Aus der Grenzregion. Von Tempo 100 bis Bauernproteste: Warum gesellschaftlicher Zündstoff in den Niederlanden mit den Auflagen zur Stickstoffreduzierung zu tun hat.
Ein Thema hält die Niederlande seit Längerem in Atem: Stickstoff. Da sind Bauern, die gewaltsam Autobahnen blockieren und Zwangsverkäufe fürchten.
Oder das Tempo 100, das Reisende aus Deutschland und den Niederlanden nervt. Was das alles mit Stickstoffreduktion zu tun hat und warum das Thema nun NRW einholt, erklären wir in einer Übersicht:
Die Niederlande haben eine Stickstoff-Ministerin – warum?
Das Nachbarland von NRW muss schnell handeln, um seine von der EU vorgegebenen Stickstoffziele bis 2030 zu erreichen. Bevor die Richtwerte nicht erreicht werden, müssen unter anderem Bauvorhaben ruhen.
Deshalb gibt es seit Vereidigung der Regierung von Premier Mark Rutte im Januar ein neues Amt für Stickstoffangelegenheiten, das beim Ministerium für Landbau, Natur und Lebensmittelqualität angesiedelt ist. Christianne van der Wal von der konservativ-liberalen Regierungspartei VVD wurde zur Ministerin für Stickstoff und Natur ernannt.
Warum hat das Nachbarland so ein großes Stickstoffproblem?
Die Niederlande müssen nach höchstrichterlichem Urteil ihren Stickstoffausstoß drastisch reduzieren. Denn ein übermäßiger Niederschlag von Stickstoffverbindungen wie Stickstoffoxide und Ammoniak schädigt die Natur.
Stickstoffoxide gelangen durch Autoabgase oder Industrieemissionen in die Luft, Ammoniak wiederum über verdampfenden Mist oder Dünger aus der Landwirtschaft. Weil das Nachbarland über eine zu hohe Konzentration auf zu kleiner Fläche verfügt, müssen dringende Maßnahmen ergriffen werden.
Was wird konkret unternommen?
Das niederländische Tempo 100 ist eine frühe Maßnahme der Regierung Rutte, um die Stickstoffwerte zu reduzieren. Ein Gericht stellte aber fest, dass das nicht reicht. Neue Maßnahmen sollen nun vor allem die Landwirtschaft, aber auch die Industrie in die Verantwortung nehmen.
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So sind die niederländischen Provinzen dabei, Landwirtschaftsbetriebe mit hohen Emissionen nahe empfindlichen Naturgebieten aufzukaufen. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Maßnahme. Ob es noch zu Zwangsverkäufen kommt, ist derzeit unklar. Bauernverbände hatten davor gewarnt und neue Proteste angekündigt.
Und wie ist die Stickstoff-Lage bei uns in Nordrhein-Westfalen?
Deutschland und die Niederlande müssen bis 2030 ihre Emissionen in einem prozentualen Maße reduzieren, das nah beieinander liegt – bei den Stickoxiden sind es 65 Prozent in Deutschland und 61 Prozent in den Niederlanden, die das Ziel auf einer vergleichsweise deutlich kleineren Fläche erreichen müssen.
Offen bleibt aktuell, ob es in Deutschland in naher Zukunft so strenge Auflagen für die Landwirtschaft wie in den Niederlanden geben wird. „Sobald der Bundesregierung aktuelle Berechnungen zur Emissionssituation und eine Entwicklungsprognose vorliegen, werden wir sehen, ob und welche weiteren Minderungsmaßnahmen erforderlich sind“, teilte das zuständige Ministerium in Berlin noch im September auf NRZ-Anfrage mit.
Gibt es Stickstoffniederschlag aus NRW im Nachbarland?
Ein Teil des Stickstoffniederschlags in den Niederlanden stammt aus dem Ausland. 32 Prozent waren es 2018 laut dem zuständigen Institut RIVM. Ein Großteil davon stamme aus Deutschland, so ein RIVM-Sprecher. Die Region Limburg betont, dass Gebiete an der Grenze zu NRW von Niederschlag aus Deutschland betroffen seien – etwa der Nationalpark „De Meinweg“.
2020 seien es bis zu 63 Prozent aus dem Ausland gewesen. Aus einem Bericht des NRW-Umweltministeriums geht aber hervor, dass sich nicht messen lässt, ob und in welchen Mengen sich Stickstoff aus der nordrhein-westfälischen Landwirtschaft auf der anderen Grenzseite niederschlägt. Auch das Nachbarland hat keine entsprechenden Daten nach Bundesländern aufgeschlüsselt. Auch aus Niedersachsen dürfte Stickstoffniederschlag kommen.
Was unternimmt Nordrhein-Westfalen dagegen?
Der Provinz Limburg war eigenen Angaben zufolge kein zufriedenstellender Austausch mit NRW zum Thema gelungen. Deshalb wurde Stickstoffministerin van der Wal gebeten, mit NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) zu sprechen.
Nach ihrem Antrittsbesuch am Montag gab sie sich zufrieden, vonseiten des NRW-Umweltministeriums kam kein Statement. Es habe viel gegenseitiges Verständnis gegeben und damit eine Basis für künftige Zusammenarbeit, so unterdessen ein Sprecher von Ministerin van der Wal. Des Weiteren sei ein Rückbesuch von Umweltminister Krischer in den Niederlanden angedacht.