Berlin. Unglücklich in der Ehe? Ein Psychologe erklärt, wie man Anzeichen dafür erkennt und wann sich ein Kampf für die Beziehung noch lohnt.

  • Oft sind es subtile Anzeichen, die auf Probleme in der Beziehung hindeuten
  • Ist man in der Ehe unglücklich, stellt sich die Frage: Um die Ehe kämpfen oder gehen?
  • Ein Experte erklärte, wann sich die Suche nach einer gemeinsamen Lösung lohnt

Am Anfang war alles schön, leicht und wunderbar: Romantische Verabredungen zu zweit, nur Augen füreinander, das Glück in die Welt hinausschreien. Am Ende gibt es nur noch Streit, Probleme und Diskussionen. Doch obwohl die Beziehung unglücklich macht, fällt vielen Paaren die Entscheidung zur Trennung nicht leicht. Ein Psychologe erklärt, warum.

Unglückliche Ehe beenden oder aushalten: Auf „subtile Anzeichen“ achten

„Unglückliche Beziehungen äußern sich oft in subtilen Anzeichen, die auf eine tiefere Unzufriedenheit hinweisen“, sagt der Psychologe und Paartherapeut Wanja Kunstleben aus Freiburg. Erste Warnsignale sind laut Kunstleben zum Beispiel Schwierigkeiten, offen und ehrlich miteinander zu reden. Im Alltag sei die Beziehung oder Ehe von mangelndem gegenseitigen Respekt und fehlenden gemeinsamen Interessen geprägt, was sich im Laufe der Zeit zu abnehmender Aufmerksamkeit und emotionaler Distanz entwickeln könne. „Gegensätze ziehen sich an – aber nur am Anfang. In den ersten eineinhalb Jahren sollte sich das Gemeinsame gefestigt haben“, so Kunstleben. Spätestens dann verblasse die anfängliche rosa Brille deutlich.

Wie zeigt sich eine unglückliche Ehe? Mitbewohner statt Partner

Der Partner streitet nie. Das Erfolgsrezept einer gesunden Beziehung? Der Diplom-Psychologe Wanja Kunstleben warnt vor streitfreier Kommunikation: „Die Unfähigkeit Konflikte konstruktiv zu lösen, ist oft ein Zeichen für eine unglückliche Beziehung.“ Denn Paare, die Konflikten aus dem Weg gingen, interagierten oft gar nicht miteinander, sondern koexistierten. Wenn der Partner eher einem Mitbewohner gleicht, fehlt es nicht selten an Kommunikation, Reiz und Intimität in der Beziehung.

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Negative Kommunikation in der Partnerschaft

Viele denken bei Sarkasmus sofort an einen zynischen Seitenhieb, doch hinter dem passiv-aggressiven Verhalten steckt mehr. „Eine unglückliche Beziehung zeichnet sich auf emotionaler Ebene durch eine negative Atmosphäre aus, in der positive Emotionen und Wertschätzung immer weiter abnehmen“, erklärt Kunstleben. So könnten sarkastische Bemerkungen gegenüber dem Partner versteckte Kritik oder Unzufriedenheit enthalten, die der Partner nicht laut auszusprechen wagt. Ein solches Verhalten, so der Psychologe, führe dazu, dass sich der Partner deprimiert, unsicher und missachtet fühle oder sich aus dem Gespräch zurückziehe, was der ohnehin mangelhaften Kommunikation den letzten Stoß versetze.

Die Nähe fehlt in der Ehe

Mit Nähe ist nicht nur das Vertrauen in den anderen gemeint, sondern auch Umarmungen, Küsse und Sex. Gerade im Trubel des Alltags kommen körperliche Nähe und Zärtlichkeit schnell in der Ehe zu kurz. Dabei seien sie ein wesentlicher Bestandteil einer gesunden und glücklichen Beziehung, so Kunstleben. Wenn „Ausreden“ wie Müdigkeit und Stress zur Regel werden, mahnt der Psychologe zur Achtsamkeit. Dies könnten Anzeichen dafür sein, dass sich der Partner emotional entfremde. Das bedeute nicht zwangsläufig das Ende der Beziehung, sollte aber als „Warnsignal verstanden werden, gemeinsam nach Lösungen zu suchen oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen“, so Kunstleben.

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Unglückliche Ehe aushalten oder beenden? Was Psychologen empfehlen

Mehrere Studien hätten bereits gezeigt, dass die Menge an Zeit, Ressourcen und Emotionen, die Paare in eine Beziehung investiert haben, ausschlaggebend dafür seien, ob sie diese beenden oder nicht. „Mit der Entscheidung, zusammenzubleiben, versucht man in gewisser Weise zu rechtfertigen, was man bisher investiert hat“, sagt Kunstleben. Ähnlich wie bei einem Glücksspiel, bei dem schon viel Geld verspielt wurde, bleibe man dabei, um nicht die Niederlage zu erleben, wenn man vom Tisch aufsteht.

Besonders schwierig sei es für Menschen, die in ihrer Kindheit ein unsicheres Bindungsmuster erlebt und vermittelt bekommen haben, sagt der Psychologe. „In unglücklichen Beziehungen können sich diese Beziehungsstrukturen widerspiegeln und die Partner bleiben in dem verhaftet, was ihnen nicht gut tut, weil sie es gewohnt sind“, so Kunstleben. „Es fühlt sich normal an“, fügt er hinzu.

„Der gemeinsame Alltag und die gewohnte Dynamik schaffen eine Komfortzone, die trotz Unzufriedenheit eine gewisse Sicherheit bieten“, erklärt er. Studien hätten in diesem Zusammenhang auch gezeigt, dass sich Menschen oft für eine unglückliche Beziehung entscheiden, wenn die Alternative – Single zu sein und keinen neuen Partner zu finden – weniger attraktiv erscheint. Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Entscheidung, eine Beziehung einzugehen oder sie zu verlassen, orientiert sich vor allem an den eigenen Interessen. 

Unglückliche Beziehung: Hoffnung auf Besserung

Der Psychologe und Paartherapeut Wanja Kunstleben betont, dass auch die Wünsche und Bedürfnisse des anderen Partners eine Rolle dabei spielen können, wenn Paare zusammenbleiben. Aus Rücksicht und in der Hoffnung auf Besserung hält also der unglückliche Partner an der Beziehung fest. Diese Entscheidung beruht häufig auf der empfundenen Abhängigkeit des Partners.

Kunstleben hält dies vor allem in destruktiven Paarbeziehungen für gefährlich, in denen es zu psychischer, physischer oder sexueller Gewalt kommen kann. „Solche Beziehungen können das Selbstwertgefühl der Partner angreifen und zerstören, so dass das Selbstvertrauen fehlt, den Schritt nach draußen zu wagen“, sagt der Psychologe. Die Beziehung wird dann oft als unsichtbares Gefängnis erlebt. Schuldgefühle und Scham, nicht ausbrechen zu können, wirken wiederum lähmend.

Ehe retten? Was ein Experte Eltern mit Beziehungsproblemen rät

Unglückliche Ehepaare bleiben häufig zusammen. Meist, weil sie ein gemeinsames Kind haben und glauben, das Zusammenleben sei im Interesse des Kindes. Doch nicht immer, so Kunstleben, ist die aufrechterhaltene Beziehung gut für den Nachwuchs. Zum Beispiel, wenn Kinder ihre Eltern oft streiten sehen. Deshalb rät der Psychologe Ehepartnern, auch im Interesse der Kinder realistisch über die Zukunft der Beziehung nachzudenken und zu klären, ob sie auf Dauer erfüllend sein kann.

Wichtig sei auch die Frage der Verantwortung. Der Psychologe empfiehlt Eltern, einerseits offen und kindgerecht die Wahrnehmung der Kinder zu bestätigen, dass „Mama und Papa Schwierigkeiten miteinander haben“ – denn das merken die Kinder sowieso –, andererseits aber auch deutlich zu machen, dass sie diese Schwierigkeiten selbst zu verantworten und zu lösen haben und dafür nicht die Unterstützung der Kinder brauchen. „Auch wenn es nicht leicht fällt, bürdet man seinen Kindern eine Last auf, wenn man sich nach einer Trennung einer kooperativen Elternschaft verweigert“, so Kunstleben.

Wenn Eltern merken, dass sie die Paarkonflikte nicht von der Elternebene weghalten können, empfiehlt Kunstleben, sich Hilfe zu holen. Beratungsstellen bieten etwa niedrigschwellige Angebote, die auch für sozial schwache Familien finanziell tragbar sind. „Dort kann dann gemeinsam geklärt werden, welcher Teil der Familie welche Unterstützung braucht“, so Kunstleben.

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Beziehungspause regeln: Über sexuelle Enthaltsamkeit sprechen

Meist ist die Frage, ob man gehen oder bleiben soll, sehr ambivalent und die Auseinandersetzung damit ist leider nicht mit einer einfachen Plus-Minus-Liste am Küchentisch erledigt. Wer vorerst keinen endgültigen Schlussstrich ziehen will, kann es laut Kunstleben zunächst mit einer Beziehungspause versuchen. „Eine räumliche Trennung gibt Paaren die Möglichkeit, die eigenen Bedürfnisse zu erforschen, um sich selbst zu klären.“ Fragen wie „Was erhoffe ich mir von der Beziehung und welche Erwartungen habe ich daran?“ lassen sich oft besser beantworten, wenn die Partner Zeit für sich haben. Auch bei Affären sei eine Auszeit hilfreich – der Betrogene könne sich darüber klar werden, ob er bereit ist, dem Partner zu verzeihen und wieder zu vertrauen. Und der Betrügende könne sich in der Auszeit entscheiden, mit wem er welche Beziehung führen wolle.

In jedem Fall ist es laut Kunstleben wichtig, Regeln für die Auszeit aufzustellen, zum Beispiel, dass die Paare in Kontakt bleiben, damit die Kommunikation nicht abbricht. Die Partnerinnen und Partner können sich zum Beispiel darauf einigen, einmal in der Woche miteinander zu telefonieren. Oder sie verabreden sich an einem neutralen Ort. Auch Fragen wie der Kontakt zu anderen Personen und die sexuelle Enthaltsamkeit in der Pause sollten geklärt werden, um Raum für Reflexion zu schaffen.

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Wie können unglückliche Paare wieder glücklich werden?

Laut Psychologe Wanja Kunstleben lebt eine Beziehung von der Balance dreier Räume: „Mein Raum, Dein Raum, Unser Raum.“ Die Gestaltung eines positiven gemeinsamen Beziehungsraumes gelingt laut Kunstleben durch eine „positive emotionale Kommunikationskultur“. Dabei gehe es vor allem darum, gemeinsame Werte zu stärken und gute, stimmige Kompromisse zu finden, wo Vorstellungen und Bedürfnisse auseinandergehen.

Neben der Gestaltung eines positiven gemeinsamen Beziehungsraumes sei es für die Beziehung außerdem wichtig, dass jeder auf sich selbst achte. „Eine langfristige Beziehung kann sich nur dann positiv entwickeln, wenn jeder Partner wirklich Verantwortung für sich selbst übernimmt – auch außerhalb der Beziehung“, sagt Kunstleben. Das gelte für den eigenen Körper, die psychische Gesundheit, die berufliche und soziale Situation.

Wann sollte eine Beziehung beendet werden?

Jeder Weg ist individuell und manchmal dauert es sehr lange, bis sich Paare für eine Trennung entscheiden – vor allem, wenn Kinder im Spiel sind. Dennoch sollten Paare laut Kunstleben die Warnzeichen einer unglücklichen Beziehung erkennen: Diese seien

  • „ein zunehmender Verlust des Selbstwertgefühls,
  • psychische und psychosomatische Erschöpfung und 
  • Erkrankungen wie Ängste oder
  • Depressivität durch Beziehungsstress oder auch 
  • Suchtentwicklungen und Isolation“

Hilfreich könne auch die Metapher einer Pflanze sein: „Kann ich in dieser Beziehung wachsen oder gehe ich ein?“ Um eine Entscheidung treffen zu können, kann es für beide Partner wichtig sein, eine Beziehungspause einzulegen oder ihre Ressourcen und Kraftquellen wieder zu aktivieren. Wenn die metaphorische Pflanze trotz Bewässerung eingehe, sei eine Trennung manchmal der bessere Weg, um wieder zu wachsen, so Kunstleben.