Johannes Leuchtenberg, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Wesel, im NRZ-Sommergespräch über die Probleme und Zukunft der Landwirtschaft.

In den Niederlanden gibt es seit Wochen teils radikale Bauernproteste, weil die Landwirte ihre Emissionen zu 95 Prozent reduzieren sollen. Auf deutscher Seite ist es bislang ruhig geblieben. Dabei sind auch hierzulande viele Landwirte frustriert. Gründe gebe es einige, wie uns Johannes Leuchtenberg, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Wesel im NRZ-Sommergespräch erklärt.

Herr Leuchtenberg, wir führen unser Gespräch gerade an einem der heißesten Tage des Jahres. Sie sind Milchbauer, haben etwa 100 Tiere. Gibt es für die eine Abkühlung, haben sie eine Sprinkeranlage oder ähnliche Kühlmittel?

Johannes Leuchtenberg: „Nein. Ein paar Tage stehen die das durch. Unsere Tiere ziehen sich schnell wieder in den Stall zurück.“

Inwieweit wird der Klimawandel mit den zunehmenden Hitzewellen für Sie als Landwirt zum Problem? Was macht dies mit den Tieren?

Leuchtenberg: „Ja. Die Feldfrüchte reifen zu schnell ab und bringen einen schlechteren Ertrag mit schlechterer Qualität. Wir fühlen uns ja auch nicht wohl und so ist es auch bei den Kühen. Sie fressen weniger Futter, geben weniger Milch und dösen viel im Schatten.“

Sie führen den Hof in nun dritter Generation, haben ihn von ihrem Vater übernommen, der vom Großvater. Was hat sich über die Jahrzehnte verändert?

„Wir sind nach wie vor eher ein kleiner Milchzuchtbetrieb. Mein Opa war von Haus aus Gärtner, pachtete eine kleine Hofstelle von meinem Urgroßvater und fing dann an, erst einmal alles auf dem Markt zu verkaufen. Er hat viel Gemüse angebaut, ein paar Kühe angeschafft. In den 50er Jahren ist mein Vater mit eingestiegen. Im Zuge der Flurbereinigung in den 60er Jahren, als die bunten Flickenteppiche aus versprengten Flurstücken zu großen Flächen zusammengelegt wurden, haben viele kleine Bauern aufgegeben. Mein Vater suchte einen neuen Hof. Seitdem sind wir in Neukirchen-Vluyn. Verändert hat sich vieles, aber vor allem haben die Vorschriften zugenommen und werden immer mehr. Und es wird immer schwieriger, diese einzuhalten. Das erschwert die Arbeit enorm.“

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Haben Sie nie gezögert, Landwirt zu werden?

Leuchtenberg: „Doch. Ganz sicher war ich zunächst nicht. Ich habe Landbau studiert, mich dann aber im 5. Semester doch entschieden, auf dem elterlichen Hof einzusteigen.“

Warum dann doch?

Leuchtenberg: „Ich wollte selbstständig sein, mir nicht immer vorschreiben lassen, was ich zu tun habe. Und ich wollte mit Kühen arbeiten, ich arbeite gerne mit ihnen. Leider wusste ich damals, 1997, als ich mit dem Studium fertig war, noch nicht, wie viel an Bürokratie dazukommen sollte. Dass wir heute soviel dokumentieren müssen, war damals nicht absehbar. Anfangs sagt man noch, das macht man noch mit. Aber mittlerweile …. Nur: Deshalb bin ich aber nicht Landwirt geworden. Ich möchte sehen, wie sich die Tiere entwickeln, wie das Getreide aufläuft, die Rüben kommen. Daran hat man Spaß. Das macht die Landwirtschaft aus.“

Haben Sie je gedacht, es lohnt nicht mehr?

Leuchtenberg: „Ja, 2016 hatte ich kurz den Gedanken. Da hatte ich gedacht, wenn wir jetzt noch eine neue Siloplatte bauen, können wir die noch bis zur Rente abbezahlen. Wir haben überlegt, was machen wir. Die Betriebe wachsen und wachsen, man müsste eigentlich in eine Stallausbau investieren, wir sind ein kleiner Betrieb. Dann sind wir aber in die Direktvermarktung eingestiegen, und ab da war klar, dass wir weitermachen.“

Was heißt Direktvermarktung?

Leuchtenberg: „Wir haben einen Milchautomaten aufgestellt, ein zweiter ist dann dazugekommen. Letztes Jahr haben wir die Automaten noch einmal vergrößert, bieten neben unserer Milch weitere Produkte von Betrieben aus der Nachbarschaft an. Das ist ein zweites Standbein. Vor allem in den Jahren, in denen es nicht gut lief.“

Nicht gut, weil?

Leuchtenberg: „Wir hatten viele trockene Jahre. Es gab nicht genug Futter. Kraftfutter müssen wir schon zukaufen. Was nun mit den steigenden Energie- und Futterkosten auf uns zukommt, ist noch nicht absehbar.“

Entgegen dem Trend der letzten Jahre steigen wieder die Milchpreise, rund 50 Cent pro Liter bekommen Landwirte in Deutschland von den Molkereien. Ein Hoffnungsschimmer?

Leuchtenberg: „Die Preise steigen, ja. Milch ist knapp geworden. Schlechtes Wetter, hohe Futtermittel- und andere Kosten haben die Milch-Produktion in wichtigen Exportländern der EU und den USA gesenkt. Man muss aber auch sehen, dass die Preissteigerungen erst einmal nur die gestiegenen Kosten decken.“

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Am Niederrhein haben viele Landwirte bereits ihre Höfe aufgegeben, zwischen 2010 und 2020 gut 330 in den Kreisen Kleve und Wesel, das sind gut zehn Prozent, rheinlandweit gab es noch gut 10.000 Betriebe, vor zehn Jahren waren es noch 11.163. Wie ist der Trend zu stoppen?

Leuchtenberg: „Viele Landwirte sind frustriert. Für sie rechnet es nicht mehr. Es fehlt der Lichtblick am Horizont. Viele sagen, ich mache das noch bis zur Rente, haben aber keinen Nachwuchs. Vor allem Sauenhalter geben auf. Die große Konkurrenz kommt aus Spanien und Dänemark. Es bleibt nicht mehr viel Zeit für die Bauern hier. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wirbt für „Geboren, Gemestet, Geschlachtet in Deutschland“. Das ist schön und gut, kommt aber für viele Landwirte zu spät. Wir wollen einerseits mehr Tierwohl. Aber, die Landwirte brauchen dann auch finanzielle Unterstützung bei den Stallumbauten. Denn mehr Geld am Markt machen sie nicht. Die Verbraucher wünschen zwar mehr Tierwohl, aber wollen oder können auch angesichts der steigenden Preise nicht mehr bezahlen. Die Tiere sollen auch mehr draußen gehalten werden. Dazu muss auch das Bau- und Emissionsrecht geändert werden. Und: Es muss feststehen, dass sich dann nichts in den kommenden zehn Jahren ändert. Wir haben aber bislang keine Verlässlichkeit seitens der Politik.“

Ein anderes Thema: In NRW darf künftig weit weniger gedüngt werden als bisher. Die Bundespolitik hat erst kürzlich die Ausweitung sogenannter „Roter Gebiete“ beschlossen, in denen nur noch stark eingeschränkt gedüngt werden darf, um die Nitratbelastung in Gewässern zu senken. Sind Sie auch betroffen?

Leuchtenberg: „Das weiß ich noch nicht. Grundsätzlich ist die Düngeverordnung wichtig, auch wir sind an einem sauberen Grundwasser interessiert. Aber bei diesem Thema bin ich bin der Meinung, dass sich Cem Özdemir sich nicht genug für uns Landwirte eingesetzt hat. Wir hatten ein wissenschaftlich basiertes Modell mit der damaligen Umweltministerin Ursula Heinen-Esser erarbeitet, mit dem man berechnen kann, wo die Einträge herkommen. Damit wären viele Betriebe, die demnächst Einschränkungen bei der Düngung haben, rausgefallen aus der neuen Verordnung. Nur: Es gibt zu wenig Messstellen. Wenn nun eine nur anschlägt, dann wird künftig ein großes Gebiet mit Auflagen belegt, obwohl es nicht nötig wäre. Das ist eine Art Sippenhaft.“

Neben der neuen Düngeverordnung ist das Thema Flächenfraß und Auskiesung eines der bestimmenden derzeit für die Landwirtschaft am Niederrhein. Der Regionalverband Ruhr muss im Punkt Kiesausgrabung den Landesentwicklungsplan neu überarbeiten. Ein Hoffnungsschimmer?

Leuchtenberg: „Mal sehen. Aber nicht nur der Kiesabbau, auch die Ausweisung von Straßen, Wohn- und Gewerbegebieten oder Ausgleichsflächen führen zu einem immensen Flächenfraß. Landwirtschaftliche Flächen müssen geschützt werden. Auch vor dem Hintergrund der Versorgungsengpässe durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die sich immer weiter verschärfende Hungersnot in Afrika. Ziel muss es sein, den Verbrauch von landwirtschaftlichem Ackerland und Nutzflächen bis 2030 auf Null zu senken. Entweder will man aus der Heimat ernährt werden, oder man lässt es bleiben. In den 60er Jahren war in den Dörfern eine viel viel größere Vielfalt da, da war hinter jedem 3. Haus ein kleiner Misthaufen oder auch sonst irgendwas, was auch gut für die Insekten war. Und was hat man gemacht? Aus den Dörfern sind Städte geworden, mit breiteren Straßen, wenn auch Schlafstädte. Und das ist ein Problem. Auf jede Fläche, die versiegelt wird, können sie nichts mehr anbauen.“

Landwirte heute brauchen scheinbar einen langen Atem.

Leuchtenberg: „Den haben aber nicht mehr alle. Es nervt auch, dass wir immer auf der Anklagebank sitzen. Wir sind immer schuld. Klimawandel, Umweltverschmutzung. Das stört viele Kollegen. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob es noch Sinn macht, die Höfe weiterzubetreiben. Es fehlt ein Licht am Ende des Tunnels. Dabei macht der Beruf Spaß.“

Werden Sie ihren Hof an die nächste Generation übergeben?

Leuchtenberg: „Dazu sind meine Kinder noch zu klein. Die größere Tochter hat kein Interesse bislang. Der mittlere Sohn ist 7 und überlegt was mit Ziegen zu machen.“