Dinslaken. Laura aus Voerde weiß: Mit 30 Jahren wird bei ihr eine schlimme Erbkrankheit ausbrechen. Wie sie mit diesem Wissen lebt und aufklären will.

Psychologie studieren und dann als Therapeutin arbeiten, Grillabende mit Freunden, während die eigenen Kinder im Garten spielen: Die Vorstellungen und Ziele, die Laura Romainczyk von einem glücklichen Leben hat, sind nicht illusorisch. Für die 20-jährige Voerderin sind sie dennoch unerreichbar.

Sie wird in gut zehn Jahren wahrscheinlich Verhaltens- und Bewegungsstörungen entwickeln, nicht mehr alleine laufen und höchstwahrscheinlich auch nicht mehr richtig sprechen können sowie kognitiv und geistig immer weiter abbauen. So jedenfalls ist es bei ihrer Mutter gewesen. Die Ärzte vermuten bei Laura einen ähnlichen Verlauf, wie sie im Gespräch mit der NRZ erklärt. Ihre heute 47-jährige Mutter leidet an Huntington, einer Erbkrankheit, die auch bei Laura im Alter von ungefähr 30 Jahren ausbrechen wird.

Im Gespräch mit der NRZ erinnert sie sich an den Moment, als sie im Ärztezimmer die Diagnose erhielt: „Es war ein Schock. Es war total surreal.“ Vorausgegangen waren viele Testungen – und Monate des Hoffens: „Ich dachte, ,vielleicht habe ich Glück‘. Deswegen wollte ich mich auch unbedingt testen lassen.“ Mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent wird Huntington vererbt. Testen lassen können sich alle Menschen ab 18 Jahren, wenn ein Familienmitglied unter der Krankheit leidet.

„Wenn man mir gesagt hätte, ich habe die Krankheit nicht geerbt, dann wäre das eine große Erleichterung gewesen. Ich hätte diese Ungewissheit nicht ertragen“, sagt die 20-Jährige. Großeltern und Freunde, die sie zur Ergebnisverkündung begleitet hatten, hätten sofort angefangen zu weinen, erinnert sie sich weiter. Und Laura? „Ich selbst habe ein paar Tage gebraucht, bis sich das alles gesetzt hat.“

Laura Romainczyk informierte sich mit 11 Jahren das erste Mal selbst im Internet über Huntington

Mit elf Jahren habe sie das erste Mal im Internet zu der Krankheit ihrer Mutter recherchiert, die zu diesem Zeitpunkt bereits starke Symptome zeigte. „Ich erinnere mich, dass es oft Streitigkeiten gab, meine Mutter psychische Probleme und auch die für die Krankheit typischen Überbewegungen entwickelte. Ich wollte sie einfach besser verstehen und habe mich im Netz informiert“, erklärt sie.

Doch das bedeutete für sie auch: Das Krankheitsbild, das im Internet beschrieben wurde, und das Schicksal ihrer Mutter könnten auch sie treffen. „Es war total überfordernd“, gesteht sie und ergänzt: „Das hat mir Angst gemacht.“ Zu dieser Zeit spielte Laura noch aktiv Fußball. Währenddessen habe sie angefangen, auf ihre Bewegungen zu achten, Anzeichen einer Erkrankung festzumachen. „Es hat mich kirre gemacht, dass gesetzlich festgelegt ist, dass man erst mit 18 getestet werden darf“, beschreibt sie ihre Gefühlslage zu dieser Zeit.

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Bis zu ihrer eigenen Diagnose hat sie erlebt, wie ihre Mutter immer weiter abgebaut hat, irgendwann in ein Pflegeheim musste, weil die Betreuung zu Hause nicht mehr leistbar war. In dieser Zeit hat sie auch mitbekommen, dass die Medizin bei der Behandlung der unheilbaren Krankheit immer noch an ihre Grenzen stößt.

„Es gibt kaum Ärzte, die sich zum Beispiel trauen, an der Medikation meiner Mama etwas zu verändern, weil Huntington immer noch so wenig erforscht ist. Viele werden auch zum Beispiel mit Parkinson falsch diagnostiziert, weil sich die Krankheitsbilder von den Symptomen her so ähneln“, berichtet die 20-Jährige.

Für sie war deswegen kurz nach ihrer eigenen Diagnose schnell klar, dass sie ein Zeichen setzen und sich für sich selbst und auch andere Huntington-Erkrankte einsetzen möchte. Bereits im Mai 2021 organisierte sie die Aktion „Light it Up 4 HD“, also „Beleuchtung für Huntington“, am Haus Voerde. Damals erstrahlte das Gebäude in lila und blau, den Farben, mit denen auf Huntington weltweit aufmerksam gemacht werden soll.

„Light it Up 4 HD“: Aktion in Voerde am Wasserschloss

In Kooperation mit Stefan Schmitz, SPD-Vorsitzender, der Stadt und der Firma LSC aus Voerde, die für die Beleuchtung sorgt, wird die Aktion am Samstag, 4. Mai, 19 bis 23 Uhr, am Wasserschloss wiederholt. Das Restaurant Steffen‘s wird für Essen und Getränke sorgen, zwischen 20 und 21.30 Uhr soll es Live-Musik geben und Infomaterial von der Deutschen Huntington-Hilfe soll auf Tischen ausgelegt werden.

Laura wird den Abend mit einer kurzen Rede eröffnen, in der sie sich und ihre Familie als Betroffene vorstellt. „Ich möchte nicht an einer Krankheit sterben, die keiner kennt“, erklärt sie ihre Intention der Aktion. „Die Menschen wissen so wenig über Huntington. Ich möchte die Krankheit sichtbarer machen und ein Zeichen an die Wissenschaft setzen. Es ist wichtig, dass Huntington weiter erforscht wird.“

Doch weil sie weiß, dass Therapiemöglichkeiten derzeit noch stark begrenzt sind, will sie die Zeit, die ihr noch bleibt, bevor die Krankheit ausbricht, für all die schönen Dinge nutzen, zu denen andere Menschen ihr Leben lang Zeit haben. „Eigene Kinder bekommen möchte ich nicht“, sagt sie, auch, wenn der Wunsch danach, eine eigene Familie zu gründen, vorhanden ist. Zu groß sei jedoch die Angst, dass sie Huntington ebenfalls an ihre Kinder vererbt.

Ein „großes Sorgenthema“ sei dabei auch, einen Partner zu finden. Schließlich würde sie bereits in jungen Jahren ein Pflegefall sein. „Deswegen konzentriere ich mich in der Zeit, die mir bleibt, auf die Dinge, die mir ebenfalls wichtig sind und die ich unbedingt erleben möchte“, sagt sie.

Laura Romainczyk aus Voerde: „Will alles aus diesem Leben rausholen“

Das sei zum Beispiel das Arbeiten auf einer Elefantenfarm in Thailand oder ein Umweltschutzprojekt in Island, für das Laura im vergangenen Jahr gearbeitet hat. „Essen und Unterkunft werden einem meist gestellt, so kann ich wenigstens meine Reisen für kleines Geld umsetzen“, erklärt sie und ergänzt: „Ich will die wenigen Jahre, die ich habe, gelebt haben.“

Dazu zählen für die musikbegeisterte junge Frau auch Festivalbesuche und Konzerte, wie das von Taylor Swift und Coldplay noch in diesem Jahr. „Natürlich denke ich manchmal: ,Was ist das für ein Plan, der mir da ausgehändigt wurde?‘“, gibt sie zu. Gerade in traurigen Phasen, wie im Jahr 2023, als ihr Vater starb, habe sie „viele schlechte Momente“ durchlebt, doch sie sagt auch: „Ich versuche dann für mich selbst ganz viel Verständnis zu haben, für das verdammt schwere Schicksal, das ich habe. Natürlich könnte ich mich jetzt da reinsteigern. Stattdessen will ich aber lieber alles aus diesem Leben rausholen, was eben geht.“

Vor allem ihre Mutter sei ein Vorbild für sie, gerade in schwierigen Momenten: „Das, was mich an meiner Mama so beeindruckt, ist, dass sie sich immer noch über Kleinigkeiten freuen kann, selbst, wenn wir nur gemeinsam ein Eis essen gehen. Es gibt mir Kraft, das zu sehen, und ich glaube, dass auch dann noch ein bisschen Lebensqualität da ist.“ Trotzdem ist ihre Mutter immer auch ein Spiegelbild ihres zukünftigen Ichs. „Ich möchte mich besser auf das, was kommt, vorbereiten, sehe mir beispielsweise Heime an, die geeignet wären.“ Das gebe ihr ein Gefühl von Kontrolle über ihr Leben mit einer Krankheit, der sie am Ende machtlos ausgesetzt ist.

Über Huntington

In Deutschland leben etwa 8.000 bis 12.000 Menschen mit der Huntington-Krankheit, schreibt die Deutsche Huntington-Hilfe auf ihrer Internetseite. Dort heißt es weiter, dass es sich dabei um eine „seltene, vererbbare Erkrankung“ handelt, „die die Nervenzellen mit zunehmender Krankheitsdauer schädigt“.