Berlin. Eine „Praktik wie Yoga“ soll Frauen helfen, zum Orgasmus zu kommen, mehr Spaß an Sex zu haben. Unsere Autorin hat es ausprobiert.
- Nina hat mit ihrem Partner eine spezielle Methode für besseren Sex getestet
- Die Technik soll Frauen helfen, zum Orgasmus zu kommen
- Der Coach spricht von einer „Praktik wie Yoga“, Nina hat hier ein anderes Fazit
Mein Freund und ich liegen im Wohnzimmer – er schräg neben mir auf einer Matratze. Ein skurril, ungewohntes Setting. Ich versuche, ihn nicht anzugucken, was zum Teil auch daran liegt, dass ich zur Hälfte nackt bin. Normalerweise würde ich bei einer „Date Night“ ein schönes Kleid anziehen, in dem ich mich wohlfühle. Wir würden ausgehen. Heute ist das anders. Das, was wir hier halb nackt im Wohnzimmer machen, nennt sich „Orgasmische Meditation“. Mit Sex hat es nur indirekt zu tun. Es geht darum, dass Frau lernt, sich fallen zu lassen.
Ziel ist, das vielleicht größte Sexualorgan der Frau in Stimmung zu bringen: das Gehirn! Es gibt mehrere Studien, die darauf hinweisen, dass der Orgasmus tief in der Gehirnaktivität verwurzelt ist. Es werden Hirnregionen aktiviert, die eine Schlüsselrolle im Belohnungssystem spielen.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2014 können Frauen sogar allein durch mentale Stimulation und Gedanken sexuelle Erregung und einen Orgasmus erleben. In der Realität gelingt das jedoch oft nicht. Umfragen zeigen, dass nur etwa 65 Prozent der Frauen beim Sex zum Höhepunkt kommen, bei Männern dagegen sind es satte 95 Prozent. Dieses Missverhältnis wir auch als „Orgasm Gap“ bezeichnet. Kein Wunder also, dass es immer mehr Angebote gibt, die insbesondere Frauen zu besserem Sex verhelfen sollen – auch indem sie lernen, sich auf ihr Inneres zu fokussieren.
Kein Orgasmus? Guter Sex braucht Kopf und Körper – egal ob in einer Beziehung oder nicht
Meditation für den Orgasmus also? Als ich davon zum ersten Mal höre, denke ich zuerst, das Ganze sei eine Marketingmasche. Ein Trend, der den Anbietern in Zeiten von Coaching-Podcasts, Achtsamkeits-Hype und Yoga-Retreats zu schnellem Geld verhelfen soll. Eine harmlosere Alternative zu Swingerclubs, der etwas Abwechslung ins Sexualleben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bringt. So einfach ist das aber nicht. Das merkte ich schnell, als ich „Orgasmische Meditation“, kurz OM, selbst getestet habe.
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Wenn man nach „Orgasmischen Meditation“ bei Google sucht, findet man jede Menge Workshops und Youtube-Videos. Doch was das genau ist und was es mir und anderen Frauen bringen soll, war mir nicht klar, bis es ans Eingemachte ging. „OMen“ sei eine Praktik wie Yoga, erklärt mir OM-Coach Axel Jack Metayer von „Turn on Hamburg“ als wir uns das erste Mal online verabreden. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass man – oder genauer gesagt: Frau – dabei nackt ist. Sinn und Zweck ist laut Metayer, dass Frauen lernen, sich mit ihrem Körper wohlzufühlen, Bedürfnisse zu kommunizieren, und dass sie für den Orgasmus „nichts tun müssen“.
Besserer Sex durch Orgasmische Meditation
Gerade letzteres hat oft Einfluss darauf, ob Frau zum Höhepunkt kommt. Denn so, wie uns das Gehirn stimulieren kann, kann es uns auch blockieren und einen Orgasmus verhindern. Etwa, wenn wir beim Sex die ganze Zeit darüber nachdenken, was unserem Partner wohl gefällt oder ob er uns attraktiv findet. „Viele Frauen haben nur gelernt, dem Mann beim Sex zu gefallen, ohne dass sie sich darüber Gedanken gemacht haben, was ihnen selbst gefällt“, sagt Sexologin, Buchautorin und Sexualtherapeutin Jana Welch, die unter anderem Frauen zu Themen wie Libido und Lustlosigkeit, berät.
Die Lösung? Sich um sich selbst kümmern, statt nur auf den Partner zu schauen. Und genau so soll es beim OMen laufen. „Beim OMen geht es vor allem darum, ganz im Moment zu sein, sich selbst fokussiert wahrzunehmen, um so den Körper stärker zu spüren“, sagt Axel Jack Metayer. „Frauen lernen so, ihre Wünsche zu kommunizieren und können sich ganz auf das, was im Körper passiert, konzentrieren“, sagt der Hamburger. Wie das gelingen kann, erklärt er in einem Videocall, bevor es später allein mit meinem Partner in die Praxis geht. Metayer geht mit mir die Anleitung zum OMen durch und beschreibt, wie das Setting für die Orgasmische Meditation aufgebaut sein soll.
Fest steht: Das Ganze hat weitaus weniger mit einem Sex-Date gemein, als ich gedacht hätte. Beim OMen liegt die Frau auf einer Erhöhung aus Matratzen, der Partner neben ihr. Er streichelt sie quasi auf „Befehl“. Wie das konkret aussieht, sieht man in einem Video von OM-Begründerin Nicole Daedone.
Darin zeigt die Unternehmerin, wie sie mit geöffneten Schenkeln von ihrem Mann an der Klitoris gestreichelt wird, während er seitlich neben ihr sitzt und ihr Geschlecht betrachtet. Mein erster Eindruck? Verstörend intim. Ich finde die Vorstellung unangenehm, so nackt auf dem Präsentierteller zu liegen. Macht das dem Mann Freude, und warum geht es dabei nur um die Frau? Warum wechseln sich beide nicht ab? Könnte man das nicht von einer gleichwertigen Beziehung erwarten?
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Sexualität: Orgasmus-Training bedeutet eine Auseinandersetzung mit dem Körper
Ich bin unsicher, als ich mit meinem Freund zum OMen übergehe. Richtig wohl fühlen wir uns beide nicht und so kann ich nur mit Mühe und Not OM-Coach Metayers Ratschlag beherzigen: „Nicht lachen, auf keinen Fall lachen. Das nehmen Männer in der Situation als Kritik auf!“
Was mir sehr leicht fällt, ist der Rat, vom OMen nicht zum Sex überzugehen. Es soll bei der Meditation bleiben. So falle der Druck zu „kommen“ beim OMen für beide weg, begründet Metayer. Frauen könnten sich besser davon lösen, dem Partner die Auseinandersetzung mit ihrem Körper „danken“ zu wollen. Kein Problem für mich, denn ich finde es nicht sonderlich sexy, zusammen halbnackt im Wohnzimmer zu liegen. Ich bin froh, als der erste Versuch nach einer Viertelstunde beendet ist.
Auch beim zweiten Versuch fühle ich mich noch nicht wohl. Von „sich fallen lassen“ kann keine Rede sein. Warum mute ich mir das zu? Dass mir Fragen wie diese in den Kopf kommen, sei nicht ungewöhnlich, sagt Sexualtherapeutin Jana Welch. Für sie ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität deshalb unabdingbar – Hemmungen abbauen für ein erfülltes Sexualleben. „Man muss das eigene Instrument spielen können, ehe man ins Orchester geht“, umschreibt es Welch. Vielleicht mögen manche Menschen aber lieber allein üben, bevor sie ein Konzert geben, denke ich.
Muss man wirklich OMen, um zu lernen, was einem gefällt und Lust bereitet? Ich denke nicht. Klar, OMen ist eine intensive Erfahrung. Was fühlt sich gut an? Was für Reaktionen zeigt der Körper? Bei welcher Berührung zittert der Oberschenkel? Was fühlt sich nicht gut an? All das kann man beim OMen herausfinden. Aber das geht in meinen Augen auch ohne – alleine als Teenager, bei einem One-Night-Stand oder mit dem ersten gemeinsamen Freund.
Orgasmische Meditation: Mein persönliches Fazit
Für mich bleibt OMen daher ein etwas merkwürdiges Date – was fairerweise auch daran gelegen haben könnte, dass der übergeordnete Grund fürs OMen die Recherche für diesen Artikel war. Doch egal wie: Jedes Mal fiel es mir und uns ein Stückchen leichter. Mit jedem Mal fühlte ich mich weniger nackt und hatte weniger das Gefühl, mich meinem Freund erklären zu müssen.
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Ob man mit fremden Menschen – ja, auch diese Möglichkeit gibt es – beim OMen lernt, ganz in sich hineinzuspüren, ohne dabei Bilder von der Cellulite am Bein, den „zu kleinen Brüsten“ oder der vermeintlich zu starken Körperbehaarung im Kopf zu haben, weiß ich nicht. Mir ist es mit meinem Partner am Ende gelungen.
Und ich konnte zuletzt beim OMen sogar noch einen weiteren Gedanken zulassen: Es ist wirklich falsch, beim Sex zu sehr auf die Bedürfnisse des Partners zu schauen. Weil man dann die eigenen Bedürfnisse nicht spürt. Eine Erkenntnis, die ich sicherlich für mein Liebesleben mitnehme. Allerdings gilt das in meinen Augen für beide Sexualpartner. Sofort frage ich mich, was es mit meinem Partner macht, mit Männern allgemein, die beim OMen lernen, was der Partnerin gefällt. Beeinflusst sie das so stark, dass sie beim nächsten Mal zusammen im Bett ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen?