Emmerich. Die Eltener Bergretter bröseln die mangelnde Sicherheit an der Betuwe-Linie, eine Gefahrguttrasse, auf. Stadt müsse sich mit Klage befassen.

Eine Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss auf der Betuwe-Linie hatte die Stadt Emmerich bisher immer ausgeschlossen. Mit der Begründung: Man würde den Konsens damit definitiv verlassen. Jenen Konsens, der Emmerich versicherte, dass das Land NRW das kommunale Kostendrittel übernimmt. Denn bei 19 Bahnübergängen, die zu beseitigen sind, würde Emmerich auf erheblichen Kosten sitzenbleiben.

Das Konsens-Argument zieht nicht mehr

Aber die Gesetzeslage hat sich geändert. Früher sah das Eisenbahnkreuzungsgesetz für solche Maßnahmen eine Kostendrittelung zwischen Bahn, Bund und Kommune vor. Das heutige Gesetz sieht eine Aufteilung zwischen Bund (Hälfte), Bahn (Drittel) und Land (Sechstel) vor. Der Druck für die Kommunen ist raus. Das Konsens-Argument zieht nicht mehr. Darauf hat der Reeser Bürgermeister Christoph Gerwers als Sprecher des Betuwe-Projektbeirates die Kommunen schriftlich hingewiesen.

Dies eröffnet aus Sicht der Bürgerinitiative Rettet den Eltenberg einen neuen Hebel. Diesmal geht es nicht darum, welche Streckenführung nun die Betuwe am Eltenberg nehmen soll. Es geht um die Sicherheit an einer Gefahrgutstrecke. Die BI fordert: „Wir wünschen uns, dass der neue Rat der Stadt Emmerich im Klagefall auch die Bereitschaft zeigt mit zu klagen. Im Sinne der städtischen Stellungnahme“, sagt Hans-Jörgen Wernicke, Sprecher der BI. Es wäre taktisch nicht unklug, dies vorher zu kommunizieren.

Klaus Fassin: „Gefahr ist schon akut vorhanden“

Mit einem Planfeststellungsbeschluss ist zeitnah nicht zu rechnen. „Aber die Gefahr ist schon akut vorhanden“, betont Klaus Fassin, der bekannte Katjes-Gründer vom Eltenberg.

Die Bergretter Frank Jöris und Jurist Thomas Hoever haben sich intensiv mit der Gefahrgutproblematik befasst. Die Deutsche Bahn habe auf Nachfrage nicht mitteilen können, wie viele Gefahrguttransporte über die Betuwe, die von Rotterdam über Deutschland und die Schweiz bis Genua führt, ins Land kämen und wie gefährlich die Stoffe sind, so Hoever. So richtig glauben mag er das nicht. Die Niederländer machen die exakten Daten öffentlich. Die Schweizer nehmens noch genauer, können sogar die Mengen nennen.

Niederländer bauten bewusste eine Hochsicherheitsstrecke

Der Jurist Thomas Hoever hat sich gemeinsam mit Frank Jöris – beide von den Eltener Bergrettern – intensiv mit der Gefahrguttrasse Betuwe befasst.
Der Jurist Thomas Hoever hat sich gemeinsam mit Frank Jöris – beide von den Eltener Bergrettern – intensiv mit der Gefahrguttrasse Betuwe befasst. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

Aus den niederländischen Angaben sei ablesbar, dass trotz gestiegener Baumaßnahmen auf der Route der Anteil der Gefahrgutstoffe kontinuierlich steige. „Es ist auch das klare politische Ziel, so viel wie möglich Gefahrgut über die Betuwe laufen zu lassen und andere Strecken zu entlasten“, erklärt Hoever die niederländischen Absichten. Das sei auch nachvollziehbar, schließlich hätten die Nachbarn ein Hochsicherheitsstrecke gebaut. Denn man schätze ein hohes Risikopotenzial ein.

Die Deutsche Bahn hingegen gibt sich bedeckt, fasst das Sicherheitskonzept auf anderthalb DIN A4-Seiten zusammen. Botschaft: Alles sei sicher. Alle Regeln würden beachtet. „Die Bahn und bisher auch das Eisenbahnbundesamt leugnen das Problem“, sagt Hoever. Das Bergretter fordern das EBA auf, eine nötige Risikoanalyse durchzuführen.

Ohne Risikoanalyse die Strecke betreiben?

Ein hochkomplexer Vorgang, bei dem ermittelt wird, welche Stoffe, die giftig, explosiv, brennbar, schädlich für Mensch und Natur sind, hier transportiert werden. „Die Niederländer und die Schweizer haben das gut durch dekliniert“, schildert Hoever. Es sei nicht nachvollziehbar, das dies bisher in Deutschland nicht gemacht werde. Zumindest nicht bei der Bahn: „Ohne Risikoanalyse halten wir es für unverantwortlich, die Strecke zu betreiben.“

Die Bergretter vermissen auch die Prävention. Ein Beispiel: Ein Vorläufer für häufige Bahnunfälle seien heißlaufende Achsen. Hierfür gebe es Ortungsanlagen, die über einen Temperaturfühler Alarm schlagen und automatisiert den Leitstellen Meldungen machen. Die Niederländer und die Schweizer erachten diese als „flächendeckend notwendig“, so Hoever. In Deutschland: Fehlanzeige.

Die Gefahrgut-Waggons bewusster zusammen stellen

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Auch die Zugzusammenstellung müsse man sich auf der Betuwe-Route näher ansehen. Indem man Waggons mit nicht gefährlichen Ladungen als Puffer dazwischen plane, könne man übergreifende Flammen verhindern. Dafür müsste sich die Deutsche Bahn aber näher damit befassen, was transportiert werde.

Und was ist, wenn es zum Unglück an der Bahn kommt? Je schneller die Einsatzkräfte vor Ort sind, desto besser. Hier gebe es erhebliche Defizite, meinen die Bergretter. Bei der Informationsübermittlung, bei der Verlässlichkeit der Infos, bei der schnellen Zuwegung und vor allem beim Abstellen des Stromes, bevor die Einsatzkräfte eingreifen können (Erdung). Bekanntlich müsste der Notfallmanager per Auto aus Duisburg nach Emmerich kommen. Dies soll binnen 30 Minuten geschehen, was an sich schon viel zu lang sei. Aber jeder Pendler weiß auch: total unrealistisch.

Die Erdung muss vereinfacht werden

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„Die Erdung“, so der ehemalige Bahningenieur Johannes ten Brink, „laufe geradezu archaisch ab. Der Notfallmanager hat die Erdungsstangen hinten im Kofferraum“. Ein Albtraum für die Einsatzkräfte, die womöglich vor Ort dem Elend zusehen müssen. Das System müsse dringend erweitert werden, meint ten Brink. Bei Tunneln zum Beispiel könnten Feuerwehrleute die Noterdung per Schalter selbst vornehmen.

Klar, 2014 gab es einen Sicherheitskompromiss. „Zu dieser Zeit waren aber die Konsensforderungen noch sehr präsent“, erinnert Hoever. Es gebe ein paar Zugänge mehr und ein paar Verbesserungen beim Löschwasser. Ob das reicht, könnte eine Risikoanalyse zeigen. Die Bergretter sind überzeugt: „Das ist nicht umfassend gedacht. Das taugt nichts“, sagt Hoever.

Die Wild trocknet zunehmend aus

Ob bei einem Chlorgasunfall etwa die minimal 6000 Liter Wasser pro Minute für vier Stunden vorgehalten werden könnten, um eine Wasserschildwolke aufzubauen, bezweifelt der Jurist. Diese Menge halten die Niederländer für erforderlich. Gehe dies nicht, bleibe nur noch die Evakuierung. Interessantes Detail: Die Wild in Elten wird als Wasserentnahmestelle eingeplant. Ob die trockenen Sommer und die zunehmende Austrocknung des Gewässerchens bedacht wurde?

Eine Gesamtsituation, die kaum mit EU-Normen vereinbar sei, ist sich Wernicke sicher. Helfen könnte auch eine Bundestagsinitiative. Aber darauf warten die Bergretter schon lange.

Der Nabu würde sicher klagen

Klaus Fassin wohnt am Eltenberg. Kann man hier noch ruhig schlafen? Denn die Gefahrgüter rollen schon über die Betuwe. In puncto Sicherheit müsse da aufgerüstet werden.
Klaus Fassin wohnt am Eltenberg. Kann man hier noch ruhig schlafen? Denn die Gefahrgüter rollen schon über die Betuwe. In puncto Sicherheit müsse da aufgerüstet werden. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

Sicher ist, dass der Naturschutzbund klagen wird, wenn der Planfeststellungsbeschluss nicht etwaige Bedenken in Sachen Sicherheit, Streckenführung, Lärmschutz und Umweltschutz ausräumen kann. Auch Klaus Fassin hofft, dass in puncto Sicherheit nachgebessert wird. „Ich weiß nicht, ob ich das noch erlebe. Aber die nächste Generation unserer Familie wird sich sicher noch feuriger einsetzen“, bringt der Senior juristische Mitstreiter ins Spiel.

>> Landratskandidaten für das Thema sensibilisiert

Die drei Landratskandidaten Silke Gorißen (CDU) sowie die parteilosen Peter Driessen und Guido Winkmann wurden alle im Garten Fassin über die Gefahrenlage aufgeklärt. Der aktuelle Landrat Wolfgang Spreen habe in seiner Amtszeit kein Interesse gezeigt. „Aber es ist die originäre Aufgabe des Landrates als oberster Katastrophenschützer im Kreis Kleve“, unterstreicht Hans-Jörgen Wernicke. Die drei Kandidaten seien sehr interessiert gewesen und würden sich damit befassen wollen.

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