Mülheim. Als Alternative zum Hospiz eröffnet ein Mülheimer Pflegeheim eine Palliativabteilung. Wir besuchen Krebspatientin Petra. Ihre letzten Wünsche.
Petra Schug trägt leichtes Make-up und zarten Silberschmuck, schwarz-weiße Leggings mit Leopardenmuster. Ihre Nägel sind rot lackiert, ihr Lächeln wirkt echt und herzlich. Es mache einen Unterschied, ob man sich sorgfältig anzieht und pflegt oder nicht, auch wenn man nur im Bett liegt, sagt die 59-Jährige. „Man fühlt sich mehr als Mensch und nicht wie halbtot.“
Sie kämpft gegen den Krebs. Seit 17 Monaten und an jedem einzelnen Tag. Manchmal lassen sich die Schmerzen nicht mehr aushalten. In solchen Momenten kann Petra Schug sich selber eine Extra-Dosis Medikamente injizieren, einen sogenannten Bolus. Über eine Schmerzpumpe und einen Zugang im rechten Arm dringt Morphin in ihre Blutbahn. Doch noch etwas anderes erlebt die Schwerstkranke als immens hilfreich und tröstlich: „Wenn es mir schlecht geht, habe ich immer jemandem vom Personal an meiner Seite, dann ist immer jemand zum Umarmen da.“ Und das in einem Pflegeheim.
Palliativbereich im Mülheimer Pflegeheim Haus Auf dem Bruch
Vor etwa fünf Monaten ist die Krebspatientin ins Haus Auf dem Bruch gezogen, das von den Mülheimer Seniorendiensten betrieben wird. Dort gibt es einen speziellen Palliativwohnbereich, explizit kein Hospiz, als bislang einzigartiges Angebot in Mülheim. Für Petra Schug, die mittlerweile Pflegegrad vier besitzt, war eines klar: „Ich möchte nicht, dass meine Kinder mich pflegen.“ Ihre beiden Töchter, 27 und 37 Jahre alt, haben selber Familien. Zwei Enkelkinder gibt es, das dritte wird in diesen Tagen erwartet.
Sie selber kommt aus Dormagen, ihr Partner lebt in Mülheim, ist berufstätig, könnte ebenfalls keine Vollzeitpflege leisten. Trotzdem habe sie lange und schwer mit sich gerungen, ehe sie in das Dümptener Pflegeheim zog, berichtet die Schwerstkranke. Sie fühlte sich zu jung dafür. Die Pflege- und Sozialberatung im Evangelischen Krankenhaus Mülheim, wo sie stationär behandelt wurde, habe ihr diese Lösung ans Herz gelegt.
Diagnose Lungenkrebs kam völlig unerwartet
Hausmeisterin an einer Grundschule war Petra Schug, und sie liebte ihren Beruf. Den Husten, an dem sie monatelang litt, nahm sie nicht allzu ernst. Im Januar 2023 kam die Diagnose, die niemand erwartet hatte: Lungenkrebs. „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen“, sagt die 59-Jährige. „Ich hatte noch so viel vor.“ Ein Jahr lang kämpfte sie zunächst erfolgreich gegen die Krankheit. Eine Immuntherapie in einer Mülheimer Praxis habe gut angeschlagen. Der Tumor habe sich eingekapselt, „es ging mir wirklich wieder gut“. Im Herbst 2023 flog sie nach Florida mit ihrem Partner und einer Tochter.
Doch dann wurde der Tumor aggressiv, streute, inzwischen haben Metastasen ihre Knochen und Lymphdrüsen befallen. Petra Schug ist bettlägerig, sie bekommt neuerdings wieder Chemotherapie in Tablettenform. Ein Mediziner aus dem Netzwerk der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) Mülheim betreut sie. Auch eine Psychoonkologin schaut regelmäßig im Haus Auf dem Bruch vorbei, „damit die Petra mental Rückenwind bekommt“, sagt Cendrim Hasani, der junge Mann, der den Palliativwohnbereich leitet.
Zehn Einzelzimmer und speziell ausgebildete Palliativ-Care-Kräfte
Die Abteilung im Erdgeschoss wirkt frisch renoviert. Der Gemeinschaftsbereich ist modern und etwas verspielt gestaltet. Überall stehen Blümchen oder Sträuße, von den Lampen baumeln farbige kleine Fesselballons als Deko. In zehn Einzelzimmern wohnen die Menschen, die hier würdig, umsorgt und möglichst schmerzfrei ihren letzten Lebensabschnitt verbringen sollen. Auf gesundes, frisches Essen werde Wert gelegt, erklärt Hasani. Das Haus sei offen für Besucher, zu jeder Zeit, ohne durchgeregelten, verbindlichen Tagesablauf für die Bewohnerinnen und Bewohner. „Du kannst auch nachts um zwei Uhr noch ein Brot haben, wenn du willst.“ Personalprobleme hätten sie in diesem Bereich nicht.
„In der Altenpflege sterben Menschen oft zufällig“, sagt Yvonne Fragemann, Geschäftsleiterin für Pflege und Personal bei den Mülheimer Seniorendiensten. „Uns ist es wichtig, die Menschen auch in den Tod zu begleiten, die Bedürfnisse Schwerstkranker in den Vordergrund zu stellen.“ Zwei speziell ausgebildete Palliativ-Care-Kräfte arbeiten in diesem Wohnbereich, unterstützt von Personal aus anderen Abteilungen des Pflegeheims. Auch mit dem Netzwerk der SAPV arbeite man eng zusammen, ergänzt Yvonne Fragemann. „Denn die Hospizplätze in Mülheim sind begrenzt.“
Finanziert über die Pflegekasse, mit Eigenanteil
Die Kapazität des neuen Wohnbereiches im Haus auf dem Bruch ist jedoch ebenfalls limitiert. Derzeit sind alle zehn Zimmer belegt. Es gibt nach Auskunft des Pflegeteams eine Warteliste.
Um aufgenommen zu werden, muss den Kranken mindestens Pflegegrad zwei bescheinigt sein und „Heimnotwendigkeit“. Dies hängt mit der Finanzierung des neuen Angebotes zusammen. „Wir sind eine Pflegeeinrichtung“, betont Alexander Keppers, Geschäftsführer der Mülheimer Seniorendienste. Entsprechend werde die Betreuung im Palliativwohnbereich über die Pflegekasse mitfinanziert, plus Eigenanteil oder Sozialleistungen. Plätze im stationären Hospiz werden dagegen fast vollständig von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt, hinzu kommen Spendengelder. Einen Eigenanteil gibt es hier für die Versicherten nicht.
„Immer hat jemand meine Hand gehalten“
Als Petra Schug im Haus Auf dem Bruch einzog, muss es ihr furchtbar gegangen sein. Das sagt sie selber, das sagt auch das Team. „Doch ich war hier nie alleine. Immer hat jemand meine Hand gehalten, mich unterstützt. Dass ich hier hingekommen bin, ist ein Wunder. Es ist mein Zuhause geworden.“ Ein Hundekörbchen steht in ihrem Zimmer. Ihre „Tiffy“, ein wuscheliger kleiner Maltipoo, darf sie täglich besuchen.
An den Wänden hängen ihre eigenen Bilder und ein Setzkasten, bestückt mit Schutzengelchen und anderen Glücksbringern, die Petra Schug geschenkt bekommen hat. Auf einem Tisch am Fenster stehen Familienfotos und frische Blumen. Man schaut in den Garten, in den die Schwerstkranke mit dem Rollstuhl geschoben werden kann.
Krebspatientin im Mülheimer Pflegeheim möchte noch einmal ans Meer fahren
Mit Unterstützung des Pflegeteams und ihrer Familie konnte Petra Schug wieder etwas Kraft sammeln. Die Krebspatientin setzt sich kleine Ziele. Das erste: „Ich möchte die Geburt meines dritten Enkelkindes noch erleben.“ Das nächste: „Mal eine Woche an die Ost- oder Nordsee fahren.“ Möglicherweise mit Unterstützung des ASB-Wünschewagens. Sie bekommt zweimal wöchentlich Physiotherapie, dazu Lymphdrainage.
„Wir geben noch mal Gas“, sagt der Palliativ-Pflegefachmann Cendrim Hasani, „wir tun alles, was möglich ist. Und wenn es nicht mehr anders geht, begleiten wir die Petra bis zum Schluss.“ Ihre Geschichte öffentlich zu machen und ihre Dankbarkeit für die Betreuung im Pflegeheim auszudrücken, auch das ist ein großer Wunsch der Schwerstkranken. „Ich will anderen die Vorurteile nehmen“, sagt sie, „und die Angst.“
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