Kreis Wesel. Wilhelm Neu war lange Jahre Bauernfunktionär im Kreis Wesel. Klimawandel, Flächenfraß und immer neue Vorgaben sind die größten Probleme.
Kaum einer kennt die Lage der heimischen Landwirtschaft so gut wie Wilhelm Neu. 18 Jahre lang war er Kreislandwirt im Kreis Wesel, 16 Jahre Vorsitzender der Kreisbauernschaft, Vorsitzender der Kreisstelle der Landwirtschaftskammer und so vieles mehr. Coronabedingt erst am Mittwoch wurde er, zwei und vier Jahre nachdem er aus den Ämtern geschieden war, offiziell verabschiedet. Im Gespräch mit der Redaktion blickt er zurück – und wagt angesichts niederländischer Bauernproteste und heimischen Unmuts auf den Höfen einen Blick nach vorn.
Eine Philosophie habe er in den 18 Jahren immer befolgt. „Man kann alles in Gesprächen hinbekommen. Wir kämpfen mit immer neuen Problemen in der Landwirtschaft und darum, sie so gering wie möglich zu halten.“ Zum Beispiel, als es beim Isselhochwasser 2016 darum ging, Schäden erstattet zu bekommen und um besseren Hochwasserschutz zu kämpfen. „Man muss sich an die Regierenden wenden, mit ihnen reden. Das Schulterklopfen der Opposition ist schön, hilft aber nicht“, sagt er.
Probleme der niederländischen Bauern betreffen zum Teil auch deutsche Kollegen
Der Blick auf die niederländischen Nachbarn, hier sind die Bauern seit Monaten auf den Barrikaden, stimmt nachdenklich. Es geht um die Stickstoffbelastung. „Der Staat will, dass sich dreißig Prozent der Betriebe verabschieden“, sagt Neu, „das ist jeder Dritte“. Das erkläre die Radikalisierung der Bauern. „Ich kenne einen sehr konservativen niederländischen Kollegen“, erzählt er. „Er hat seinem Sohn gesagt, er soll mitmachen bei den Protesten, sie seien eine Chance, seine Zukunft zu retten.“
Doch es ist ja nicht so, als träfen die Vorgaben aus Brüssel nur die Niederländer, auch die deutschen Landwirte müssen sich danach richten. „Weniger oder nicht mehr düngen in Landschaftsschutzgebieten“, nennt Neu ein Beispiel. Es fehle die Einsicht darin, wie Lebensmittelproduktion funktioniert.
Neben den Vorschriften macht ihm der Verbrauch fruchtbarer Böden im Kreis Wesel Sorgen. „Wir müssen die landwirtschaftliche Nutzfläche größtenteils erhalten“, formuliert der 72-Jährige eine Aufgabe der Zukunft. Er nennt den Naturschutz, neue geplante Gewerbe- und Wohngebiete, nicht zuletzt die Kiesgewinnung als landfressende Faktoren im Kreis.
Gibt es Lösungen in dieser Situation? Kollegen munkeln zum Bauernprotest in den Niederlanden, „die gibt es in dieser Form bei uns nicht, noch nicht“. Der Hamminkelner Milchviehhalter Wilhelm Neu aber sieht Ansatzpunkte. Die aktuelle Krise durch den Ukraine-Krieg könne eine Chance für die Bauern sein, sagt er. „Die Bevölkerung merkt, dass Grundnahrungsmittel nicht mehr im gewohnten Maß zu haben sind.“ Das könne zu mehr Einsicht in Politik und Bevölkerung führen. Auch den Klimawandel und die Notwendigkeit zum Klimaschutz sieht er. Darauf müsse man sich einstellen, „und zwar ohne gravierende Ernteeinbußen“. Verbessertes Saatgut sei dafür notwendig. Es müsse Trockenheit, aber auch Starkregen tolerieren. Aktuell ist die heimische Landwirtschaft gentechnikfrei – kann das unter diesen Bedingungen so bleiben? „Das bekommen wir wahrscheinlich nicht hin.“
Klimaschutz und Landwirtschaft zusammen angehen
Klimaschutz und Landwirtschaft müssen nebeneinanderher gehen, das ist die Forderung des ehemaligen Vorsitzenden der Kreisbauernschaft, um die Zukunft zu meistern. „Sonst haben wir nichts zu essen, zumindest keine Lebensmittel, die nach den heimischen hohen Standards produziert werden.“ Landwirtschaft im Kreis Wesel hat Perspektive, davon ist Wilhelm Neu überzeugt.
Nachdem der Bauer nun seine Ämter nicht mehr ausfüllt, kümmert er sich wieder mehr um den Hof. „Eine Kuh macht Muh, viele Kühe machen Mühe“, sagt er und lacht. Zu seinem Abschied sind zahlreiche Politiker und Funktionäre zum Landhaus Ridder in Dingden gekommen, um einem engagierten und gern mal unbequemen Streiter für die heimische Landwirtschaft zu danken.