An Rhein und Ruhr. Der Naturschutzbund (Nabu) in NRW in wächst und wächst. Die neue Landesvorsitzende Heide Naderer wirbt im Interview um noch mehr Mitstreiter.

Im Januar 2019 hat der Naturschutzbund (Nabu) sein 90.000 Mitglied in Nordrhein-Westfalen begrüßt, allein im vergangenen Jahr kamen 6600 hinzu. Im Interview mit der Redaktion wirbt die neue Landesvorsitzende, Heide Naderer, um noch mehr Mitstreiter für pragmatischen Naturschutz und kritisiert die schwarz-gelbe Landesregierung scharf. Deren Politik führe „immer weiter in die ökologische Sackgasse“.

Frau Naderer, der Nabu in NRW kratzt an der 100.000-Mitglieder-Marke. Was treibt die Menschen zu Ihnen?

Zu uns kommen Menschen, die Natur lieben, die sich aber eben auch Sorgen um die Umwelt machen - und um die Zukunft der Kinder. Früher waren die Sommer wettermäßig nicht so extrem. Man hat draußen gesessen auf blühenden Wiesen voller Insekten und Bienen. Heute summt und brummt es längst nicht mehr so. Da ist schon viel an Leben, an Artenvielfalt verloren gegangen! Zu uns kommen die Menschen, die nicht hinnehmen wollen, dass diese Entwicklung einfach so weitergeht. Bei uns kann jeder etwas für die Umwelt tun, ganz praktisch im ehrenamtlichen Naturschutz oder über Spenden. Gerade auch Familien finden zu uns.

Eine Niederrheinerin an der Spitze des Nabu in NRW

Mit Heide Naderer steht eine Niederrheinerin an der Spitze des größten Naturschutzverbandes in NRW. Die studierte Politikwissenschaftlerin wurde 1964 in Moers geboren und lebt heute in Emmerich. Naderer kam bereits Anfang der 80er Jahre als Mitglied zum NABU, damals noch der Deutsche Bund für Vogelschutz (DBV). Seitdem ist sie dem Naturschutz eng verbunden, auch wenn sie die vergangenen 15 Jahre im Wesentlichen im Wissenschafts- und Hochschulbereich tätig war. Nach eigener Aussage hat die ehemalige Präsidentin der Hochschule Rhein-Waal hier „immer wieder das Ziel und die Möglichkeit von Wissenschaft motiviert, Zukunft mit zu gestalten und so dazu beizutragen, dass unsere Welt lebenswert, im ökologischen Gleichgewicht und friedlich bleibt“.

Kann der Nabu die Erwartungen dieser Menschen erfüllen?

Klares Ja! Ich finde, unser Slogan „Wir sind das, was wir tun - die Naturschutzmacher“ spricht Bände. Bei uns ist für jeden etwas dabei: Das reicht von der Mithilfe bei der Organisation und Betreuung von Infoständen und Pflegeeinsätzen in vom NABU betreuten Biotopen und Naturschutzgebieten, bei der Streuobsternste, beim Kartieren von Pflanzen und Insekten, oder im Umweltbildungsbereich. Wir können da noch viel mehr Leute gebrauchen. Deshalb bilden wir beispielsweise auch Naturbotschafter aus. Menschen in der nachberuflichen Phase bekommen so die Möglichkeit, ihr Wissen um die Natur aufzufrischen und dieses dann an Kinder im Vorschulalter weiterzugeben.

Welche Akzente wollen Sie als neue Vorsitzende setzen?

Der NABU hat seine Stärke in einer pragmatischen Naturschutzarbeit, der die Menschen mitnimmt und den Dialog mit anderen gesellschaftlichen Gruppen nicht abreißen lässt. Davon möchte ich gerne noch mehr Menschen überzeugen. Dabei denke ich besonders daran, mit Fridays-for-Future-Aktiven auch Dimensionen des alltäglichen Natur- und Umweltschutzes aufzuzeigen. Wichtig ist mir auch, dass man die verschiedenen Lebensbereiche neu und anders denken muss: Da ist nicht auf der einen Seite die Natur und auf der anderen Seite eine weiterhin ungehemmte Automobilität, die Themen gehören zusammen und müssen auch in einer Perspektive angegangen werden.

Versteht die Politik die Sorgen der Menschen, die sich für die Umwelt einsetzen?

Wenn die Politik die Sorgen der Menschen wirklich ernst nehmen würde, dann sähe die Natur- und Umweltschutzpolitik in NRW gerade jetzt anders aus. Die aktuelle Ausrichtung der Landesregierung führt immer weiter in die ökologische Sackgasse. Ein Beispiel: Das Ziel, Flächenversiegelung auf fünf Hektar zu begrenzen, wurde aufgehoben - ein fatales Signal für den Schutz der schwindenden Arten und deren Lebensräume!

Was sind die drängendsten Probleme hier in NRW?

Flächenverbrauch, intensive Bewirtschaftung in Naturschutzgebieten, die hohen Nitratwerte im Grundwasser - und der Verlust von Artenvielfalt. Wir benötigen den Erhalt naturnaher Flächen und die Entwicklung eines geschützten, funktionsfähigen und landesweiten Biotopverbundes, den Erhalt von artenreichen Säumen, ein Verbot von Pestiziden in Naturschutzgebieten sowie die Bildung von Pufferzonen bei geschützten Landschaftsbestandteilen. Und gerade für ein Industrieland wie NRW ist die Energiewende wichtig. Als Naturschützer erkennen wir an, dass mit dieser Frage viele Arbeitsplätze verknüpft sind. Wir sagen aber: Naturschutz und Energiewende sind miteinander vereinbar. Um verbindlich bis 2035 aus der Braunkohle auszusteigen, wird man nicht einfach Kohle- durch Windstrom ersetzen können. Wir müssen zeitgleich versuchen, deutlich weniger Energie zu verbrauchen.

Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten vom Artenschutz. Tierarten wie der Wolf finden nach über 100 Jahren zurück, am Niederrhein brüten Seeadler...

Mehr noch: Der Fischotter ist in einer kleinen Population wieder an der Lippe heimisch, dem Wanderfalken geht es dank des jahrzehntelangen ehrenamtlichen Engagements unserer aktiven Wanderfalkenschützer wieder gut. Ich finde das total schön, wenn solche Arten hier langsam wieder Fuß fassen.

Die Rückkehr des Wolfes bringt auch Probleme mit sich...

Der Nabu in NRW begleitet die Rückkehr des Wolfes mit einer umfangreichen Informationskampagne. Vorsitzende Naderer fordert noch mehr Hilfe für Weidetierhalter durch das Land NRW.
Der Nabu in NRW begleitet die Rückkehr des Wolfes mit einer umfangreichen Informationskampagne. Vorsitzende Naderer fordert noch mehr Hilfe für Weidetierhalter durch das Land NRW. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Ich sehe natürlich, dass das eine Herausforderung für Weidetierhalter ist. Das Land muss Weidetierhalter und insbesondere die Schäfer noch stärker und unbürokratischer unterstützen. Nur so lässt sich die Akzeptanz für den Wolf in unserem dicht besiedelten Land steigern. Wir sind zuversichtlich, dass dies auch in NRW gelingen kann! Als Menschen müssen wir uns wegen der Wölfe nicht sorgen; seit der Rückkehr des Wolfes nach Deutschland vor rund 20 Jahren ist kein Fall dokumentiert, in dem sich ein Wolf einem Menschen aggressiv genähert hat. Es sind eher scheue Tiere.

Welche Naturerlebnisse sollte man in NRW unbedingt mal gemacht haben?

Das nächste schöne Ereignis des NABU am Niederrhein ist zum Beispiel das Streuobstwiesenfest am 29.9. in Alpen. Das lohnt sich auf jeden Fall! Ein Besuch des Naturschutzhofes Nettetal ist zu jeder Jahreszeit empfehlenswert und lässt sich wunderbar mit einem Spaziergang um den De-Witt-See verbinden. Und dann natürlich unsere seit Jahren nachgefragten Gänseexkursionen, die die NABU-Naturschutzstation Niederrhein ab Mitte November wieder anbieten wird.