Kreis Wesel. Freie Fahrt für Raser? Der Kreis Wesel baut bald den Großteil seiner festen Blitzer ab. Was der Grund für diesen ungewöhnlichen Schritt ist.

Viele Autofahrerinnen und Autofahrer haben mit ihnen schon ihre unliebsamen Erfahrungen gemacht: Wenn ein Blitzgerät auslöst, sorgt das in der Regel in den Wochen danach für eine kleine bis größere Lücke auf dem Konto – je nachdem, wie schnell man unterwegs war. Vor einem Großteil der fest installierten Blitzgeräte, die vom Kreis Wesel betrieben werden, brauchen Temposünder demnächst jedoch keine Sorgen mehr zu haben. Denn wie aus einer aktuellen Vorlage für die Politik hervorgeht, müssen die meisten stationären Anlage am 30. Mai abgeschaltet werden, weil der Hersteller keinen technischen Support mehr bietet.

Nur drei Messstellen sollen wiederhergerichtet und weiterhin betrieben werden, bei allen anderen wäre die Wiederinbetriebnahme zu aufwendig und stehe in keinem Verhältnis zur Anzahl der Verstöße, wie die Erfahrungswerte der vergangenen Jahre gezeigt hätten. „Dort ist eher nicht mehr von einem Unfallhäufungspunkt auszugehen“, heißt es in dem Schreiben. Bei den Autofahrerinnen und Autofahrern habe sich ein Gewöhnungseffekt eingestellt.

Blitzer im Kreis Wesel: Diese Anlage werden abgeschaltet

Ab- und nicht wieder angeschaltet werden unter anderem diese Anlagen: L896 in Hamminkeln, L1 in Schermbeck (schon außer Betrieb), L397 in Hünxe, B8 in Wesel-Bergerfurth und Wesel-Diersfordt und Voerde, L480 in Sonsbeck, L399 in Moers, L463 in Voerde (schon außer Betrieb) sowie K23 in Alpen. An den aufgegebenen Standorten bleiben die alten Anlagen stehen, allerdings ohne Messfunktion.

Mit neuer Technik instandgesetzt werden sollen nur die stationären Blitzer in Hünxe-Bruckhausen an der L1, in Schermbeck an der B 58 und in Hamminkeln-Brünen an der B 70. Die Arbeiten werden einige Monate dauern, heißt es von der Kreisverwaltung. Weiterhin bestehen bleiben außerdem die beiden Messanlagen auf der A 42 im Autobahnkreuz Kamp-Lintfort, sie sind nicht von den Veränderungen betroffen und werden auch nicht zwischenzeitlich abgeschaltet. Hier lohnt sich das „Blitzen“ besonders: Im Jahr 2022 wurden allein im Autobahnkreuz 42.000 Temposünder erwischt, das machte mehr als die Hälfte des Gesamtergebnisses für den Kreis aus.

Kreis Wesel setzt auf Blitzer ohne Personal

Nach der Abschaltung der meisten festen Anlagen möchte die Verwaltung in Zukunft noch stärker auf sogenannte semistationäre Geräte setzen, im Volksmund bekannt als Blitzer ohne Personal (BoP). Eine weitere solche Anlage ist bereits bestellt und könnte bis Mitte des Jahres in Betrieb gehen. Der Kreis verfügt dann insgesamt über fünf mobile Blitzer, die in einem Anhänger aufgebaut sind und mit Fahrzeugen verschoben werden können, derzeit sind links- und rechtsrheinisch je zwei im Einsatz. Sie sind mit einer oder zwei Kameras bestückt und können so auch zwei Richtungen gleichzeitig überwachen. Die Liste der möglichen Standorte ist lang, die Bußgeldstelle hat dafür ein Verzeichnis angelegt. Enthalten sind darin Gefahrenstellen, Unfallschwerpunkte und Stellen, an denen erfahrungsgemäß zu schnell gefahren wird. Bis zu zwei Wochen kann ein mobiles Gerät an einem Standort stehen bleiben. Gezielt sollen auch die Standorte in den Blick genommen werden, wo künftig die festen Geräte abgeschaltet werden.

Weil der fünfte mobile Blitzer frühestens Mitte des Jahres im Einsatz sein wird und die stationären Anlagen dann abgeschaltet sind, geht die Kreisverwaltung davon aus, dass die Einnahmen aus Bußgeldern im Jahr 2024 rund eine Million Euro niedriger ausfallen werden als noch 2023. Der Kämmerer kalkuliert mit etwa fünf Millionen Euro.

Keine Superblitzer

Nicht nur die Kreisverwaltung kontrolliert die Geschwindigkeit, auch die großen Kommunen Wesel, Dinslaken und Moers sowie die Polizei „blitzen“ Autofahrerinnen und Autofahrer, die zu schnell unterwegs sind. Die als Superblitzer bekannt gewordene Technik der „Enforcement Trailer“ kommt im Kreisgebiet auf absehbare Zeit nicht zum Einsatz. Die Anschaffung der Lasergeräte, die als Anhänger getarnt und ebenfalls mobil einsetzbar sind, ist laut Aussage der Kreispressestelle bisher nicht geplant. Das liege unter anderem daran, dass der Empfang für die Funksignale an vielen Stellen im Kreisgebiet derzeit noch nicht optimal sei.

Grüne und CDU hätten die Zahl der BoPs gerne noch deutlich erhöht und forderten deshalb, noch zwei weitere Geräte anzuschaffen. „Diese Anlagen sind ein wichtiger Baustein im Kreis Wesel – auch in Zusammenarbeit mit der Kreispolizei – zur Verhinderung und Vermeidung schwerer Verkehrsunfälle. Die Anlagen dienen somit dem Schutz aller Verkehrsteilnehmer“, hieß es dazu in einem gemeinsamen Antrag der beiden Fraktionen. Doch diesem Wunsch erteilte die Verwaltung erstmal eine Absage: Es gibt schlichtweg keine Kapazitäten für mehr solcher Geräte.

So bräuchte es beispielsweise zusätzliche Garagenplätze sowie die Möglichkeit zur Stromversorgung, ein weiteres Fahrzeug müsste zudem die Anhänger ziehen. Außerdem ist die Bußgeldstelle bereits mit fünf Geräten personell am Limit. „Der Betrieb weiterer Semistationen könnte die Einstellung zusätzlichen Bedienpersonals erfordern. Auch eine weitere Zunahme von Anzeigen kann die Bußgeldstelle mit der vorhandenen Personalkapazität in der Sachbearbeitung möglicherweise nicht mehr abarbeiten“, heißt es von der Kreisverwaltung. Sie will die Auswirkungen untersuchen, die sich durch den Wegfall der festen Blitzer ergeben, und im nächsten Jahr darüber beraten, ob Handlungsbedarf besteht.

Temposünder im Kreis Wesel: Das Bewusstsein verändert sich

Sollte sich herausstellen, dass sich in einem der Bereiche, die bald aufgegeben werden, das Gefahrenpotential zum Beispiel durch viele Unfälle wieder erhöht, könnte auch die Wiederherrichtung eines „alten“, nicht mehr betriebenen Standortes erwogen werden, betont Kreissprecherin Eva Richards auf Nachfrage der Redaktion.

Die Bußgeldstelle des Kreises widerspricht allerdings dem Eindruck, dass der Lerneffekt bei Temposündern nur gering sei. „Neben der Gewöhnung an die Standorte der stationären Anlagen, scheint bei den Verkehrsteilnehmern auch ein anderes Bewusstsein bezüglich der neuen Grenzen zwischen Verwarngeld und Bußgeld einzutreten“, heißt es. Vor der Umstellung des Bußgeldkataloges sei eine Überschreitung des Tempolimits von bis zu 20 Kilometer pro Stunde als relativ folgenlos wahrgenommen worden, mittlerweile liege diese Grenze eher bei 15 km/h. Der Kreistag muss am Donnerstag noch zustimmen.

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