Aus den Niederlanden. Jenseits der Grenze protestieren Bauern mit teilweise rabiaten Methoden. Deutsche Landwirte solidarisieren sich. Droht Eskalation?

Auf der Nijmeegsebaan in der Grenzgemeinde Groesbeek wandern die „Vierdaagse“-Marschierer in einem zügigen Tempo über den Asphalt, manche keuchen, hier geht es leicht bergauf. Plötzlich winkt Jeanette Lübbers und jubelt. Einer der Männer trägt ein rotes Tuch um den Arm, und das freut die 67-Jährige, weil er damit zeigt, dass er ein Sympathisant der Bauern-Proteste in den Niederlanden ist.

An diesem bewölkten Tag, dem zweiten der Vierdaagse, haben sich Lübbers und andere niederländische Landwirte an die Wegstrecke gestellt, sie verteilen Käse und Eier und Milch und wollen so für ihr Anliegen werben. Es ist eine friedliche und fröhliche Aktion, ganz anders als manche der Proteste, die seit Wochen die Niederlande bewegen. Die Bauern jenseits der Grenze glauben ihre Existenz durch neue Umweltauflagen gefährdet, und mittlerweile solidarisieren sich deutsche Berufskollegen mit ihnen.

Jeanette Lübbers bewirtschaftet mit ihrer Familie einen Hof bei Arnheim. 180 Kühe, eine kleine Molkerei, ein Bauernladen. Seit 1945 ist der Betrieb in Familienbesitz. Der Hof und die dazu gehörenden Flächen liegen eingeklemmt zwischen der A12 und einer Bahnstrecke bei Arnheim, ganz in der Nähe liegt eine große Müllverbrennungsanlage. Lübbers hat sich ganz in schwarz gekleidet, auf ihrer Hose hat sie Aufnäher, auf denen steht: „No Farmer, no Food, no Future“, übersetzt: „Keine Bauern, kein Essen, keine Zukunft.“ An ihrem Arm trägt sie auch eines dieser roten Tücher, die zu einem Symbol des Protestes geworden sind. Es ist ein „Burenzakdoek“, ein Taschentuch, wie es die Bauern früher benutzt haben.

Jeanette Lübbers (li), ihre Enkelin Fenna und Irene Peters.
Jeanette Lübbers (li), ihre Enkelin Fenna und Irene Peters. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Ein rotes Tuch sind für die niederländischen Bauern die Pläne ihrer Regierung. Werden sie realisiert, dann muss Lübbers 95 Prozent des Stickstoffs einsparen, den der Hof jetzt produziert. „Statt 180 Kühen könnte ich dann nur noch 15 halten. Das wäre unser Ende.“

Die Sorgen von Lübbers haben derzeit viele niederländische Landwirte. Die Niederlande sind einer der weltweit größten Exporteure von Agrarprodukten, die Landwirtschaft wird so intensiv betrieben, wie in keinem anderen EU-Land. Ein Beispiel: Pro Quadratkilometer zählten die Statistiker in den Niederlanden im vergangenen Jahr rund 99 Kühe, in Deutschland hingegen nur rund 31. Das bedeutet auch: In den vergangenen Jahren haben die Niederlande europäische Grenzwerte zum Stickstoffausstoß deutlich gerissen. Jetzt will die Regierung in Den Haag rigoros dagegen vorgehen.

Im Frühjahr legte sie einen Plan vor, wonach der Stickstoff-Ausstoß landesweit um die Hälfte reduziert werden soll, in den sogenannten Natura-2000-Gebieten sogar um mehr als 70 Prozent. Erreicht werden soll das mit einer drastischen Verringerung des Viehbestands. Ein Drittel der 53.000 landwirtschaftlichen Betriebe in den Niederlanden könnte vor dem Aus stehen.

Die Wut der Bauern auf die Regierung ist deswegen gewaltig. Sie klagen, dass Den Haag ihnen keine Zeit für die Umstellung lässt und dass andere Branchen wie die Bauindustrie oder die Verkehrsfliegerei nicht ähnlich wie sie belastet werden. In den vergangenen Wochen hat sich diese Wut in teils radikalen Protesten entladen. Bauern haben mit Traktoren Autobahnen blockiert, eine Polizeiabsperrung vor dem Haus der niederländischen Umweltministerin durchbrochen und Großlager von Supermärkten blockiert. Anfang Juli feuerte ein Polizist in der Provinz Friesland Warnschüsse auf einen Traktor ab, den ein 16-Jähriger steuerte. Eine Kugel blieb im Metall der Fahrerkabine stecken.

Beifall aus der deutschen Querdenker-Szene

An diesem Donnerstag werben sie friedlich für ihre Anliegen. Zornig sind sie dennoch. Die Regierung hat angeboten, den Bauern, die aufgeben, ihre Höfe abzukaufen. „Die sollen dann unterschreiben, dass sie nie wieder Landwirtschaft betreiben“, sagt Irene Peters, die mit Lübbers Lebensmittel für die Wanderer verteilt. In der Nähe ihres Pavillons hängt eine niederländische Fahne. Sie haben sie umgekehrt aufgehängt, ein weiteres Symbol des Protestes. In vielen niederländischen Städten ist diese umgekehrt aufgehängte Fahne derzeit zu sehen.

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Blau-Weiß-Rot anstatt Rot-Weiß-Blau. „Das Rot steht für die Bevölkerung, das Blau für den Adel“, erklärt Peters. Der Adel – das ist für sie eine globale Elite, die die Bauern enteignen will, und wie die 50-Jährige suchen viele niederländische Bauern für das, was gerade geschieht, Erklärungsmuster, die in die Sphäre der Verschwörungstheorien reichen. „Die Bauernhöfe sollen für Wohnbebauung weichen. Belgien, die Niederlande und das Ruhrgebiet sollen zu einer Groß-Hauptstadt Europas werden“, glaubt Peters.

Die Proteste der niederländischen Bauern finden deswegen nicht zufällig Beifall in diversen deutschsprachigen Telegram-Kanälen aus der sogenannten Querdenker-Szene. „Dabei werden die dort teilweise eskalierenden Demonstrationen als „Bürgeraufstand gegen die Regierung“ verklärt und die Hoffnung gehegt, dies auf „deutsche Straßen“ übertragen zu können“, teilte eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums auf Anfrage der NRZ mit.

Verständnis für die Wut ihrer niederländischen Kollegen, aber nicht für manche Methoden: die beiden deutschen Landwirte Ute Heiting und Christian Scheers.
Verständnis für die Wut ihrer niederländischen Kollegen, aber nicht für manche Methoden: die beiden deutschen Landwirte Ute Heiting und Christian Scheers. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

In den vergangenen Tagen haben sich auch deutsche Bauern mit den Protesten ihrer Berufskollegen jenseits der Grenze solidarisiert. Es kam immer wieder zu spontanen Flashmobs, bei denen Landwirte ihre Traktoren auf Autobahnbrücken parkten. Einen konkreten Anlass, der sie betrifft, haben die deutsche Bauern auch. Anfang Juli beschloss der Bundesrat, sogenannte „Rote Gebiete“ auszuweiten, in denen weniger gedüngt werden darf. Ohne, dass es dafür eine wissenschaftliche Grundlage gäbe, kritisieren die Landwirte.

Ute Heiting ist Landwirtin auf einem Hof bei Emmerich, nahe der niederländischen Grenze. 120 Milchkühe, 120 Hektar Land, auf dem die Familie vor allem Futter für die Tiere anbaut. Sollten ihre Flächen zu „Roten Gebieten“ werden, „wäre die Futterversorgung gefährdet“, sagt sie. Ihr Kollege Christan Scheers hat an seinem Auto ein rotes Tuch befestigt. Die beiden haben Verständnis für die Wut ihrer niederländischen Kollegen. Für manche Methoden nicht, die sind ihnen zu radikal. „Ich glaube nicht, dass es hier zu einer ähnlichen Bewegung wie in den Niederlanden kommt“, sagt Scheers.

Die Sicherheitsbehörden in NRW sehen es ähnlich. Dem Landesverfassungsschutz lägen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Bauernproteste von Extremisten oder Querdenkern beeinflusst werden. „Es gibt bislang auch keine Anzeichen für eine Radikalisierung der Proteste“, sagt die Sprecherin des Innenministeriums. Viele deutsche Bauern seien nach der ständigen Verschärfung von Umweltauflagen einfach müde, glaubt Ute Heiting. „Die können nicht mehr und wollen es nur noch zu Ende bringen.“