Berlin. Monogamie und Treue sind in der Liebe oft ein großes Thema. Nicht so in offenen Beziehungen. Eine Expertin nennt Vor- und Nachteile.
Monogame Paare mögen sich wie ein Relikt aus der Steinzeit vorkommen. Denn in Filmen und Serien, aber auch im Freundes- und Bekanntenkreis erfreut sich ein Beziehungsmodell immer größerer Beliebtheit: die offene Ehe. Eine Paartherapeutin verrät, ob diese Beziehungsform tatsächlich funktionieren kann.
Die offene Ehe: kein seltenes Modell mehr
Im Jahr 2024 kein seltenes Modell mehr – sagt zumindest die emotionsfokussierte Paartherapeutin Jamila Mewes aus Berlin. „Offene Ehen kommen häufiger vor, als vielleicht angenommen wird. Immer mehr Paare trauen sich, zu ihrer Beziehungsform zu stehen oder ihren Wunsch nach einer nicht-exklusiven Beziehung zu äußern.“ Das gesellschaftliche Bild von der monogamen Beziehung als „richtige“ und „normale“ Beziehungsform sei zwar nach wie vor stark verankert. Dennoch habe sich in den letzten zehn Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen. „Die Nichtmonogamie wird langsam aus der Schmuddelecke geholt“, beobachtet Mewes.
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Was unterscheidet Polyamorie von offenen Beziehungen?
Polyamorie nennt Paartherapeutin Mewes die Praxis, Liebesbeziehungen zu mehr als einer Person gleichzeitig zu haben. Der Begriff setzt sich zusammen aus „poly“ (griechisch für „viel, mehrere“) und „amor“ (lateinisch für „Liebe“). Bei einer offenen Beziehung geht es dagegen in erster Linie um die „einvernehmliche Vereinbarung, weitere Sexualpartner außerhalb der Ehe zu haben, ohne emotionale Bindung“, erklärt Mewes. Es geht um Polygamie.
Für wen ist eine offene Ehe sinnvoll?
Für die einen ist eine offene Ehe unvorstellbar, für andere hingegen ist sie das perfekte Liebesmodell. Für die Paartherapeutin Jamila Mewes ist vor allem entscheidend, wann und warum die Idee einer offenen Beziehung aufkommt: „Die offene Ehe sollte kein Versuch sein, eine Ehe zu retten, oder als Strategie dienen, den eigentlichen Trennungswunsch zu verbergen“. Die Intention hinter der Öffnung der Ehe zu hinterfragen, sei daher ein wichtiger Schritt, um herauszufinden, ob eine offene Ehe sinnvoll sei. Dazu gehöre auch die Bereitschaft beider Partner, die Beziehung zu öffnen.
Insgesamt, so Mewes, müsse die Beziehung gefestigt sein und einen geschützten Hafen bieten, bevor aus ihr heraus exploriert werden könne. „Wenn die Kommunikation in der monogamen Beziehung ein Auslöser für Konflikte ist, dann wäre meine Empfehlung, zuerst an der Kommunikation zu arbeiten, bevor man die Ehe öffnet“, sagt die Therapeutin dazu, „denn wenn das Fundament der Beziehung porös ist, dann wackelt das Beziehungshaus bei Herausforderungen, wie sie eine offene Ehe mit sich bringt“.
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Welche Vorteile hat eine offene Ehe?
Jamila Mewes glaubt, dass das Modell der offenen Ehe gut funktionieren kann, wenn beide Partner bereit sind, die Arbeit zu leisten, die eine offene Ehe erfordert. Dazu gehöre vor allem, den Begriff der gegenseitigen Sicherheit neu zu definieren. Denn die Exklusivität der monogamen Beziehung, die den Paaren bisher das Gefühl der bedingungslosen Liebe suggeriert hat, löst sich in der nicht-monogamen Beziehung auf, so die Paartherapeutin.
„Das klingt zunächst paradox“, räumt Mewes ein. „Aber genau darin liegt die Chance für echte Treue und Verbindlichkeit. Denn wenn wir Treue von sexueller Exklusivität trennen und die Definition von Treue leben, indem wir über einen längeren Zeitraum verlässlich füreinander da sind, dann wächst Vertrauen.“
Betrachtet man die Zahl der gescheiterten Exklusivbeziehungen, haben offene Ehen tatsächlich eine berechtigte Zukunft. Laut Statista lag die Scheidungsrate in Deutschland im Jahr 2021 bei rund 39,9 Prozent. Auf drei Ehen kamen also statistisch gesehen eine Scheidung. „Monogamie und Treue werden hochgehalten und gelten als wichtige Werte. Doch betrogen wird, seit es die Monogamie gibt“, sagt Jamila Mewes.
Welche Nachteile hat eine offene Ehe?
Trotz aller Vorteile bringt eine offene Ehe auch Probleme und Herausforderungen mit sich. „Mit der Eifersucht in offenen Ehen muss ein Umgang gelernt werden“, warnt Mewes. Vor allem dann, wenn Paare ihre Beziehung nach außen öffnen und dem eigenen Ehepartner dadurch zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Mischung aus verschiedenen Gefühlen, die zur Eifersucht gehörten, könne für die Betroffenen überwältigend sein, aber durch feste Grenzen abgemildert werden, so die Paartherapeutin.
Nicht zu unterschätzen seien auch die Vorurteile gegenüber offenen Ehen. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Monogamie als Normalfall angesehen wird und in der Paare, die in polyamoren oder offenen Ehen leben, mit Anfeindungen, Hass und Kritik konfrontiert werden“, erklärt Mewes. Dieser gesellschaftliche Umgang führe dazu, dass Paare in offenen Beziehungen Angst hätten, ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft zu verlieren. Diese, so Mewes, gehöre jedoch zu unseren „menschlichen Grundbedürfnissen“.
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