Dinslaken/Voerde/Hünxe. Die Schulen mussten mehrfach neue Konzepte aus dem Boden stampfen. Schulleiter und Schulträger aus Dinslaken, Voerde, Hünxe ziehen Corona-Bilanz.

„Wir haben im Prinzip Schule drei Mal neu erfunden“, sagt Thomas Nett, angesprochen auf eine Bilanz nach rund einem halben Jahr Schulbetrieb unter Coronabedingungen. Wie der Leiter des Theodor-Heuss-Gymnasiums (THG) in Dinslaken ausführt, habe man anfangs – während des Lockdowns Mitte März – ein Konzept für das Distanzlernen entwickeln müssen, Ende April dann eines für die schrittweise Wiederaufnahme und dann Anfang August vor Schuljahresbeginn ein Konzept für einen angepassten Regelbetrieb.

„Das hat unglaublich viel Kraft gekostet“, resümiert Nett. „Wir sind stolz und froh, es weitestgehend geschafft zu haben. Aber wir sind auch kaputt.“

Das sagt das THG

Der THG-Leiter findet: „Wir sind mit der Distanzphase gut gefahren, waren auch technisch gut darauf vorbereitet.“ Deshalb auch ärgere er sich darüber, dass das Schulministerium „eine Zweiteilung“ und in Folge dessen auch eine Bewertung zwischen Distanz- und Präsenzunterricht vollzogen habe. Die Vorgaben hätten sich oft so gelesen, als sei Distanzlernen die schlechtere Form. Das sieht Nett anders. Und er sagt: „Da das Distanzlernen am THG gut funktioniert hat, hätte ich mir mehr Spielraum gewünscht – zumindest bei uns im Dalton-Bereich. Ich finde es schade, dass das Ministerium da nicht mutiger agiert hat und glaube, da wurde eine Chance vertan.“

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Den angepassten Regelbetrieb aufrecht zu erhalten sei mühevoll gewesen. Auch wenn es bis zu den Herbstferien am THG „glücklicherweise“ keinen Coronafall gegeben habe (das NRZ-Gespräch fand am am Donnerstag statt, als noch nicht bekannt war, dass sich eine Lehrkraft infiziert hat, Anm. d. Red.) hätten immer wieder Lehrer oder Schüler gefehlt, weil sie über ein Kratzen im Hals klagten oder in Quarantäne mussten, da sie als Kontaktperson eines Infizierten ausgemacht wurden. Doch das sei während der Pandemie verständlich.

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Für die Schülerschaft am THG ist Nett voll des Lobes. „Ich habe großen Respekt davor, wie die Schüler mit der Situation umgegangen sind.“ Nach wie vor hätten viele auch während des Unterrichts ihre Masken getragen. „Wir sind in dieser Krisenzeit weiter zusammengerückt.“ Auch die Zusammenarbeit mit der Stadt lobt Nett. Sie habe sich seit Corona „deutlich intensiviert“. Dass die Stadt an den Schulen eine Bedarfsabfrage bezüglich der Ausstattung mit digitalen Endgeräten durchgeführt habe, „das ist kommunal schon ‘ne tapfere Leistung“, findet Nett. Eine Teillieferung der iPads hat das THG bereits erhalten. „Wir brauchen konzeptionell noch einen Moment, damit wir da auch richtig vorgehen.“ Anschließend würden sie dann ausgeteilt.

Das sagt die GHZ-Realschule

„Wir als Schulen werden immer noch überrascht und müssen neu planen und nachjustieren“, findet auch Heike Tuda. Die Leiterin der Realschule im Gustav-Heinemann-Schulzentrum (GHZ) hat in den vergangenen Wochen bekanntlich immer wieder auf Coronafälle reagieren müssen. Sie ist froh, seit diesem Schuljahr im angepassten Regelbetriebs zu sein, betont aber: „Dieser Lockdown zieht immer noch Dinge nach sich.“ Einigen Schülern sei bis jetzt anzumerken gewesen, dass sie ihren Rhythmus durch den Lockdown verloren hätten – manchen bereite das nun wieder frühe Aufstehen Probleme, das Erledigen der Hausaufgaben oder das Konzentrieren. „Wir sind gespannt, wie es weitergeht und was der Winter so bringt“, sagt Tuda. Sie wünscht sich möglichst im Präsenzunterricht bleiben zu können, das sei auch für die Schüler wichtig, betont sie.

Erfreulich findet sie die digitale Entwicklung seit der Pandemie. Auch Tuda lobt das Engagement der Stadt. „Die Digitalisierung an den Schulen hat Corona auf jeden Fall beschleunigt.“ Auch wenn der Anfang gemacht sei, gebe es in dem Bereich noch viel Arbeit. „Wir müssen nun Konzepte entwickeln, wie die Geräte und unsere Plattform für den Unterricht genutzt werden sollen. Es reicht nicht, sie den Lehrern und Schülern einfach in die Hand zu drücken, zuvor braucht es Fortbildungen“, sagt sie.

Das sagt die Ernst-Barlach-Gesamtschule

„Wir Schulen sind auf eine Pandemiesituation strukturell nicht aufgestellt. Insofern hat Corona die Versäumnisse aller Akteure gut aufgezeigt“, befindet Hans-Ulrich Wangerin, Leiter der Ernst-Barlach-Gesamtschule (EBGS).

Die EBGS hatte kurz nach Start des Schuljahres als eine der ersten Schulen im Kreis Wesel Coronafälle vermeldet. „Mich hat es tatsächlich überrascht, dass nach dem Bekanntwerden dieser Fälle nun lange nichts mehr passiert ist.“

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Wangerin, der die NRW-Landesregierung Ende August bekanntlich stark dafür kritisiert hatte, dass die Maskenpflicht im Unterricht endet und er schlussendlich nur eine Empfehlung zum Weitertragen aussprechen konnte, hat auch „höchste Hochachtung vor den Schülern, die Rücksicht nehmen, indem sie ihre Maske weiter freiwillig tragen“. Es sei „klasse, dass die Schülerschaft sich da so deutlich positioniert hat“. Natürlich habe es aber auch einzelne kritische Schreiben diesbezüglich gegeben, oftmals seien diese anonym an der EBGS hinterlegt worden. Auch die Zusammenarbeit mit der Schulpflegschaft während der Pandemie bewertet Wangerin als positiv. Die Eltern hätten viel Engagement und Initiative gezeigt.

Das sagt die Grundschule Am Dicken Stein

Barbara Kehr, Leiterin der Schule Am Dicken Stein in Bruckhausen, lobt „ihre“ Eltern ebenfalls: „Wir haben eine sehr verständnisvolle Elternschaft, die alles mitgetragen hat. Das hat uns weiter zusammenrücken lassen.“ Sie sei froh darüber gewesen, „dass alle Lehrkräfte zur Verfügung standen und wir so die Last auf allen Schultern gleichmäßig verteilen konnten“. Dennoch sagt auch Kehr: „Wir sind alle echt am Limit.“

Aus ihrer Sicht hat die Pandemie den Prozess der Digitalisierung auf jeden Fall vorangetrieben. „Da sind die Dinge im Fluss. In den Herbstferien werden nun unsere Kreidetafeln abmontiert und wir bekommen interaktive Tafeln.“ Schulungen seien bereits beantragt, die Bedarfsabfragen bezüglich der Ausstattung mit digitalen Endgeräten bei den Eltern würden derzeit ausgewertet. Die erforderlichen Tablets sollen laut Kehr Ende November oder Anfang Dezember vorliegen, bis Jahresende soll außerdem die Internetleitung an der Grundschule schneller werden.

Die Informationspolitik des NRW-Schulministeriums, die bekanntlich oft recht kurzfristig erfolgte, bewertet EBGS-Leiter Wangerin als „weiterhin optimierungsbedürftig“. Auch GHZ-Realschulleiterin Tuda findet sie „nicht optimal“, betont aber, „dass wir uns in einer noch nie dagewesenen Situation befinden und diese Szenarien noch nie erprobt haben“. Sie äußert Verständnis dafür, ebenso wie THG-Leiter Nett. Er sagt: „Dort sind auch nur Menschen, die unter hohem Entscheidungs- und Zeitdruck ihre Arbeit bestmöglich machen.“ Die Zusammenarbeit mit den Schulträgern bewerten alle vier befragten Schulleiter als gut.

Das sagt die Stadt Dinslaken

„Gerade zu Beginn (der Coronakrise, Anm. d. Red.) mussten wir zunächst feststellen, dass die Informationen und Vorgaben vom Land oftmals sehr kurzfristig kamen. Das war in Teilen natürlich auch dieser komplett neuartigen Situation geschuldet, die alle vor ganz neue Herausforderungen gestellt hat und noch stellen wird. Mehrere Male kamen aber neue Verordnungen oder auch Schulmails am Freitagabend und sollten am folgenden Montag bereits umgesetzt sein“, sagt Marcel Sturm, Sprecher der Stadt Dinslaken.

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Die Verwaltung habe Hygienekonzepte und Reinigungsaufgaben „schnellstmöglich erledigt, was aber auch in der Personalplanung und -bereitstellung eine größere Herausforderung gewesen ist“. So hätten Zwischenreinigungen genau geplant und Desinfektionsmittel und Hygieneartikel besorgt werden müssen, „die zunächst in diesen Mengen gar nicht verfügbar waren“. Sturm betitelt die Kommunikation mit den Schulen als „sehr eng und vertrauensvoll“. „Was uns große Sorge bereitet, ist, dass die Bildungsschere immer weiter auseinandergeht“, sagt Sturm. Das sei gerade dort festzustellen, wo die Kinder beim Homeschooling nicht intensiv betreut werden konnten oder in der Zeit des Lockdowns wenige Kontakte zu Gleichaltrigen hatten.

Das sagt die Stadt Voerde

Auch die Stadt Voerde sieht es als großes Problem, „dass die Vorgaben des Landes häufig mit unzureichendem zeitlichen Vorlauf und teils mit inhaltlichen Überraschungen kamen“. Bedauerlich sei gewesen, dass Schulen ab der Schließung stark auf ihre Betreuungsfunktion reduziert worden seien und die Frage der Kompensation des Bildungsdefizites nachrangig war.

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Bedauerlich sei aus Sicht der Schüler auch gewesen, „dass es bis dato keinerlei Konzepte für das Lernen auf Distanz gab“. Die Problematik sei zu sehr auf die unzureichende Ausstattung mit digitalen Endgeräten und Engpässe in der Breitbandversorgung der Schulen reduziert worden. „Dadurch ist unnötig Zeit verstrichen, um einen digitalisierten Unterricht inklusive Lernen auf Distanz konzeptionell und in der Lehrerfortbildung vorzubereiten.“ Im Bildungsbereich sei man jetzt „auf einem deutlich besseren Weg zur Vorbereitung für das Lernen auf Distanz, da für Lehrpersonal und bildungsbenachteiligte Schülerinnen und Schüler Endgeräte bestellt sind“. Es bleibe aber bei der Problematik der mangelnden Konzepte und Lehrerfortbildung.

Das sagt die Gemeinde Hünxe

Aus Sicht von Dirk Buschmann, Bürgermeister der Gemeinde Hünxe, war es für die Schulen problematisch, „dass lange nicht klar war, welche Vorgaben gemacht werden und was die richtigen Maßnahmen sind. Es gab nicht ‘die eine richtige Maßnahme’ sondern es musste immer eine Lösung vor Ort getroffen werden.“

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Auch hier hätte alle Akteure versucht, die beste Lösung zur Erfüllung der Vorgaben zu erreichen. „Im Nachhinein betrachtet, waren wir aber in diesen Bereichen gut vorbereitet.“