber.“ Das umfasse neben der Höhe des geforderten Gehaltes auch Mitarbeiter-Benefits. „Zudem hat die Branche mit hohen Fluktuationsraten zu kämpfen“, so Schnorr.

Mülheimer Pflege-Expertin: „Die Pflege ist sehr vorschriftenlastig“

Sie sieht ebenfalls eine Erschwerung der Praxis durch Vorschriften. „Die Pflege ist sehr vorschriftenlastig und es gibt immer wieder Änderungen und Neuerungen. Dadurch müssen wir uns immer wieder neu anpassen.“ Zusätzlich übernähmen Kassen und Verbände seit einigen Jahren nicht mehr den Anerkennungsprozess für Zertifikate in der Pflege. „So müssen wir eigenständig den Prüfungsprozess der von Bewerbern eingereichten Unterlagen übernehmen. Dies gestaltet sich nicht immer einfach, da sich beispielsweise frühere Arbeitgeber weigern die Praktikumszeit einer Pflegekraft zu bestätigen, wenn dieser das Unternehmen verlässt“, gibt Schnorr zu bedenken.

Unterschiedliche Gesetzesvorgaben je Bundesland stellten eine zusätzliche Herausforderung für die Expansion der PflegePlus Unternehmensgruppe und die Bewerbersuche dar. So könne es unter anderem sein, dass der Abschluss beziehungsweise das Zertifikat einer Pflegekraft nicht in jedem Bundesland anerkannt wird. „Die Folge ist, dass qualifizierte Pflegekräfte nicht deutschlandweit arbeiten dürfen“, so Kathrin Schnorr von PflegePlus. Das Unternehmen hat momentan mehrere Stellen im Bereich der ambulanten Pflege ausgeschrieben und plant, in Zukunft auch selbst auszubilden.

Björn Jadzinski ist im Bezirk Ruhr-West der Gewerkschaft ver.di für den Bereich Gesundheit, Soziale Dienste sowie Bildung und Gesellschaft zuständig. Seiner Meinung nach sind derzeit einfach zu wenige Menschen in der Pflege tätig. „Der Personalmangel ist momentan das größte Problem.“ Das führe dazu, dass Dienstpläne instabil werden, was wiederum zu einer größeren Belastung der verbleibenden Arbeitskräfte führe, so Jadzinski. Dadurch sei die Fluktuation sehr groß. „Es geht nicht immer nur ums Geld. Es geht auch um einen verlässlichen Dienstplan.“

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