Berlin. Starke Eifersucht, zu wenig Regeln – Gründe für das Aus einer offenen Beziehung gibt es viele. Nicht immer liegen sie auf der Hand.

Deutschland ist offen für Offenes – das zeigt eine Umfrage der Dating-App Parship von 2023. Mehr als ein Drittel der über 1000 Befragten können sich demnach vorstellen, ihre Beziehung sexuell zu öffnen. Es scheint, als ob immer mehr Paare mit der Monogamie brechen und die Freiheiten einer offenen Ehe erkunden wollen.

Doch das Beziehungsmodell ist auch eine Menge Arbeit, weiß Paar- und Sexualtherapeutin Nina Jares: „Da eine offene Ehe Konflikte mit sich bringt, sollte die Ehe bereits sehr gefestigt und das Paar glücklich miteinander sein.“ Die Expertin verrät die größten Gefahren, die zum Scheitern einer offenen Partnerschaft führen können.

Offene Ehe nicht aus Sexdefizit heraus

„Ich glaube, es wird schwer, wenn die Ehe bereits sehr konfliktbelastet ist oder wenn gegenseitiges Vertrauen ohnehin fehlt“, sagt die Therapeutin. Das Wichtigste ist ihrer Meinung nach, dass sich beide Partner zu jeder Zeit mit der Entscheidung zur offenen Beziehung wohlfühlen müssen.

Jares warnt: „Stimmt ein Partner der Öffnung lediglich aus Angst zu, den anderen sonst zu verlieren, ist die Ehe in vielen Fällen zum Scheitern verurteilt.“ Wenn das Modell einer Art Deal gleiche oder der eine Partner den anderen sogar unter Druck setze, fühle sich die Beziehung nicht mehr gleichberechtigt an.

Nina Jares
Paartherapeutin Nina Jares kennt sich mit offenen Beziehungen aus: Als Paar- und Sexualberaterin hat sie in ihrer Praxis mit verschiedenen Beziehungsmodellen zu tun. © privat | Privat

Sollte der alleinige Grund für die Öffnung sein, dass ein Sexdefizit ausgeglichen werden soll, sei das kein guter Startpunkt. Sind Paare mit ihrem Sexleben nicht glücklich, müsse das gemeinsam angegangen werden – das Problem könne nicht nur durch eine offene Beziehung gelöst werden – „dann driftet die Leidenschaft für das gemeinsame Sexleben in der Regel noch weiter auseinander“, so Jares.

Offene Ehe – wenn unterschiedliche Startpunkte zum Problem werden

Ein genauerer Blick auf die Gleichberechtigung innerhalb der Beziehung lohnt sich, wenn man seine Ehe öffnen will. „Wird der Startpunkt in die offene Ehe nicht als gleichermaßen fair empfunden, dürfte es schwierig werden“, so die Expertin.

Sie nennt ein Beispiel: „Die Frau ist schwanger oder hat gerade entbunden – und es herrscht in der Partnerschaft eine Sexflaute. Daraufhin kommt die Idee, die Beziehung zu öffnen. Aber für die Frau ist es eigentlich noch nicht der richtige Moment, sie fühlt sich mit ihrem Körper und ihren Emotionen weit entfernt von dem Bedürfnis, neue sexuelle Kontakte zu machen.“

Dass dies ein Konfliktpotenzial bereithält, muss natürlich nicht für alle Paare gleichermaßen gelten. Unterschiedliche Startpunkte hießen nicht immer, dass es nicht klappt. Jares bekräftigt: „Vielleicht sagt der eine Partner auch: Ich gönne dir das und freue mich mit dir, wenn du andere Sachen erleben darfst.“ Das Entscheidende ist offenbar die Perspektive beider Partner: Die sollte der Paarberaterin zufolge daraus bestehen, die offene Ehe als etwas Bereicherndes für die Partnerschaft zu sehen. Das Paar könne Neues ausprobieren – und beide könnten daran wachsen.

Paartherapeutin nennt weitere Punkte, die eine offene Ehe belasten können

Nicht nur die unterschiedliche Motivation der Partner erschwert den Start in die offene Beziehung. Die Paartherapeutin nennt drei weitere typische Probleme:

  1. Eifersucht: „Wenn eine Person sowieso schon Schwierigkeiten hat, mit Eifersucht umzugehen, dürfte es auch in der offenen Ehe Probleme geben. Nur weil man der Öffnung zugestimmt hat, bedeutet das ja nicht direkt, dass das Gefühl der Eifersucht komplett verschwunden ist. Wer seine Beziehung öffnen will, muss vorher die Eifersucht gut besprochen und für sich bearbeitet haben. Das erfordert viel Selbstreflexion.“
  2. Keine Konfliktfähigkeit: „Das Paar muss in Konflikten sehr gut kommunizieren können. Ansonsten wird es sehr beschwerlich. Durch dritte Personen, also durch die Außenbeziehungen, wird es auf jeden Fall Konfliktpotenzial geben – egal, wie viel Raum diese einnehmen und selbst wenn es nur ein anonymer One-Night-Stand sein sollte.“
  3. Starre Regeln: „Die offene Ehe ist ein Prozess, dem man Zeit geben sollte und der gemeinsame Regeln erfordert. Der Regelkatalog sollte immer wieder neu angepasst werden. Man darf mit den Regeln immer wieder zurückrudern und sich noch mal seiner Entscheidung vergewissern. Es hilft, mit den Regeln in den eigenen Gedanken im Vorfeld zu experimentieren und diese durchzuspielen, bevor man den Startschuss für die Öffnung gibt. Fehlt etwas? Wenn wir das so machen, ist es wirklich okay für mich?“
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Wer eine offene Beziehung führen will, sollte gut und konstruktiv streiten können. © Shutterstock / Blueastro | Blueastro

Das wird bei der offenen Ehe oft nicht bedacht

Was der Expertin zufolge viele unterschätzen würden, ist, wie viel Zeit man für eine offene Ehe benötigt. Davon bleibe am Ende des Tages, wenn man für den Job, für die Kinder und für die Familie alles erledigt hat, für das Paar wenig übrig. „Dabei braucht es in einer offenen Beziehung noch mehr Zeit zum Diskutieren und natürlich Zeit für die Außenbeziehungen“, rät Nina Jares.

Wer eh schon einen zu vollen Tagesablauf habe und nicht gut plane, der knüpfe die Zeit in aller Regel zuerst von der Paarzeit ab. Die Therapeutin warnt: „Das entwickelt sich langfristig nicht gut für das Paar.“ Es müsse darum vorher geklärt werden: Von welchem Zeitkontingent wird abgeschraubt? Von der Paarzeit oder beispielsweise von der Zeit, die man normalerweise beim Yoga verbringt? Selten hätten Paare die Zeit übrig, die für eine offene Beziehung nötig sei.

Außerdem kommt durch die Öffnung laut Jares ein weiterer Effekt dazu: „Es verändert sich natürlich auch die Routine im Alltag. Bin ich dafür bereit? Kann ich das aushalten? Oder ist Routine etwas sehr Wichtiges für mich?“ Wenn das Paar schon sehr eingespielt sei, könne eine offene Beziehung den Alltag erst einmal durcheinanderbringen.