Dinslaken. Die Dinslakener Foodsharing-Gruppe rettet kistenweise Lebensmittel vor der Tonne – und gibt Tipps, wie jeder nachhaltiger leben kann.

Fünf Tortenstücke liegen auf dem Pappteller und eins sieht köstlicher aus als das andere... Himbeere oder doch Baba? Letzteres ist eine Spezialität der Espressobar Barese, „mit Biskuitboden und Schokolade“, verrät Francesco Ratti. Mmmh! Allerdings müssten ebenjene fünf Tortenstücke nun eigentlich in der Mülltonne landen, so ist es gesetzlich vorgeschrieben, „Torten darf man maximal zwei Tage lang verkaufen“, erklärt er. „Dabei sind sie zum Wegwerfen viel zu schade, weil sie noch genießbar sind.“ Genau aus diesem Grund hat er sich dazu entschieden, Kooperationspartner von Foodsharing zu werden. Und so kommen, immer wenn etwas übriggeblieben ist, Foodsaver bei ihm vorbei, die seine Torten oder Teilchen vor der Tonne retten.

An diesem Tag ist es Stefanie Jähnel, die mit ihrem praktischen Lastenrad und einer schwarzen Kühlbox vorfährt. Schnell legt sie das eingewickelte Päckchen hinein, „die Kühlkette darf nie unterbrochen werden“, betont sie. Ja, es muss immer fix gehen, wenn sie als Foodsaverin unterwegs ist. Weil die Lebensmittel zwar noch genießbar sind, das aber auch bleiben sollen und trotzdem nicht mehr lange sein werden. Deshalb muss nicht nur das Retten, sondern auch das Verteilen, oder wie es bei ihnen heißt, das Fairteilen innerhalb kürzester Zeit geschehen. „Ich habe ein privates Netzwerk, das ich benachrichtige, wenn ich etwas gerettet habe“, erklärt die 33-Jährige. Über ein solches Netzwerk ist sie übrigens auch selbst zum Foodsharing gekommen.

11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll

Aber was genau steckt dahinter? Ruth Gruner ist Botschafterin von Foodsharing in Dinslaken und kann mehr dazu erzählen. Bei ihr begann alles mit einem Beitrag auf Instagram, der ihr Interesse weckte. Sie recherchierte weiter, sah sich den Dokumentarfilm „Taste the Waste“ an, „der übrigens mit der Grund war, weshalb sich Foodsharing 2012 in Berlin gegründet hat“, und meldete sich auf der Plattform an. „Wenn meine Kinder mich irgendwann fragen: ‚Warum habt ihr damals nichts getan, als euch die Wissenschaftler sagten, dass unsere Erde kaputt geht, wenn ihr nichts ändert?‘, dann werde ich ihnen nicht sagen können, dass ich es verhindert konnte, aber dass ich mein Bestes gegeben habe.“

Stefanie Jähnel (li.) und Ruth Gruner engagieren sich ehrenamtlich in der Dinslakener Foodsharing-Gruppe.
Stefanie Jähnel (li.) und Ruth Gruner engagieren sich ehrenamtlich in der Dinslakener Foodsharing-Gruppe. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Tatsächlich, die Zahlen sind erschreckend. Das Statistische Bundesamt spricht von rund 11 Millionen Tonnen Lebensmitteln, die jährlich in der Mülltonne landen. Woran das liegt? Nunja, an den gesetzlichen Vorgaben beispielsweise, wie Ruth Gruner erklärt: „Für große Ketten ist es lukrativer, Produkte wegzuschmeißen als sie zu rabattieren.“ Dadurch passiert es regelmäßig, dass Foodsaver in einer Filiale bis zu 15 Kisten abholen. Die Lebensmittel darin befinden sich kurz vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums oder sehen einfach nicht mehr so perfekt aus wie gewohnt. Und genau das ist ein weiterer Punkt, den sie ansprechen möchte: „Jeder kann als Konsument etwas verändern.“

103 ehrenamtliche Foodsaver in Dinslaken

Die Tipps der Expertin: Im Kühlregal nicht nach ganz hinten greifen, sondern ruhig auch mal den vorne stehenden Joghurt mitnehmen, der morgen „ablaufen“ wird. „Besonders, wenn ich ihn sowieso am Abend noch esse“, sagt sie. Oder das Tetrapak auswählen, dessen Lasche absteht. „Damit ist ja sonst nix.“ Und zuhause geht‘s gleich weiter: „Äpfel nicht neben Tomaten legen, sonst verderben die Tomaten schneller.“ Und bevor Gemüse schlecht wird, lässt es sich meist sowieso noch haltbar machen. Ja, durch ihr Ehrenamt sind die beiden Frauen ganz schön kreativ geworden! Also gut, was lässt sich denn mit einer Kiste voller Backwaren oder Bananen anstellen? „Brotsuppe“, antwortet Ruth Gruner. „Bananenchips“, sagt Stefanie Jähnel.

Beim Foodsharing muss es schnell gehen – und die Kühlkette darf nicht unterbrochen werden.
Beim Foodsharing muss es schnell gehen – und die Kühlkette darf nicht unterbrochen werden. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Aber, das ist Ruth Gruner wichtig zu betonen, „der geringste Teil ist für einen selbst“. Vielmehr geht‘s um das bereits erwähnte Fairteilen, deshalb kooperiert die Dinslakener Gruppe unter anderem mit dem gemeinnützigen Verein Wunderfinder. Und, auch das ist für sie entscheidend: „Die Tafel hat immer Vorrang.“ Allerdings arbeitet die Hilfsorganisation logistisch anders, kann weder Mittagstische noch fünf Tortenstücke abholen. Die Foodsaver aber eben schon, immerhin sind es allein in Dinslaken 103 aktive Ehrenamtliche, die in abgesprochenen Zeitfenstern zu den 23 teilnehmenden Betrieben fahren. Wobei es auch hierbei immer um Nachhaltigkeit geht, deshalb haben die Retterinnen und Retter möglichst kurze Anfahrtswege oder aber... sie fahren gleich mit dem Lastenrad.

Selbst zum Foodsaver werden

Jeder und jede kann Foodsaver werden! Interessierte müssen lediglich ein Quiz bestehen, bei dem es um Fragen zur Hygiene, Haftung oder auch um den Umgang in Betrieben geht. Ist das geschafft, arbeiten erfahrene Foodsaver sie ein. Nach mehreren Einsätzen sind sie dann qualifiziert und dürfen alleine los, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Weitere Infos, auch zu Gruppen in anderen Städten: www.foodsharing.de

Seit Neustem gibt‘s in Dinslaken einen öffentlichen Fairteiler im Museum Voswinckelshof, in den jeder und jede Lebensmittel hineinpacken und herausnehmen kann. In der Facebookgruppe „Foodsharing Dinslaken (die offizielle Gruppe)“ posten zudem Foodsaver und auch Privatpersonen, wenn sie gerettete Lebensmittel teilen möchten.

Stefanie Jähnel zumindest schwingt sich gleich wieder auf den Sattel. Eine Rettungsaktion am Nachmittag ist noch geplant, dann allerdings in einem Supermarkt. Dort gibt‘s erfahrungsgemäß wieder viele, viele, viele Kisten voller Lebensmittel... Vorher muss sie nur noch schnell die Torten verteilen, pardon, fair teilen. Aber das sollte bei Himbeer und Baba nun wirklich kein Problem sein.