Kreis Wesel. Erntedank , das ist jährlich die Gelegenheit zu Bilanz und Abrechnung. Im Kreis Wesel gaben die Landwirte schlechte Noten für Berlin und Brüssel.
Wetterkapriolen gab es auch in diesem Jahr und sie haben der heimischen Landwirtschaft zu schaffen gemacht. „Es sah erst gut aus und es war am Ende eine mittlere Katastrophe“, brachte es Martin Gimken, Wesels Ortsbauernvorsitzender, beim Erntedankfest der Kreisbauernschaft auf den Punkt. Sabrina Fell, Vertreterin der Junglandwirte, dazu: „Es war eine Getreideernte, die ich so noch nicht erlebt habe“ – die Wetterextreme in ihrer zunehmenden Häufigkeit bereiten Sorgen. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist eines der zentralen Themen der Bäuerinnen und Bauern in der Region. „Es ist nicht selbstverständlich, dass der Tisch immer reich gedeckt ist“, so der Kreisbauernschaftsvorsitzende Johannes Leuchtenberg. Vor Jahren sei das den Menschen nicht bewusst gewesen, „Corona und der unsägliche Krieg haben einen Prozess des Nachdenkens eingeleitet.“
Neben dem Wetter ist es die Politik, die die Versorgung mit Lebensmitteln aus der Region gefährde, ja, die Fähigkeit Deutschlands und Europas, sich selbst zu versorgen: Das klang immer wieder an an diesem Abend im Kreishaus Wesel. Die Bauern sehen sich mit Auflagen aus Berlin und Brüssel überzogen, Papiertiger, die inzwischen digital daher kommen und eine kostendeckende regionale Lebensmittelproduktion gefährdeten. Der Kreis Wesel, so Leuchtenberg, habe fruchtbare Böden. „Wo sonst wenn nicht hier können wir Lebensmittel produzieren?“ Stattdessen würden die bäuerlichen Betriebe in ihrer Entwicklung behindert. Berlin habe fast ausschließlich den Klimaschutz im Blick, den die Regierung durch eine Extensivierung der Lebensmittelproduktion bekämpfen wolle. „Am Ende wird das nur zur Produktionsverlagerung führen.“ Die Bauern kümmerten sich aktiv um den Klimaschutz und wollten noch besser werden.
Bauern wollen den Europawahlkampf für sich nutzen
Leuchtenberg forderte, der „nationalen Regelungswut“ Einhalt zu gebieten und stattdessen europaweite Konzepte zu entwickeln. Um sich Gehör zu verschaffen, wollen die Bauern den beginnenden Europawahlkampf nutzen, gewählt wird am 9. Juni 2024. „Die Grundidee des Green Deal ist gut“, beurteilt Leuchtenberg die Klimaschutzstrategie von Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission. Die Herangehensweise ihres ehemaligen Vize Frans Timmermanns sei aber falsch gewesen. Leuchtenberg erhofft sich auch für die Bauern der Region Fortschritte, weil von der Leyen die Selbstversorgung in den Fokus gerückt und einen strategischen Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft angekündigt habe. „Ich hoffe, das ist nicht nur dem Wahlkampf geschuldet“, so Leuchtenberg. Er wünsche sich europaweit eine Zusammenarbeit nach dem Kooperationsprinzip, wie sie im Kreis Wesel gut funktioniere: Bauern finden in Gesprächen mit Verwaltung und Naturschutzverbänden Lösungen. Landrat Ingo Brohl stellte auch weiter einen Austausch mit Verwaltung und Rathäusern in Aussicht, die genannten Themen gelte es zu diskutieren.
Flächenfraß setzt die Landwirtschaft in der Region unter Druck. Leuchtenberg nannte hier in erster Linie die Ausweisung im RVR-Regionalplan für den Kiesabbau, aber auch den Bau von Gewerbe- und Wohngebieten mit den zusätzlich anfallenden Ausgleichsflächen. Die NRW-Ausbaustrategie von Freiflächen-Photovoltaikanlagen kritisierte er erneut, es gebe viele Parkplätze, die überdacht und mit Photovoltaik versehen werden könnten, und viele weitere Dächer, bevor landwirtschaftliche Fläche dafür herhalten müsse. „Wir können gleich beim Kreishaus anfangen!“ Ärgerlich sei zudem, dass offenbar alle Strom- und Gasleitungen durch den Kreis führen müssten. Der Wolf als Belastung für Weidetierhalter, die gefräßigen Sommergänse, die „die Geflügelpest das ganze Jahr über am köcheln halten“, so Leuchtenberg – die Baustellen für die Landwirtschaft sind zahlreich. Es gebe aber auch Chancen für die bäuerlichen Familienbetriebe, die Ökomodellregion zusammen mit dem Kreis Kleve etwa, und die Nähe zu den urbanen Räumen.