Berlin. Wer ständig Angst hat, seinen Partner zu verlieren, leidet sehr. Ein Psychologe erklärt, woher die Angst kommt und wie man sie loswird.
Viele Menschen haben Angst, von ihrem Partner verlassen zu werden oder eine ihnen nahestehende Person zu verlieren. Der Beziehungspsychologe Wieland Stolzenburg erklärt, warum manche Menschen besonders stark unter Verlustangst leiden und wie man gegen sie vorgeht.
Herr Stolzenburg, Verlustangst ist eine sehr spezielle Form der Angst. Was kann man sich genau darunter vorstellen und wie äußert sie sich?
Wieland Stolzenburg: Verlustangst ist die Angst, jemanden zu verlieren, der einem wichtig ist. In einer romantischen Beziehung wird diese Angst am meisten sichtbar. Sie zeigt sich aber auch bei Freundschaften oder in der Beziehung zu den eigenen Kindern. Aber ein Großteil der Menschen verspürt Verlustängste in der Partnerschaft – verbunden mit äußerst unangenehmen Empfindungen. Diese reichen von körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Schweißausbrüchen oder teilweise sogar Panikattacken bis hin zu emotionalen Schmerzen. Diese Symptome treten dann auf, wenn man den Eindruck hat, dass der Partner einen nicht mehr mag, wenn es Konflikte gibt, wenn der Partner sich emotional zurückzieht oder man glaubt, dass der Partner jemand anderen trifft. Dahinter steht in der Regel die Angst, dass sich der Partner trennen könnte.
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Neigen bestimmte Persönlichkeiten eher dazu, Verlustangst zu verspüren?
Stolzenburg: In meiner Erfahrung findet sich die Ursache bei Menschen mit Verlustangst vor allem in den ersten Lebensjahren. In diesen entwickelt sich unser Bindungsstil. Das heißt, was erleben wir in der Kindheit mit unseren Hauptbezugspersonen? Meistens sind das die Eltern, vielleicht aber auch die Stief- oder Großeltern. Wie sind diese mit uns umgegangen? Wie viel Sicherheit und Beständigkeit haben wir erlebt? Haben wir erlebt, dass wir in Ordnung sind, wie wir sind und akzeptiert und geliebt werden, ohne Abwertung, Kritik, Ablehnung oder Liebesentzug? War immer jemand da, wenn wir als Baby oder Kleinkind in einer emotionalen Not waren, wurden wir gesehen, getröstet und nicht im Stich gelassen?
Angst, den Partner zu verlieren: Auslöser oft in der Kindheit
Wie wirken sich diese Erfahrungen aus?
Stolzenburg: Wenn man häufig verletzende Erfahrungen macht, dann versuchen Kinder damit umzugehen und entwickeln Bewältigungsstrategien mit dem Ziel, weniger Verletzung und mehr Liebe und Anerkennung zu bekommen. Zum Beispiel stellen die Kinder ihre Bedürfnisse zurück, um andere glücklich zu machen. Sie lernen, dass sie sich anpassen oder aufgeben müssen, um geschätzt und geliebt zu werden. Verlustängstliche Menschen entwickeln durch diese Erfahrungen die Fähigkeit, in ihrer Umgebung alles genau wahrzunehmen – auch in ihrem Erwachsenenleben, ob in Partnerschaften, im Beruf oder Studium. Menschen mit Verlustangst verhalten sich im Erwachsenenalter häufig gleich, wie sie es eben als Kind „erlernt“ haben: Sie passen sich an, übergehen ihre Bedürfnisse und versuchen, die anderen glücklich zu machen. Das gelingt selbstverständlich nicht immer, und wenn es dann zu Situationen kommt, in denen der Partner sich zum Beispiel emotional zurückzieht, kommen sie in diese seelische Not. Dann fehlen ihnen Bewältigungsstrategien und das Vertrauen in sich selbst, um mit solchen Situationen umzugehen.
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Kann sich Verlustangst auch noch zu einem späteren Zeitpunkt im Erwachsenenalter entwickeln?
Stolzenburg: Meist gibt es Verletzungen in der Kindheit und Jugend, die ursächlich hinter den Ängsten stehen. In meiner Arbeit habe ich bisher noch niemanden kennengelernt, der eine Verlustangst im Erwachsenenleben ohne Vorgeschichte entwickelt hat. Was jedoch sein kann, dass man verlustängstliche Tendenzen hat, aber diese erst später im Leben angetriggert und damit spürbar werden, zum Beispiel durch das Fremdgehen des Partners oder den Verlust eines geliebten Menschen.
Bindungsangst: Ein Partner sucht die Nähe, der andere geht auf Abstand
Welche Herausforderungen gibt es in Beziehungen mit einem verlustängstlichen Partner?
Stolzenburg: Meistens treffen Menschen mit Verlustangst auf einen Partner, der Bindungsängste hat und damit Schwierigkeiten, Nähe zuzulassen. Dann kann sich eine für beide Seiten herausfordernde Dynamik entwickeln: Je mehr der verlustängstliche Partner die Nähe zum bindungsängstlichen sucht, desto mehr geht dieser auf Abstand. Weil das „Wir“ für ihn bedrohlich ist. Das triggert wiederrum den Partner mit Verlustangst an, denn für diesen ist der Verlust des „Wir“ die Bedrohung. Aus dieser Dynamik auszusteigen, ist nicht immer leicht und braucht Arbeit an dem Thema.
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Also liegt es vor allem an der fehlenden Kommunikation?
Stolzenburg: Eine offene Kommunikation ist wichtig. Wenn sich beide mit ihrer eigenen Geschichte und den eigenen schmerzhaften Erfahrungen auseinandersetzen und diese mit dem Partner teilen, kann es leichter werden. Dann entsteht gegenseitig mehr Verständnis und Rücksichtnahme und beide können lernen, in emotionalen Momenten auf die Ängste und Zweifel des Gegenübers anders zu reagieren. Der Partner weiß dann, welche Situationen und Verhaltensweisen möglicherweise die Ängste verstärken, und kann dem anderen im besten Fall die Sorgen nehmen. Das bringt in der Regel Erleichterung, aber noch nicht die nachhaltige und langfristige Lösung. Diese findet man häufig erst in einer Therapie.
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Ab wann ist eine therapeutische Hilfe sinnvoll?
Stolzenburg: Das hängt vor allem vom persönlichen Leidensdruck ab. Wenn eine leichte Verlustangst vorliegt, kann es ausreichen, wenn man entsprechende Bücher liest und damit mehr Bewusstsein und Bewältigungsstrategien entwickelt. Bei einer ausgeprägten Verlustangst macht professionelle Hilfe Sinn, vor allem, wenn man merkt, dass sich die Verlustangst immer wieder zeigt und man selbst damit überfordert ist. Es geht dann darum, einen neuen Umgang mit der Verlustangst zu lernen, die alten Verletzungen aufzuarbeiten und diese mit therapeutischer Unterstützung Stück für Stück zu heilen. Das braucht Zeit und die richtigen psychologischen Tools und Methoden – ist aber gut möglich.