Dinslaken. NRW-Check: Die Mehrheit der Bürger glaubt nicht an den Strukturwandel. Anders ist es in Dinslaken. Wie die Bürger hier Lohberg zu mitentwickeln.

Kalt, sonnig – und ein bisschen windig. Es ist an diesem Herbstmorgen bestes Wetter für die Windkraft. Ruhig und gleichmäßig drehen sich die Windräder auf der Halde Lohberg. 2016 wurden die ersten ausgestellt. Zwei Jahre, nachdem auf Lohberg der kleine Förderturm, der die Bergleute fast 90 Jahre zur Schicht einfuhr, abgerissen wurde. Der Windpark Hünxe ist zum sichtbaren Symbol für den Strukturwandel in Dinslaken geworden.

Ein Strukturwandel, „der aber noch lange nicht abgeschlossen ist“, sagt Janet Rauch. Die Geschäftsführerin des Ledigenheim Lohberg, einem Zentrum für Kultur, Dienstleistung und Gewerbe, kennt den Stadtteil mit all seinen Besonderheiten, seinen sozialen Problemen und seiner Migrationsgeschichte. „Wir haben eine Vergangenheit als Bergbau-Standort, aber wir haben auch eine Zukunft“, sagt sie zuversichtlich. Auch wenn noch viel zu tun ist. In Dinslaken – und auch anderswo in NRW.

Nur noch fünf Hallen und ein Förderturm erinnern an die Bergbaugeschichte

Laut NRW-Check, den die nordrhein-westfälischen Tageszeitungen beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben haben, glauben nur 36 Prozent der Befragten, dass es gelingen wird, in den nächsten Jahren genügend neue Unternehmen landesweit anzusiedeln, um die bisherigen Schlüsselindustrien im Land ersetzen zu können. 45 Prozent glauben das nicht.

Das ist der NRW-Check

  • Für den NRW Check befragte Forsa im Auftrag von 38 Tageszeitungen, darunter auch die NRZ, in der Zeit vom 26. November bis zum 7. Dezember insgesamt 2009 wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen.
  • Bis zur Landtagswahl am 15. Mai 2022 werden drei weitere Befragungswellen folgen, bei denen Entwicklungen aufgezeigt und neue Themen abgefragt werden.

Lohberg ist ein Beispiel dafür, dass der Strukturwandel vor allem eines auch braucht: Zeit. Nur noch fünf Hallen und der große Förderturm, der für eine Sanierung eingerüstet ist, zeugen von der gut 100-jährigen Bergbaugeschichte Dinslakens, die 2005 mit der Schließung der Zeche endete. 1400 Bergarbeiter waren da noch auf Lohberg beschäftigt, zu Hochzeiten in den 1950er Jahren waren es über 5000. Viele wohnten direkt gegenüber in der Gartenstadt Lohberg, die heute von manchen „Alt-Lohberg“ genannt wird. Neu-Lohberg wächst derweil auf dem alten Zechengelände – von der Gartenstadt durch die Hünxer Straße getrennt.

Lea Eickhoff und Janet Rauch, Geschäftsführerinnen der  gemeinnützigen Immobilienverwaltung „Zechenwerkstatt Denkmal“, begleiten den Strukturwandel auf dem ehemaligen Zechengelände in Dinslaken-Lohberg seit Jahren.
Lea Eickhoff und Janet Rauch, Geschäftsführerinnen der gemeinnützigen Immobilienverwaltung „Zechenwerkstatt Denkmal“, begleiten den Strukturwandel auf dem ehemaligen Zechengelände in Dinslaken-Lohberg seit Jahren. © FUNKE Foto Services | Foto: Lars Heidrich

„Der Strukturwandel begann schon vor der Zechenschließung“, sagt Janet Rauch. Viele Bergleute habe sich schon Jahre zuvor einen anderen Job gesucht. Vor 20 Jahren gründete sich das Forum Lohberg, ein Bürgerverein aus dem Stadtteil heraus. Er setzt sich bis heute ein für ein Zusammenwachsen der Gartenstadt und des neuen Kreativ.Quartier Lohberg.

Die Stadt Dinslaken und RAG Montan Immobilien haben kurz nach der Zechenschließung begonnen, das rund 40 Hektar große Areal zu einem CO2-neutralen Standort für Wohnen, Arbeiten und Freizeit zu entwickeln – mit den Energieträgern Sonne, Grubengas, Wind und Biomasse. Nach Angaben der RAG investierten die RAG Montan Immobilien und die Stadt Dinslaken von 2008 bis 2018 über 25 Millionen Euro, einschließlich der öffentlichen Fördermittel, die rund 8 Millionen Euro ausmachten. Zusätzlich kamen dazu noch mehrere Millionen Euro aus Rücklagen der RAG für die Rückbau- und Sanierungsmaßnahmen des Areals.

Sichtbare Gastarbeitertradition

2015 nahm das Quartier Formen an. Der Bergpark mit einem kleinem See wurde fertig, ein Jahr später zog die erste Familie in ihr Haus im neuen Wohnquartier ein. Der Windpark entstand, erste Gewerbefirmen haben sich angesiedelt. Jüngst wurde eine Elektro-Tankstelle errichtet und die Caritas baut in der alten Kaue eine Pflegeschule. Das Ziel, insgesamt 500 Arbeitsplätze in Neu-Lohberg anzusiedeln und 200 Wohneinheiten zu errichten, ist noch nicht erreicht. Einiges ist aber in Planung.

Vieles erinnert dennoch an die Zechengeschichte, die auch eng mit der Gastarbeitertradition verbunden ist. Wie eng zeigen die Straßenschilder auf dem Gelände: „Platz der Vielfalt - Ceşitlilik Meydani“ ist in deutsch-türkisch zu lesen.

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Das Neue mit dem Alten zu verbinden, das hat sich auch Andreas Magedanz vorgenommen. Der Gastronom hat vor zwei Jahren das Restaurant Zeloh eröffnet. Dann kam Corona. „Das Geschäft lief immer richtig gut, konnte sich aber nie so richtig entfalten, da es pandemiebedingt immer wieder zurückgeworfen wurde“, sagt Magedanz. Dennoch glauben er und seine Frau Ute an den Standort. Nachdem sie jahrelang zwei Restaurants in Xanten und Voerde führten, freuten sie sich auf einen Neustart in Dinslaken. Die direkte Autobahnanbindung, die Lage Dinslakens als Schnittstelle zwischen dem Ruhrgebiet und Niederrhein und das überregionale Radwegenetz vor der Türe haben überzeugt.

Moderne trifft auf Zechenkultur

Das Zeloh soll eine Lokalität für größere Feierlichkeiten sein, aber auch für die Lohberger. Andreas Magedanz hatte noch auf Lohberg eine Ausbildung gemacht, sein Vater war 45 Jahre auf der Zeche beschäftigt. „Doch, dass ich hier keine Zukunft haben würde, war in 90er Jahren schon klar“, erzählt der gebürtige Dinslakener. In seinem neu gebauten Restaurant, „die alten Zechenhallen waren zu groß oder auch nicht bezahlbar“, hat er die Moderne und alte Bergmannskultur miteinander verknüpft. Kettenzüge, Thekenkacheln oder auch eine Figur der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, sind mit ins Zeloh gezogen. „Die Barbara hat mir ein alter Bergmann gebracht, der ins Pflegeheim gezogen ist, und dort keinen Platz mehr für die Figur hatte“, erzählt Andreas Magedanz.

Andreas Magedanz hat vor zwei Jahren auf dem ehemaligen Zechengelände in Dinslaken sein Restaurant Zeloh eröffnet und glaubt an den Standort.
Andreas Magedanz hat vor zwei Jahren auf dem ehemaligen Zechengelände in Dinslaken sein Restaurant Zeloh eröffnet und glaubt an den Standort. © FUNKE Foto Services | Foto: Lars Heidrich

Vieles passiert bei der Entwicklung des Geländes im Ehrenamt. So wie in der alten Zechenwerkstatt, die 1904 errichtet wurde. Der Backsteinbau stand lange leer. 2010 wurde sie erstmals für die Extraschicht als Eventhalle genutzt. 2016 hat die von Dinslakener Bürgern gegründete Kultur-Aktiengesellschaft Freilicht AG die Zechenwerkstatt angemietet und die Bespielung übernommen. Ob Geschäftsfeiern, die 100-Jahrfeier des Bergmannschor, Trödelmärkte oder Kunst-Events: „Ziel ist es, das Gebäude als Denkmal zu erhalten und für Veranstaltungen zugänglich zu machen – von Bürgern für Bürger“, erklärt Lea Eickhoff, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Immobilienverwaltung „Zechenwerkstatt Denkmal“. Zeitnah rechnet die mit Fördergeldern des Landes für die dringend notwendige Sanierung der Fassade und des Daches. Aber ohne die Mithilfe der Bürger und viel Kreativität geht es nicht. Schmunzelnd erzählt Lea Eickhoff die Geschichte, wie der Toilettenwagen, ein alter Bauwagen, in die Zechenwerkstatt kam. Auf ebay hatte sie den entdeckt und von Dortmund aus hinten an einem Transporter angehängt nach Dinslaken gezogen – mit Tempo 6 km/h.

Einen Strukturwandel, „schafft man nicht alleine. Er muss gelebt werden“, sagt Janet Rauch.

Auf Lohberg wird er das.