Mülheim. An einen Termin beim Facharzt zu kommen, ist gar nicht so einfach. Zu wenig Ärzte gibt es nicht - zumindest offiziell. Was Betroffene tun können.
Nächster freier Termin? „28. Mai“, „19. Juni“, „9. Juli“ - ergibt zumindest eine kleine Stichprobe auf der Suche nach einem Termin beim Augenarzt in Mülheim. Diese Situation dürften die meisten kennen. Nur - wie an einen Termin kommen, der nicht Wochen entfernt liegt? Zunehmend entsteht der Eindruck, ein zeitnaher Termin beim Orthopäden, Hautarzt oder Augenarzt sei nicht mehr als eine Utopie. Dass der jüngste Basisgesundheitsbericht der Stadt Mülheim aber in sämtlichen Fachbereichen einen Versorgungsgrad von mehr als 100 Prozent - also eine Überversorgung ausweist - scheint nicht zur Realität der ewigen Wartezeiten zu passen.
Zahlen, die die hausärztliche und allgemeine fachliche Versorgung in Mülheim beleuchten, zeigen, dass es zumindest auf dem Papier genügend Ärztinnen und Ärzte geben muss. Die jüngsten Zahlen (Stand März 2023) der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein suggerieren, mehr noch, ein Überangebot:
Arztgruppe | Gesamtzahl der Vertragsärzte in Vollzeitäquivalenten | Versorgungsgrad in Prozent |
Hausärzte | 103,2 | 103,6 |
Augenärzte | 11 | 115,2 |
Chirurgen und Orthopäden | 20 | 154,4 |
Frauenärzte | 21,25 | 141,2 |
Hautärzte | 8 | 159,7 |
HNO-Ärzte | 9 | 129,5 |
Nervenärzte | 10,5 | 120,9 |
Psychotherapeuten | 39,85 | 124,3 |
Urologen | 6 | 114,4 |
Kinder- u. Jugendärzte | 11 | 112,8 |
Mülheimer KV-Vorsitzender versteht die Irritationen
„Es ist nicht an den Haaren herbeigezogen“, ordnet Dr. Stephan von Lackum, Vorsitzender der Mülheimer Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, ein. Dennoch verstehe er, dass die Werte für Irritationen sorgen. „Wie hoch der Versorgungsbedarf in einer Stadt ist, ermittelt ein Ausschuss von Krankenkassen, der KV und der Landesregierung.“ Dazu würden mehrere Faktoren herangezogen, etwa die Altersstruktur in der Stadtbevölkerung, die Nähe zu Nachbarstädten, aber auch der Behandlungsbedarf.
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„Die Kassenärztlichen Vereinigungen stellen schließlich auf Landesebene im Einvernehmen mit den Krankenkassen auf der Grundlage dieser Richtlinie Bedarfspläne auf“, so steht es im Basisgesundheitsbericht. Der Versorgungsgrad berechne sich aus dem Vergleich der Ist- und Sollzahlen. Demnach bedeutet ein Versorgungsgrad von 100 Prozent, dass die Zahl der Fachärztinnen und -ärzte dem ausgewiesenen Bedarf entspricht. „Eine Überversorgung ist laut Definition dann gegeben, wenn der Versorgungsgrad über 110 Prozent liegt. Unterversorgung liegt vor, wenn der tatsächliche Versorgungsgrad in der hausärztlichen oder allgemeinen fachärztlichen Versorgung um mehr als 25 Prozent und in der spezialisierten fachärztlichen Versorgung um mehr als 50 Prozent unter dem ausgewiesenen Bedarf liegt“, heißt es im Bericht.
In Mülheim kommen auf jeden Arzt Tausende Patienten
Bei 175.133 Einwohnerinnen und Einwohnern (Stand 2023) wäre somit rein rechnerisch jede Fachärztin, jeder Facharzt - je nach Kollegium in der Stadt - für mehrere Tausende Bürgerinnen und Bürger zuständig. Selbstverständlich ist Einwohnerzahl nicht gleich Patientenzahl. Für Dr. Stephan von Lackum liegt das Problem vor allem in der Herangehensweise der meisten Patientinnen und Patienten. „Viele suchen gar nicht zuerst der Hausarzt auf, sondern den Facharzt“, schildert er. Macht das die Mehrheit der Betroffenen, komme es dort schnell zu einem Terminstau.
Von Lackum räumt ein: „Ja, es vergeht teilweise viel zu viel Zeit zwischen Terminwunsch und Termin, auch beim Hausarzt.“ Das liege auch an Faktoren wie Personalmangel und reduzierten Werkzeiten in den Praxen. Laut gesetzlicher Vorgaben müssen Vertragsärzte mindestens 25 Stunden für die ambulante Versorgung ihrer Patienten gewährleisten, dafür steht ihnen ein festes Budget zur Verfügung. Lediglich bei Kinderärzten ist das aufgehoben worden, „weil sie zuletzt stark überlastet waren“. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat ein Ende der Budgetierung angekündigt. „Für viele ist der aktuelle Zustand mit Frust verbunden“, so von Lackum. Länger zu öffnen, um mehr Menschen zu behandeln, sei kaum möglich.
Mülheimer Mediziner sieht steigenden bedarf durch alternde Gesellschaft
Zudem werde die Gesellschaft immer älter und kränker, ein steigender Bedarf also. „Wir als Hausärzte können in der Regel relativ schnell einen Termin beim Facharzt vermitteln.“ Der sogenannte „Hausarztvermittlungsfall“ funktioniert über den Ärztlichen Bereitschaftsdienst. Der Haken daran: „Es wird zwar ein Termin innerhalb von maximal drei Tagen garantiert, allerdings ohne Einfluss auf Ort und Zeit.“ Heißt: Als Mülheimer Patient könne man für übermorgen um 8 Uhr einen Termin etwa im Aachener Umland bekommen. „Da wird das gesamte Nordrhein-Gebiet eingeschlossen“, so von Lackum.
Eine weitere Entwicklung: Den Facharzt „umme Ecke“ gibt es immer seltener. Gerade spezialisierte Fachärzte siedeln sich in Stadtzentren an, bestätigt die KV Nordrhein auf Nachfrage. „Der Gesetzgeber hält Anfahrten von bis zu 30 Minuten mit dem ÖPNV bei den fachärztlichen Breitenversorgern (etwa Augenärzten, Urologen, Orthopäden, etc.) für zumutbar, bei den fachärztlichen Spezialisten (Lungenärzte, Radiologen, etc.) sogar 60 Minuten Anfahrt.“
Hinzukomme die spezielle Situation des Ballungsraums Ruhrgebiet. „Die enge Verflechtung der Ruhrgebietsstädte (etwa Mülheim zu Essen oder Oberhausen) muss immer mitberücksichtigt werden. Viele Mülheimer werden die ambulante Versorgung demzufolge auch in den Nachbarstädten in Anspruch nehmen“, so ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein zum Pendlereffekt.
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