Mülheim. Wegen einer gezogenen Magensonde sucht ein Mülheimer das Marien-Hospital auf. Tagelang wartet er auf die lebenswichtige OP. „Ich hatte Panik.“

„Die erste Reaktion war Panik“, schildert Wilhelm Evers, als er sich mitten in der Nacht aus Versehen seine Magensonde aus dem Bauch gezogen hatte. Das kann schon mal passieren, doch ohne sie kann sich der 75-jährige Mülheimer seit seiner Mandelkrebs-OP nicht mehr ernähren. Eile ist geboten. Was er im Juli 2023 über Tage in einem Mülheimer Hospital erlebte, lässt ihn seitdem nicht mehr los.

Eine „chaotische Behandlung“, ein „überfordertes Personal“, ein Hingehalten werden bis hin zu falschen Informationen, schildert Evers seine Erfahrung mit dem St. Marien-Hospital. Das reagiert auf Evers Kritik zunächst verhalten. Erst als sich die Redaktion an das Krankenhaus wendet, bekommt der Mülheimer das erhoffte Angebot für ein konkretes Gespräch. Doch: „Ich bekomme das Erlebte nicht aus meinem Kopf. Ich will es auch deshalb anderen möglichen Betroffenen erzählen, weil sie es nicht erleben sollen“, sagt er.

Betroffener Mülheimer schildert Versorgungsprobleme von Anfang an

So zumindest schildert es der Betroffene: Schon bei seiner Aufnahme an einem Donnerstag im Juli 2023 sei es nicht rund gelaufen. Der Venenkatheter im Arm, der ihn bis zum eigentlichen Eingriff versorgen und davor schützen soll, zu kollabieren, habe nicht richtig gesessen.

Doch als Evers dies bemängelt, habe die Schwester abgewiegelt: „Ne, ne, das ist in Ordnung.“ In Ordnung sei es aber auch bei den erneuten Versuchen nicht geworden, schildert dieser. In den folgenden Tagen habe er sogar dreimal eine Versorgung gelegt bekommen. Und doch habe er sich körperlich immer schlechter gefühlt, so Evers. Bei einem Mal sei sein Arm sogar angeschwollen, weil die Versorgung daneben gelaufen sei. Auf einem Foto hält Evers die Schwellung fest. Erst danach - am fünften Tag seines Aufenthalts - habe es geklappt.

Seit Evers vor neun Jahren einen schweren Mandelkrebs entfernt bekam, kann er nicht normal essen. „Ich ernähre mich von Astronautenkost“, zeigt er seinen Zugang am Bauch. Auch den morgendlichen Kaffee kann er darüber aufnehmen, „aber nicht schmecken, sondern nur riechen. Der Effekt von Koffein ist aber trotzdem da.“

Patient überrascht: Zugang soll schon nach wenigen Stunden verwachsen sein

Wilhelm Evers kann mit seiner Magensonde und der Situation also leben. Auch im Marien-Hospital, das knapp drei Kilometer von seinem Zuhause liegt, hatte der Mülheimer bislang kaum schlechte Erfahrungen gemacht, wenn mal Not war. Doch der gewohnte Chefarzt ist im Juli 2023 nicht mehr dort. Und nun sei auch seine Behandlung anders gelaufen: Man müsse einen neuen Zugang legen, habe die untersuchende Oberärztin behauptet, denn der erste sei „zugewachsen“.

„Nach so wenigen Stunden?“, ist Evers überrascht und verunsichert. Als er noch erfährt, dass er dafür über die Luftröhre beatmet werden müsse, statt wie bislang über die Nase, kommen schlimme Erinnerungen hoch. „Ich habe das damals mitgemacht, als ich wegen des Mandelkrebses operiert worden bin. Das war furchtbar“, schildert Evers, sich erst dagegen gewehrt zu haben. Doch die Oberärztin habe beharrt: „Ich will ja nicht meine Zulassung verlieren.“

Betroffener fühlt sich tagelang im Unklaren gelassen und will sich selbst entlassen

Zur OP kommt es in den nächsten drei Tagen allerdings nicht. Es werden - so die Aussage des Marien-Hospitals - weitere Expertenmeinungen eingeholt, auch eine Verlegung in eine Fachklinik sei im Gespräch gewesen. Nur wann? Evers sei darüber gar nicht informiert worden, sagt dieser. Deshalb habe er am Sonntag schließlich „aus Panik“ die Reißleine gezogen und aus der Klinik heraus seinen Hausarzt kontaktiert.

Der habe ihm geraten, das Hospital sofort zu verlassen. Doch als Evers das versucht, sollen Mitarbeitende des Marien-Hospitals das verweigert haben: Das ginge nicht, ohne einen Chefarzt, der die Entlassung unterschreibe. „Das ist aber falsch. Man kann sich immer selbst entlassen - auf eigenes Risiko“, holt sich der Mülheimer eine zweite Meinung ein.

Erst als er am Montag gehen will, habe man ihm angekündigt, dass man ihn kurzfristig in eine andere Klinik verlegen wolle, schildert Evers. Schließlich sei es auch gelungen, ihn über einen Venenkatheter zu versorgen. Doch auch bis Dienstag zeichnet sich keine Verlegung ab. Der Mülheimer fühlt sich weiter hingehalten, schließlich entlässt er sich und sucht das Helios-Rhein-Ruhr Klinikum in Duisburg auf.

Nach dem Klinikwechsel wird überraschend alles anders

Das liegt deutlich weiter entfernt. Doch hier scheint ein Wunder zu passieren. Problemlos nimmt man ihn auf, in wenigen Stunden wird Evers operiert und erhält seine Sonde zurück - sogar über den alten, angeblich zugewachsenen Zugang. Selbst die Beatmung kann über die Nase erfolgen. Schon am nächsten Tag - nach kaum 24 Stunden im Klinikum - wird Evers nach Hause entlassen. Problemlos.

Der Mülheimer kann das auch jetzt noch kaum glauben: „Ich bin einer offenbar unnötigen Operation, mit einem unnötigen Eingriff und einem weiteren unnötigen Zugang, entgangen.“ Allerdings entging Evers als Privatpatient nicht der Rechnung des Marien-Hospitals von rund 5000 Euro für die „Behandlung“ während des fünftägigen Aufenthalts - „für nichts“, findet Evers, bezahlt aber die Forderung.

So reagiert das Mülheimer Hospital auf die Kritik: „Entspricht nicht unserem Leitbild“

Als Evers Tage später seine Eindrücke dem Marien-Hospital schreibt, reagiert dieses mit großem Bedauern, kündigt an, die Kritikpunkte aufzuarbeiten und mit ihm detailliert besprechen zu wollen. Doch der angekündigte Terminvorschlag für das Gespräch kommt nicht.

Erst auf Anfrage der Redaktion im Dezember räumt das Krankenhaus Fehler in der Kommunikation ein, will mit dem Betroffenen kurzfristig reden. Die behandelnde Ärztin sei dem Leitbild des Krankenhauses vor allem gegenüber Patienten „in existentiellen Lebenssituationen“ nicht gefolgt, heißt es: „Insbesondere von unseren leitenden Ärzten erwarten wir die Erfüllung dieser Ansprüche im täglichen Handeln. Die Äußerungen der behandelnden Ärztin entsprechen nicht unserem Leitbild. Wir bedauern die Wirkung dieser Worte auf Herrn Evers, besonders seine Verunsicherung und seine empfundene Angst. Vor dem Hintergrund seiner existentiellen Krebserkrankung und der Abhängigkeit von einer künstlichen Ernährungsform wiegen diese Gefühle umso schwerer. Wir sehen diese Gesamtsituation.“

Mülheimer Klinik bestreitet mangelnde Versorgung

Die Oberärztin sei nicht mehr in der Klinik beschäftigt. Doch die Einschätzung der Oberärztin für einen neuen Zugang und eine Verlegung des Patienten verteidigt das Hospital: Die Bauchdecke sei durch Verwachsungen gekennzeichnet gewesen, aufgrund der veränderten Ausgangssituation und der Risiken seien Oberärztin und Chefarzt übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass das Legen einer neuen PEG-Sonde notwendig, aber vor Ort nicht möglich gewesen sei. Es sei daher bereits am Freitag nach der Aufnahme sowohl das Universitätsklinikum Essen als auch ein weiteres angefragt worden. Beide aber hätten keine Aufnahme ermöglicht.

Den Vorwurf einer falschen oder unzureichenden Versorgung weist das Hospital jedoch ausdrücklich zurück: „Über PVK (peripherer Venenkatheter) und Port war die Ernährung von Herrn Evers mit ausreichend Nährstoffen zu jeder Zeit garantiert. Wir weisen in diesem Zusammenhang die Beschreibung als nicht zutreffend zurück.“ Schon bei der Aufnahme am 21. Juli sei der Venenkatheter als „reizlos“ dokumentiert worden; das sei ebenso für die nachfolgenden Zugänge protokolliert worden.

Hospital: Darstellung des Betroffenen sei ein Einzelfall und „individuelles Wahrnehmen“

Vielmehr sei die Darstellung Evers‘ von einem „individuellen Erleben und Wahrnehmen“ geprägt. Der Fall sei eine „große Ausnahme“. Doch Evers widerspricht: Drei Kilo habe er während seines Aufenthalts abgenommen, auch habe er immer wieder nach einer Verlegung gefragt. Dass man seit Freitag darüber bereits im Gespräch mit diversen Kliniken gewesen sei, sei zumindest nicht kommuniziert worden, „ich hätte sonst diese Ängste nicht durchgestanden, das war unzumutbar“.

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