Düsseldorf. Vor dem Hintergrund zunehmender Fremdenfeindlichkeit haben Schüler die Frage gestellt, was eigentlich ihre Heimat ist. Das sind ihre Geschichten.

  • Im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus wurde im Rathaus ein Workshop zur Frage „Was ist Heimat?“ abgehalten
  • Schülerinnen und Schüler stellten eigene Projekte und Gedanken vor
  • Das Friedrich-Rückert-Gymnasium stellte gleich eine ganze Ausstellung auf die Beine, inklusive „Augmented-Reality-Erlebnis“

Ungewohntes Bild im Plenarsaal des Düsseldorfer Rathauses: Statt Krawatten, Hosenanzügen und all den anderen Insignien, die Erwachsene so an sich tragen mögen, gehörte der holzgetäfelte Saal am Dienstag der Jugend. Das Kommunale Integrationszentrum (KI) hatte Düsseldorfer Schulen eingeladen, damit sich die Kinder und Jugendlichen über Rassismus informieren können. Vor allem aber ging es darum, dass sie selbst aktiv werden konnten.

„Wie erkenne ich, was Rassismus ist?“

Das ist es auch, was Bürgermeisterin Clara Gerlach (Grüne), die im Plenarsaal das Grußwort an die anwesenden Schülerinnen und Schüler richtete, betonte: „Ihr könnt euch einbringen. Diese Veranstaltung soll auch als Ausdruck der Wertschätzung dienen.“ Am Ende ihres Grußes stellte sich die Grüne, die im bürgerlichen Beruf Lehrerin ist, Fragen der Schüler. Und die hatten einige mitgebracht: „Was kann ich tun, wenn ich Opfer von Rassismus werde?“ - „Wie erkenne ich überhaupt, was Rassismus ist?“ Und: „Was, wenn meine Eltern vorhaben AfD zu wählen?“ Die Kinder und Jugendlichen hatten Redebedarf. Vor allem aber hatten sie etwas zu sagen.

„Projektkurs Hass“ inszeniert Fotoausstellung in Düsseldorf

So hatte der Projektkurs „Hass – Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlichen Phänomen“ des Friedrich-Rückert-Gymnasiums in Rath volle Geschütze aufgefahren und im Sitzungssaal des Rathauses eine Fotoausstellung inszeniert. Wem das nicht reichte, der konnte sich noch einen Jutebeutel oder Shirt bedrucken lassen und dann den QR-Code des Prints benutzen, um sein Ausstellungserlebnis in der Augmented Reality zu erleben. So gab es den realen Sitzungsaal und die virtuelle Ausstellung parallel.

Altin (16, l.) und Hannam (17) an der Siebdruckmaschine. Hier entstehen die Prints für die Jutebeutel und Shirts.
Altin (16, l.) und Hannam (17) an der Siebdruckmaschine. Hier entstehen die Prints für die Jutebeutel und Shirts. © NRZ

Der Projektkurs unter Leitung der Lehrer Hatice KaraCuban-Ilhan (SoWi) und Tim von Berswordt-Wallrabe (Geschichte) erkundete dieses Schuljahr das Gefühl Heimat. Diana (17) erzählte, wie es dazu kam: „Wir haben angefangen zu dem Thema zu recherchieren. Wir haben Bilder gesucht, die Heimat repräsentieren und dabei fiel uns direkt auf, dass vor allem nationalistische Fotos auftauchten.“ Unerwartet war das zwar nicht, „schockierend war es trotzdem“.

Ausstellung des Projekts Hass zum Thema Heimat

Diese Erfahrung habe sie angeregt, sich die Frage zu stellen, was sie denn eigentlich unter Heimat verstehen würden. Was dabei herauskam, konnte man an der Wand (oder im virtuellen Raum) beobachten. Altin (16) etwa verbindet vor allem Natur und bestimmte Wege mit Heimat. „Ich habe sechzehn Jahre in Rath gelebt, bin immer die gleichen Wege gegangen.“ Nun sind diese Wege Exponate der Ausstellung, vermitteln ein Gefühl des Unterwegseins. Aber auch den Halt, den sie Altin geben.

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Princess hat Fotos in einem Afro-Shop aufgenommen. Im Begleittext erzählt sie von ihren Erfahrungen damit, anders auszusehen. Sie habe sich immer wieder Glättungsmittel in die Haare eingearbeitet, damit sie glattes, europäisch-assoziiertes Haar haben könne.

„Ich sehe nicht deutsch aus. Das reicht, um angefeindet zu werden“

Probleme, die daraus erwachsen, dass man anders aussieht, kennen einige hier. Princess ist ein Beispiel, auch Diana weiß von Diskriminierungen zu berichten. „Ich sehe nicht sehr deutsch aus. Das reicht ja schon. Anfeindungen sind da oft ganz normal.“ Sie berichtet auch von dem unangenehmen Gefühl, immer wieder auf ihre Herkunft festgenagelt zu werden, kennt dieses Nachfragen: „Ja, aber wo kommst du wirklich her?“ Früher habe sie mit ihrem „Herkunftsland geantwortet, ohne wirklich darüber nachzudenken. Denn irgendwie ist das ja auch die Antwort, die von einem erwartet wird.“

So einfach sei das aber gar nicht. Heimat sei für sie weniger ein Ort, als vielmehr mit den Menschen verknüpft, die ihr wichtig sind. Obwohl sie exzellente Voraussetzungen hätte, zum Studium weit wegzugehen (sie spricht neben Deutsch auch Englisch, Spanisch und Russisch), will sie hier bleiben: Wegen der Menschen, die ihre Heimat sind. Es werde wohl ein Studium der Politikwissenschaft. Möglicherweise auf Lehramt.

Heimat zwischen Rath und Mazedonien

Selvija (17) hat eine Art geteilte Heimat. Auf der einen Seite ist es das Herkunftsland ihrer Eltern, Mazedonien. Auf der anderen Seite ist es aber auch Rath. Genauer: Die Gegend um den Rather Kreuzweg. Deswegen ist auf ihrem Foto eine Straßenszene mit Dönerladen zu sehen. „Es ist die Atmosphäre hier, die mir ein Gefühl von Heimat gibt.“ Das sei in Rath ohnehin gegeben: „Wir sind so ein bisschen getrennt von der Stadt, das merkt man. Jeder kennt sich, jeder spricht miteinander.“ Seit über zehn Jahren lebt sie nun im Stadtteil, berichtet von einer Lebendigkeit, die es mit den urbanen Zentren in jedem Fall aufnehmen könnten. Aber: „Die Leute sind netter in Rath“, sagt sie.

Immer wieder strömen Schüler anderer Klassen vor die Ausstellungswand, lassen sich die Bilder erklären, Beutel bedrucken. Gegenüber hat die Werner-von-Siemens-Realschule eine Fotobox aufgebaut. Politischer Punk dringt aus den Musikboxen. Auch dies eher ungewohnt fürs Düsseldorfer Rathaus. Im Plenarsaal findet mittlerweile ein Quiz statt. Und auch das ZAKK ist vor Ort, feiert gemeinsam mit den Schülerinnen und Schüler die rheinländischen Edelweißpiraten und ihren – eher unfreiwilligen – Widerstand gegen das NS-Regime.

„Irgendwann fühlt man sich auch als Ausländer“

Princess, die ghanaische Wurzeln hat, berichtet im Text zu ihrem Foto, dass sie in Ghana als „die Deutsche“ gelten würde, hier aber werde sie als Afrikanerin verstanden. Auch Selvija kennt das. Problematisch sei aber, dass „die Deutsche“ zu sein im Ausland gar nicht so negativ aufgeladen sei. In Deutschland als „Die Ausländerin“ gesehen zu werden, sei etwas ganz anderes. Und nichts Gutes.

„In diesem Land wird man ständig als Ausländer bezeichnet – und fühlt sich irgendwann wie einer.“ Sie hat ihr ganzes Leben hier verbracht, trotzdem suche sie die kulturelle Nähe in Mazedonien: „Der Grund dafür, dass ich mich hier so fremd fühle und die kulturelle Nähe suche, ist der Hass, der gegen Ausländer in diesem Land verbreitet wird. Nur weil mein Nachname nicht Müller ist oder meine Haare nicht blond sind, gehöre ich nicht hierher.“ Und doch ist da immer noch die Community in Rath, die ihr Halt gibt: Selvijas hybride Heimat am Stadtrand.

Das Gefühl, es fehle etwas, die Suche nach einer kulturellen Nähe, kennt auch Diana. Ihr Foto zeigt das Schild der Partnerstädte Düsseldorfs am nördlichen Zubringer. Genauer, die unübersehbare Lücke, die zwischen Chongqing und Warschau klafft, dort, wo früher Moskau stand. Durch den Krieg in der Ukraine ist der Teil ihrer Familie, der noch in Russland wohnt, abgeschnitten. Zu allem Überfluss hat Diana nach dem Angriff auf die Ukraine erleben müssen, dass sie als Putin-Befürworterin angegangen wurde. „Das hat sich mittlerweile aber gelegt.“ Doch die Erfahrung war gemacht.

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