Mülheim. „Erhebliche Mängel“ fielen Ende Oktober im Mülheimer Senioren-Park Carpe Diem auf. Was Pflegekräfte erlebten, was die neue Leitung ändern will.

Die Altenpflegeheime in Mülheim sind voll. Momentan findet man nur vereinzelt freie Plätze. Anders ist es im Senioren-Park Carpe Diem in Speldorf: Im Haus an der Hansastraße, hinter historischen Mauern der früheren Lederfabrik Hammann, sind aktuell nur 63 von insgesamt 80 Plätzen belegt. Aus gewichtigen Gründen.

Im Herbst gab es eine unangemeldete Kontrolle durch die WTG-Behörde (Heimaufsicht) - mit Folgen. „Bei einer Regelprüfung im Oktober 2023 wurden erhebliche Mängel festgestellt“, bestätigt die Abteilungsleiterin der WTG-Behörde auf Anfrage. Besonders gravierende Mängel seien in der personellen Ausstattung der Einrichtung aufgefallen sowie in der Pflege und sozialen Betreuung. Carpe Diem habe sich selber bereit erklärt, vorerst keine neuen Bewohnerinnen und Bewohner aufzunehmen. „Der freiwillige Belegungsstopp wurde inzwischen in Abstimmung mit der WTG-Behörde sukzessive aufgehoben“, heißt es weiter. Seit 31. Dezember gilt er nicht mehr. Es gebe weiterhin engen Austausch bezüglich Belegungszahlen und personeller Besetzung.

Beschäftigte des Mülheimer Senioren-Parks Carpe Diem schildern extreme Unterbesetzung

Alarmierende Berichte aus der Mitarbeiterschaft von Carpe Diem haben diese Redaktion im Februar erreicht. Zwei Beschäftigte schildern, unabhängig voneinander, extreme Unterbesetzung auf den Pflegestationen, die sie permanent erlebt hätten. So seien Bewohner über etliche Stunden durchgenässt gewesen. „Einige blieben von morgens bis abends in ihrer Vorlage sitzen. Die Versorgung ist grauenvoll.“ Teilweise habe die Zeit nicht einmal gereicht, um die alten Menschen mit Abendessen zu versorgen. Besonders unzureichend sei die Betreuung bettlägeriger Bewohner gewesen.

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Die Arbeit sei nicht zu bewältigen, auch die Besetzung mit Pflegefachkräften völlig unzureichend. Oft sei nur eine einzige Fachkraft für das gesamte Haus im Dienst gewesen, Pflegehelfer hätten Aufgaben übernommen, für die sie nicht ausgebildet sind. Medikamente seien teilweise nicht bestellt oder nicht regelmäßig verabreicht worden.

Folgeprüfungen der Heimaufsicht wurden „kurzfristig angemeldet“

Die Mitarbeitenden sind beide nach eigener Aussage seit fünf oder mehr Jahren bei Carpe Diem beschäftigt. Sie möchten an dieser Stelle anonym bleiben, sind der Redaktion jedoch namentlich bekannt. Sie machen deutlich, dass sie unter diesen Bedingungen nicht mehr arbeiten können und wollen. Sie wünschen sich weitere, unangemeldete Kontrollen der Heimaufsicht oder des Medizinischen Dienstes, „in einem ganz normalen Tagesablauf, wenn der Spätdienst mal wieder nur mit zwei Personen besetzt ist“.

Die Mülheimer WTG-Behörde hat bei Carpe Diem inzwischen zwei weitere Male kontrolliert: im Dezember und im Januar 2024. Anlass waren nach Auskunft der Stadt Mülheim die im Oktober festgestellten Mängel. Die Folgeprüfungen seien „kurzfristig angemeldet worden“. Im Januar sollte geklärt werden, wie es um die Mängelbeseitigung steht, und ob weitere Bewohner aufgenommen werden können. Bis Mitte Januar waren maximal 69 Personen vereinbart, Carpe Diem liegt aktuell mit 63 noch deutlich darunter.

Stationäre Pflege seit Jahresbeginn unter neuer Leitung

Der Betreiber bemüht sich nun augenscheinlich intensiv, die stationäre Pflege auf einen guten Weg zu bringen, die Einrichtung neu auszurichten. Seit Jahresbeginn gibt es eine neue Einrichtungsleiterin, Susanne van Megen, und einen neuen Pflegedienstleiter, Daniel Schuster. Beide schildern im persönlichen Gespräch offen die Probleme, die es gab, skizzieren den „Strategieplan“, mit dem sie zwei wesentliche Ziele verfolgen: „Die Versorgung der Bewohner zu gewährleisten und qualifiziertes Fachpersonal zu gewinnen, was heutzutage nicht leicht ist“, so Susanne van Megen.

Personalmangel sei das Kernproblem bei Carpe Diem gewesen, sagt die Einrichtungsleiterin. Im Herbst seien massive Ausfälle durch Krankheit erschwerend hinzugekommen. Seit einigen Wochen würden Kräfte von Zeitarbeitsfirmen zur Unterstützung eingesetzt, wie es in vielen anderen Pflegeheimen längst üblich sei. Geplant seien auch umfassende Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Beschäftigten, fachliche Anleitung, Supervision.

Das Haus müsse für Fachkräfte wieder attraktiver werden, meint auch Pflegedienstleiter Daniel Schuster. So soll ein System eingeführt werden („Voize“), welches Pflegedokumentation über Spracheingabe ins Smartphone ermöglicht, um an dieser Stelle zu entlasten. „Die Personalbemessung soll stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Bewohner zugeschnitten werden“, ergänzt Schuster, ebenso die Arbeitsabläufe in den jeweils zehn bis zwölf Personen umfassenden Wohngruppen. „Die gesetzliche Mindestquote von 50 Prozent Fachpersonal erfüllen wir bis heute, liegen sogar leicht darüber“, ergänzt Susanne van Megen.

Prüfung durch den Medizinischen Dienst im September: Kaum Defizite

Der Medizinische Dienst (MD) Nordrhein, der Qualitätsprüfungen in Pflegeheimen vornimmt, hat den Mülheimer Senioren-Park Carpe Diem zuletzt am 13. September 2023 kontrolliert. Das Ergebnis dieser Regelprüfung, ein 48-seitiger Bericht, ist öffentlich einsehbar, etwa über den AOK-Pflegenavigator oder den IKK-Pflegelotsen. Carpe Diem bekam dabei überwiegend beste Bewertungen („keine oder geringe Qualitätsdefizite“). Lediglich in einigen wenigen Punkten, etwa nächtlicher Versorgung oder Unterstützung bei der Körperpflege und Medikamenteneinnahme, stellte der MD „moderate“ Defizite fest.

Seitdem hat es im Senioren-Park keine Kontrolle durch den Medizinischen Dienst mehr gegeben. Offenbar hat dies auch niemand angemahnt. „Uns liegt keine aktuelle Beschwerde zum Mülheimer Senioren-Park Carpe Diem vor“, erklärt Dr. Barbara Marnach, Sprecherin des MD Nordrhein, auf Anfrage.

Eines der preisgünstigsten Altenheime in Mülheim

Carpe Diem ist eines der günstigsten Altenheime in Mülheim. Der Eigenanteil für Bewohner mit Pflegegrad 2 bis 5 beträgt (laut AOK-Pflegenavigator) 2038 Euro pro Monat. Fast alle anderen Einrichtungen liegen deutlich darüber. Wird hier am Personal gespart? Im Haus werde durchweg nach Tarif gezahlt, versichert die Einrichtungsleiterin Susanne van Megen. Die unterschiedliche Höhe der Eigenanteile sei eher durch die Umlage der Investitionskosten bedingt, die bei Carpe Diem vergleichsweise gering seien. „Das hat nichts mit der Qualität zu tun“, meint sie.

Als der Senioren-Park in der früheren Lederfabrik Hammann im Herbst 2013 eröffnet wurde, hoben die Bauherren dessen besonderes Modell hervor: Sowohl die Appartements des Betreuten Wohnens als auch die Zimmer auf den Pflegestationen wurden einzeln vermarktet. Das Haus gehöre etwa 20 Teileigentümern, hieß es damals, sehr viele Ärzte hätten hier investiert. Zunächst für 20 Jahre wurde es an den Betreiber Carpe Diem verpachtet, der auch für Wartung und Instandhaltung der Immobilie zuständig ist. Beworben wurde das Projekt in der Anfangszeit als „Sorglos-Immobilie“.

Einrichtungsleitung sagt nun: „Die Mängel sind beseitigt“

Aktuell sagt die Einrichtungsleitung: „Die Mängel sind beseitigt.“ Sie könnten das Haus theoretisch wieder voll belegen, „Anfragen gibt es genügend“. Doch das Wohl der Bewohner und Mitarbeitenden stehe jetzt an erster Stelle. „Wir steigern die Belegung Schritt für Schritt, damit wir nicht erneut ins Ungleichgewicht kommen.“

Auch die WTG-Behörde sieht Carpe Diem auf dem Wege der Besserung: „Beratende Hinweise zur sukzessiven kontrollierten Neuaufnahme von Bewohner*innen zur Vermeidung der Überbelastung der Pflegekräfte und Vorbeugung neuer Pflegemängel werden durch die Einrichtung umgesetzt“, heißt es aktuell. Die überlasteten Pflegekräfte würden es sich wünschen, ganz besonders für die alten Menschen, die hier leben und betreut werden: „Wir haben solche liebe Bewohner“, sagt eine Mitarbeiterin, „die sind uns so dankbar.“

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