Neukirchen-Vluyn. Annegret Puttkammer ist Direktorin des Neukirchener Erziehungsvereins. Wir haben mit ihr über die aktuelle Zeit, Krisen und Hoffnung gesprochen.

Es ist ein seltsames Weihnachtsfest in diesem Jahr. Immerhin gibt es keine Beschränkungen, dass Oma und Opa nicht besucht werden dürfen und bestenfalls alle Verwandtschaftsbesuche gemieden werden sollten. Die düsteren Corona-Einschränkungen wirken Lichtjahre her. Aber wirklich heller ist es trotzdem nicht. Nun herrscht Krieg in der Ukraine. Mit all den Folgen für die Menschen dort, für jene auf der Flucht und für die Menschen hier.

Keine einfache Zeit für die christliche Seelsorge, zumal auch die Kirchen viel damit zu tun haben, ihre Schäfchen beieinanderzuhalten. Eine Herkulesaufgabe. Insgesamt. „Das wird uns als Gesellschaft noch ordentlich herausfordern“, sagt Annegret Puttkammer über den Putin-Krieg. Die Pfarrerin ist seit rund zwei Jahren Direktorin des Neukirchener Erziehungsvereins.

Sie blickt gütig, aber realistisch auf diese Welt. Die Wirklichkeit auszublenden, wäre naiv. Das weiß sie auch. Man wisse nicht, wie lange der Krieg in der Ukraine dauert, sagt sie. Und man sehe die Not in der eigenen Straße. Hier gelte es, nicht die eine Not gegen die andere auszuspielen, nichts ist kleinzureden.

Zu Weihnachten wird es zuhause schön

Es ist eine Zeit, in der die Familien, in der die Paare und Freunde zusammenrücken. Man macht es sich zuhause schön. Liebe. Heimeligkeit. Genuss. Ja, eine Kilowattstunde Strom kostet mehr. Aber sich deswegen die Adventsstimmung verderben lassen? Nein. So hat die Pfarrerin auch bei den Beschäftigten des Erziehungsvereins beobachtet: Es wird weniger geschmückt als früher – aber es wird geschmückt. Der Stern, mit dem sie privat auf das Fest, auf die Geburt Jesu hinweist, brennt auch weniger lang als sonst. Aber er leuchtet und gibt der Welt seinen unverwechselbaren Schein.

„Man braucht solche Zeichen der Hoffnung“, sagt Annegret Puttkammer. „Wenn wir uns alle ins Dunkel setzen, hilft uns das auch nicht weiter.“

Und dann gibt es jene, die keine Familie haben. Einsame Seelen, für die das Weihnachtsfest fast eine Bedrohung ist. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hat in der Staatskanzlei gerade eine Stabsstelle zum Kampf gegen Einsamkeit eingerichtet. Mehr als 14 Prozent der Menschen im Land fühlen sich einsam, das haben Wissenschaftler herausgefunden. Dagegen will die Landespolitik etwas tun.

Corona hat die Entwicklung verschärft

Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung verschärft. „Offene Angebote im karitativen Bereich haben gelitten“, sagt Annegret Puttkammer. Im Matthias-Jorrissen-Haus hat es beispielsweise ein Café gegeben. Früher mal. Die Bewohner in den Einrichtungen des Erziehungsvereins werden aufgefangen, sagt sie. Senioren mit Weihnachtsfeiern, Jugendliche begingen das Fest mit ihren „Ersatzfamilien“ in den Häusern.

Schlimmer sei es für viele, die allein zu Hause leben. Was da hilft? Für die Pfarrerin eindeutig: hinschauen und auf die Menschen zugehen. „Wenn jeder von uns nur einen einsamen Menschen in den Blick nimmt ...“, setzt sie an. Das trage mehr als große Programme: „Einsame Menschen gehen nicht in Sportvereine.“ Der Idee, dass Förderprogramme für Stadtplanung an die Entwicklung von Begegnungszentren geknüpft sind, kann Puttkammer gleichwohl durchaus etwas abgewinnen. Aber das allein reicht eben nicht.

Puttkammer weiß: „Viele Menschen wollen nicht zur Last fallen.“ Ein Teufelskreis. Betroffene haben ein höheres Risiko, an Depressionen, Schlafstörungen oder Demenz zu erkranken. Oder womöglich schlimmer. Annegret Puttkammer hat sich in der jüngeren Vergangenheit viel mit dem Thema Suizid beschäftigt. Für viele ein Tabu. Mit den drei Worten „Weiblich, arm, einsam“ benennt sie eine Risikogruppe: „Es ist eine große Sorge, die wir haben.“ In Kanada habe man beobachtet, dass vermehrt Wohnungslose den Freitod suchten. Das besorgt die Gesellschaft dort.

Derzeit wird in Deutschland politisch über ein Gesetz zum attestierten Suizid gesprochen. Menschen mit einem stabilen Sterbewunsch hätten demnach das Anrecht auf Unterstützung. Aber was heißt „stabiler Sterbewunsch“? Wer bemisst das? Eindimensionale Antworten gibt es nicht.

Man muss in Prävention investieren

„Wir müssen in die Prävention genauso viel investieren“, unterstreicht die Pfarrerin. „Wenn depressive Menschen mehr als ein halbes Jahr auf einen Facharzttermin warten müssen, kann das nicht richtig sein.“ Wer akute Hilfe braucht, kann sich nicht monatelang hinten anstellen wie an der Schlange vor der Kasse im Supermarkt. Gesundheit ist keine Ware.

Und doch ist da die große Zuversicht. Was bedeutet nun Weihnachten? „Die Menschen in der Weihnachtsgeschichte sind uns so nah wie nie“, sagt die Pfarrerin. So sei das römische Reich auch eine Supermacht gewesen, die Menschen hätten viel mit Seuchen zu tun gehabt und Bedrohungen gekannt. Und weiter greift sie einen Gedanken aus der Bibel auf: „Ich bin da und der Frieden und die Macht der Liebe sind größer als alles andere.“ Darauf müsse man vertrauen.

Die Direktorin weist auf das Friedenslicht aus Bethlehem hin, das auch in Neukirchen-Vluyn angekommen ist. Eine kleine Kerze, die aber einem ganzen Raum Licht gibt. Annegret Puttkammer unterstreicht: „Für mich ist die weihnachtliche Botschaft, dass es sich lohnt, die Mühe auf sich zu nehmen.“

>> Aktion #wärmewinter <<

„Es gibt Menschen, die sich nicht trauen, die Heizung einzuschalten“, sagt Pfarrerin Annegret Puttkammer über die Folgen der Entwicklungen auf dem Energiemarkt. Diakonie und Evangelische Kirche werben für die Idee #wärmewinter.

Der Brief der Ratsvorsitzenden der Ev. Kirche in Deutschland und des Präsidenten der Diakonie Deutschland an die Kirchengemeinden und diakonischen Werke ist abrufbar auf der Seite ekd.de/waermewinter. Dort gibt es weitere Infos. „Wir wollen im bevorstehenden Herbst und Winter mit möglichst vielen Ideen und gemeinsamen Aktivitäten und Angeboten von Kirche und Diakonie vor Ort ein sichtbares und öffentliches Zeichen gegen soziale Kälte und für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe setzen“, heißt es dort.