Düsseldorf. Nabu, BUND und LNU sehen „Riesenchance“ für Kurswechsel in der NRW-Politik. Jetzt ist der Landtag am Zug.

Trotz der Hemmnisse in der Corona-Pandemie haben Umweltschutzverbände mit ihrer Volksinitiative mehr als 115.000 Unterschriften für besseren Schutz der Artenvielfalt in Nordrhein-Westfalen gesammelt. Eine naturnahe Landwirtschaft, Artenschutz in der Stadt, wilde Wälder, Biotopverbünde, der Kampf gegen den Flächenfraß: Mit den Forderungen der Umweltschützer wird sich nun der Landtag beschäftigen müssen.

Viele Tier- und Pflanzenarten in Nordrhein-Westfalen bedroht

Hirschkäfer gibt es zum Beispiel im Diersfordter Wald bei Wesel. Die stark gefährdeten Käfer lieben alte Eichenwälder, brauchen viel Totholz. Mehr Wälder sollten sich selbst überlassen werden, fordern die Naturschutzverbände.
Hirschkäfer gibt es zum Beispiel im Diersfordter Wald bei Wesel. Die stark gefährdeten Käfer lieben alte Eichenwälder, brauchen viel Totholz. Mehr Wälder sollten sich selbst überlassen werden, fordern die Naturschutzverbände. © Imago | Eric Baccega
Dramatisch sind die Rückgänge bei Feldvögeln: Beim Kiebitz ist der Bestand binnen 25 Jahren um 90% zurückgegangen auf jetzt weniger als 6000 Brutpaare in NRW, berichtet Birgit Königs vom Nabu. In der NRW-Volksinitiative wird ein Ausbau der naturverträglichen Landwirtschaft gefordert.
Dramatisch sind die Rückgänge bei Feldvögeln: Beim Kiebitz ist der Bestand binnen 25 Jahren um 90% zurückgegangen auf jetzt weniger als 6000 Brutpaare in NRW, berichtet Birgit Königs vom Nabu. In der NRW-Volksinitiative wird ein Ausbau der naturverträglichen Landwirtschaft gefordert. © Nabu | Nabu
Schmetterling des Jahres 2020: Der Grüne Zipfelfalter ist eigentlich anspruchslos, aber auch in NRW stark gefährdet. Er liebt lichte Wälder sowie die Waldmäntel an Wäldern und Heiden. Pestizid- und Düngeeinträge müssten verringert werden:
Schmetterling des Jahres 2020: Der Grüne Zipfelfalter ist eigentlich anspruchslos, aber auch in NRW stark gefährdet. Er liebt lichte Wälder sowie die Waldmäntel an Wäldern und Heiden. Pestizid- und Düngeeinträge müssten verringert werden: "Und wir brauchen ein Aufforstungsverbot für Naturschutzgebiete", sagt Holger Sticht vom BUND. © BUND | W. Schön
Die Speer-Azurjungfer ist
Die Speer-Azurjungfer ist "Libelle des Jahres 2020". Sie kommt in Moorgebieten vor, ist aber in NRW fast ausgestorben. "Wir haben zu wenige Moore unter Schutz gestellt", sagt Holger Sticht vom BUND. Zum Teil seien die Schutzgebiete auch in einem schlechten Zustand. © BUND | Michael Post / GdO
Ein Gartenschläfer: Für diese Art weist die Rote Liste eine Gefährdung unbekannten Unmaßes aus.
Ein Gartenschläfer: Für diese Art weist die Rote Liste eine Gefährdung unbekannten Unmaßes aus. "Gartenschläfer ernähren sich unter anderem von Insekten, das Insektensterben dürfte hier eine Rolle spielen", sagt Holger Sticht. Grünflächen in Stadt und Vorstadt müssten stärker nach Bioversitätskriterien gepflegt werden © BUND NRW | Pröhl, fokus-natur.de
Die gefährdeten Kreuzkröten bewohnen Binnendünen und Flussauen, ersatzweise Kiesgruben und Industriebrachen. Biotopverbünde und eine Begreenzung des Flächenverbrauchs würden ihnen helfen, sagen die Naturschützer.
Die gefährdeten Kreuzkröten bewohnen Binnendünen und Flussauen, ersatzweise Kiesgruben und Industriebrachen. Biotopverbünde und eine Begreenzung des Flächenverbrauchs würden ihnen helfen, sagen die Naturschützer. © Funke Foto Services | Volker Herold
83% der Orchideen-Arten in NRW sind gefährdet - auch das Breitblätterige Knabenkraut (Foto), das auf Feuchtwiesen beheimatet ist. Viele Standorte seien überdüngt oder entwässert worden, klagt Holger Sticht vom BUND. Eine Wiedervernässung würde helfen, ebenso die Förderung von extensiver Mahd und Beweidung.
83% der Orchideen-Arten in NRW sind gefährdet - auch das Breitblätterige Knabenkraut (Foto), das auf Feuchtwiesen beheimatet ist. Viele Standorte seien überdüngt oder entwässert worden, klagt Holger Sticht vom BUND. Eine Wiedervernässung würde helfen, ebenso die Förderung von extensiver Mahd und Beweidung.
Ein Mauersegler: Die Zahl der Brutpaare geht zurück, weil Nistmöglichkeiten an Gebäuden achtlos wegsaniert werden.
Ein Mauersegler: Die Zahl der Brutpaare geht zurück, weil Nistmöglichkeiten an Gebäuden achtlos wegsaniert werden. "In Städten muss mehr Rücksicht darauf genommen werden, dass dort eben nicht nur Menschen leben", meint Birgit Königs vom Nabu. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener
Eine Wildbiene fliegt eine Blume an: 50% der Wildbienenarten und Wespen in NRW sind gefährdet. Der Verlust von Lebensräumen setzt ihnen zu, sie reagieren auch sehr empfindlich auf Pestizide. Die von den Naturschützern geforderte Begrenzung des Flächenverbrauches sowie eine Dünge- und Pestizid-Reduktion dürfte auch ihnen helfen.
Eine Wildbiene fliegt eine Blume an: 50% der Wildbienenarten und Wespen in NRW sind gefährdet. Der Verlust von Lebensräumen setzt ihnen zu, sie reagieren auch sehr empfindlich auf Pestizide. Die von den Naturschützern geforderte Begrenzung des Flächenverbrauches sowie eine Dünge- und Pestizid-Reduktion dürfte auch ihnen helfen. © dpa | Maurizio Gambarini
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14 Umzugskisten voller Unterschriftenlisten überreichten die Initiatoren Nabu, BUND und LNU an diesem Donnerstag (1. Juli 2021) in Düsseldorf an Landtagspräsident André Kuper (CDU). Die Verbände sehen „eine Riesenchance, den Natur- und Artenschutz in NRW umfassend in allen relevanten Handlungsfeldern der Landespolitik umzusetzen“.

Notwendige Marke schon im Februar erreicht

Die für eine Landtagsbefassung notwendige Marke von knapp 66.000 Unterschriften hatte die Volksinitiave bereits im Februar erreicht. Fast 100 Institutionen, Parteien, Verbände und Vereine unterstützen die Forderungen - darunter SPD und Grüne, die großen Zoos in Köln und Münster, die ökologischen Anbauverbände, ADFC und VCD, das Museum Koenig in Bonn, die Naturfreunde, die Imker und viele örtliche Initiativen.

Über weite Zeit geschlossene Bildungszentren, ausgefallene Veranstaltungen und Feste, Gespräche mit Abstand, Infostände - wenn überhaupt - in wegen des Corona-Lockdowns leeren Innenstädten: Die Unterschriften waren schwierigen Bedingungen gesammelt worden. Mit dem Ergebnis zeigten sich die Initiatoren sehr zufrieden und dankten ausdrücklich den Ehrenamtlern für den Einsatz.

Umweltverbände: „Ein Stück Geschichte geschrieben“

Es ist die erste erfolgreiche Naturschutz-Volksinitiative in NRW: „Wir alle haben ein Stück Geschichte geschrieben“, rief Mark vom Hofe, der Vorsitzende der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU). Nun ist der Landtag am Zug - binnen drei Monaten muss er über die Rechtmäßigkeit der Volksinitiative entscheiden und sich danach inhaltlich mit ihr auseinandersetzen.

Die Umweltverbände haben ein Acht-Punkte-Handlungsprogramm formuliert. „Ein bisschen Nachsteuern beim ‘Nischenthema Umwelt’ wird nicht reichen, ein Kurswechsel muss her“, mahnte BUND-Landeschef Holger Sticht. Und Heide Naderer, Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu), erklärte: „Der Erhalt der Artenvielfalt ist wie der Klimaschutz eine Zukunftsfrage ersten Ranges.“

FDP-Fraktionschef Rasche: Wir haben dazugelernt

Vertreter der Regierungsparteien CDU und FDP wie auch von SPD und Grünen zeigten sich von der sechsstelligen Unterschriftenzahl beeindruckt. Für die Christdemokraten versicherte Fraktionschef Bodo Löttgen so viele der Forderungen wie möglich umsetzen zu wollen - aber eben „nicht konfrontativ, sondern im Dialog“. Christof Rasche erklärte für die FDP, dass seine Partei in den letzten Jahren dazugelernt habe, beim Thema Naturschutz könne man mehr tun.

Landesentwicklungsplan,Wassergesetz, Kiesabbau & Co.: Für die oppositionellen Sozialdemokraten beklagte Fraktionschef Thomas Kutschaty, dass beim Naturschutz unter Schwarz-Gelb vieles in die falsche Richtung gelaufen sei. Die Volksinitiative gebe nun Schwung für eine Korrektur. Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer nannte den Schutz der Artenvielfalt „auch eine Frage der Generationengerechtigkeit“.

Fast ein Jahr waren unter Corona-Bedingungen in ganz NRW Unterschriften gesammelt worden (Foto aus Moers).
Fast ein Jahr waren unter Corona-Bedingungen in ganz NRW Unterschriften gesammelt worden (Foto aus Moers). © FUNKE Foto Services | Markus Joosten